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Rana sagt, ich soll meinen Herren anrufen. Latif sagt, ich soll über meine Probleme reden. Luca sagt, ich soll meine Probleme wegsaufen. Meine Familie sagt, ich sei krank. Salim sagt, ich brauche einen Psychologen. Ayman sagt nichts.

Er sagt nichts, weil er weiß wie es ist in ein Loch zu fallen, das so tief ist, so dass man nicht wieder herausfindet. Würde Rana wissen, dass ich gerade bei ihm bin, würde sie mir den Kopf abreißen, unsere Freundschaft kündigen und mir unendliche Beleidigungen an den Kopf werfen, die ich mir selbst fremd sind, weil sie noch immer zerstritten sind.

„Okay", sagt er schließlich überfordert und macht sich auf der Couch breit, während ich mir einen Orangensaft eingieße. „Okay", wiederholt er verblüfft. „Ich glaube, ich verstehe es."
„Was genau?"
„Dich."
„Ach ja?"
„Hast du Angst?" Mich verblüfft diese Frage mehr als sie sollte. Im Vergleich zu Latif ist Ayman hartnäckiger und sieht auch einschüchternder aus.

Durch die grauen Augen, die eine Person einen Blick auf seine innere Gefühlswelt werfen lässt, die markanten Züge und den Bart, der so getrimmt wie die Seiten seiner dunklen Haare ist, wirkt er viel ernster und mürrischer. Er hat einen Blick drauf, der so viel bedeutet wie Ich gebe einen Fick auf euch und ihr könnt mich alle mal.

„Wovor?", frage ich verwirrt.
„Vor dem Tod."
„Nein", antworte ich rasch. Würde ich Angst vor diesen haben, dann würde ich mich nicht nach diesen sehnen, oder?
„Ich auch nicht." Ich hätte niemals gedacht, dass mich ein Satz so schwer treffen würde. Er ist wie ich - auf einer Weise. Er ist in einer düsteren und finsteren Welt gefangen mit einem viel zu großem Gedankenwachstum. Mit dem ausgesprochenen Satz bestätigt er mir auch seine Sehnsucht nach dem Tod.

„Aber du atmest weiter, oder?"
„Ja", bestätigst er unbeeindruckt. „Tue ich."
„Ich auch." Ich weiß nicht, was man auf solche Worte erwidert und eigentlich bin ich verdammt schlecht in sowas. Ich kann niemandem helfen, wenn ich mir selbst nicht helfen kann. Ich kann nichts tun außer ihm verdammt nochmal in die Augen zu starren.

Na ja und dann ist es ganz komisch. Also nicht wir. Also doch schon, wir auch, aber es ist komisch, wie ich es nicht kommen sehe und es ist komisch wie ich nur mit einem Blick zum Türrahmen zurückschrecke. Und eigentlich ist das richtig seltsam und nicht selbsterklärend und eigentlich hätte ich es hören müssen, als Aisha plötzlich dasteht und von da aus zusieht und mich ansieht und ich sie ansehe.

Und da ist dann auch noch Ayman, der auch hinsieht und wir sind dann ruhig und dann ist da so viel, was sich nicht erklären lässt, aber eigentlich ist das auch selbsterklärend, oder? Egal. Auf jeden Fall steht sie plötzlich da, ohne dass weder ich noch Ayman sie gehört haben und macht nichts außer zwischen mir und ihm herzusehen.

„Ähm", setzt sie etwas verwegen an und fährt sich über das blonde Haar. „Hey?" Von Ayman bekommt sie keine Antwort, sondern nur ein genervtes Augenrollen, während ich mit der Frage ringe, wie sie hier reingekommen ist, dabei vergesse ich ihren Gruß zu erwidern.
„Hey", entgegne ich ebenso verwirrt.
„Wo genau ist Latif?", wirft sie gleich in den Raum und mir zugleich hunderte Fragen in den Kopf.

Ich schaffte es, ihn gut zu verdrängen. Weder Latif noch Rana sind ein Thema, wenn Ayman und ich in einem Raum sitzen. Da sind dann nur noch wir und wir kümmern uns nur um uns.
„Keine ahnung", beantwortet Ayman nach einer kurzen Stille. Ich hingegen bleibe ruhig, um die Situation nicht noch verwirrter zu machen als sie schon ist.

Sie hebt verblüfft beide Augenbrauen an und schluckt schwer, bevor sich der Griff um ihre Umhängetasche festigt.
„Ist er Zuhause?"
„Keine ahnung", erwidert er bissig, als indirekte Antwort, dass sie nicht weiter nachhaken soll.
„Er geht nicht ran."
„Mädchen, das ist mir doch scheißegal."

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