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Als er meinen Blick erwidert, könnte ich schwören, dass er mir seine historische Seele offenbart und ich es trotzdem nicht hinbekomme, auch nur eine Sterbenswörtchen aus dieser zu lesen. Es ist so schwer, jemanden kennenzulernen, wenn man sich selbst doch noch vollkommen fremd ist.

Als ich merke wie ich ihm ins Schwarze starre, schlucke ich schwer, beiße mir reuend auf die Zähne und hätte am liebsten zu weinen begonnen. Er schleudert mich unbewusst in meine Vergangenheit. Außerdem kann er trotz Schicksalsschlag lächeln, was ich von mir aus nicht behaupten kann.

Es fällt mir schwer - schwerer als sonst -, weil ich bestens weiß, wie tief man sinken kann.  Dass er auf den Beinen bleibt, ragt an meinem Selbstwertgefühl.
„Sonst atmest du noch?"
„Tu ich." Nachdrücklich schnappt er nach Luft, indessen ich meine anhalte. Ich würde sie am liebsten nie wieder einatmen und für immer anhalten.

Ich halte den Druck auf meiner Seele nicht länger aus und auch nicht die Stille, die unangenehm zwischen uns liegt. Vielleicht habe ich mich geirrt und das zwischen ihm und Aisha war wirklich ein Missverständnis, aber ich kann mir trotzdem nicht erklären, warum er mich belog. Und ehrlich? Ich möchte es nicht intensivieren.

Ich versuche Abstand zwischen uns zu schaffen, da wir immer noch im selben Bett liegen, indem ich zurückweiche und kurz aufgrund meines Gleichgewichts taumele. Es fällt mir schwer, nicht umzukippen, halte mich jedoch gezielt davon ab und setze mich mühsam auf.
„Du kannst auch mit mir reden, Aziza." Ach, kann ich das wirklich? Allmählich zweifele ich diesen Satz an.

Ich lasse dieses Angebot so stehen, bevor ich mich an meiner Kommode stütze und zwinge, keinen Atemzug zu nehmen. Mir ist schwindelig und übel und am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Na ja, es geht zumindest so weit bis ich eine Rührung an meinem Ellenbogen wahrnehme und meine Hand entziehe, als hätte ich mich verbrannt.

Dabei schnappe ich versehentlich nach Luft und reiße meine Augen auf.
„Du verstehst wirklich alles falsch. Ich habe dich nicht angelogen, als ich sagte, ich will dich kennenlernen. Ich dachte nur, dass es wichtig wäre, Abstand zwischen uns zu schaffen."
„Und warum hast du es nicht getan?" Er spaltet die Lippen, schluckt schwer und blinzelt im unregelmäßigen Takt.

Die Folgen einer Entscheidung fällt einem Menschen erst auf, wenn er die Augen öffnet und zwar so richtig. Täglich laufen wir mit geöffneten Augen durch die Gegend, aber in Wahrheit sind wir blind und übergehen die Details, die es tatsächlich ausmachen. Die Körpersprache sagt mehr als tausend Worte.
„Ich bin gerne mit dir zusammen. Du heulst nicht herum und beschwerst dich über alles", beginnt er. „Und zugeben möchte nicht ins Bett gehen und noch mehr bereuen, dich belogen zu haben."

„Ist das dieses Was-ist-wenn-ich-morgen-sterbe-Fragezeichen-Ding?"
„Ja, ich nenne es auch gerne Wer-versichert-meinen-nächsten-Atemzug-Fragezeichen-Ding." Ich habe gelernt, wann ich auf eine Aussage reagieren und wann ich antworten soll. Das ist die Art von Aussage, die keine Antwort verlangt. „Eigentlich wollte ich dich wegen Aisha nicht belügen, aber das war leichter." Er hört sich aufrichtig an. Und ehrlich? Ich kaufe es ihm ab.

Verdammt, ich kaufe ihm jedes Wort ab. Würde er mir sagen, dass ein rosa Einhorn auf den Wolken schwebt, würde ich seinen Worten glauben und würde er mir in dieser Sekunde sagen, dass die Nonne aus meinen Gedächtnis in Wahrheit hinter mir steht, würde ich es ihm glauben. Gott, Woher kommt ständig diese Nonne? Ich würde ihm jede Lüge glauben, weil er sie so ehrlich ausspricht.

Andererseits glaube ich ihm, weil ich seine Gedankenwelt nachvollziehen und tolerieren kann. Ich liebe, wie es sich mir Stück für Stück anvertraut, auch, wenn seine Geheimnisse manchmal schwer auf meiner Brust liegen. Dass er seine Probleme nicht übergeht und stur nach einem Ausweg sucht. Dass er da ist und sich mir und sich selbst stellt. Ich schätze es mehr als er glaubt und ich glaube, es ist ihm nicht bewusst.  

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