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Es ist wirklich wie in all den Klischees, die ich zuvor las. Es fehlt jetzt nur noch, dass er mir sagt, wie sehr er mich liebt und dass er sich eine Zukunft mit mir vorstellen möchte. Aber wenn er es tun würde, würde ich das erwidern? Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich wüsste, was ich fühle. Ich weiß nicht einmal, ob das Liebe ist, aber ich empfinde es anders als bei allen anderen Menschen.

Manchmal gibt es dieses kleine Kribbeln in meinen Fingerspitzen, wenn ich ihn berühre und manchmal freue ich mich auf seine Anwesenheit und manchmal könnte ich ihn stumm beobachten, weil ich ihn so unfassbar schön finde und manchmal ist in mir eine unangenehme Übelkeit und manchmal ist auch alles so kompliziert, weil ich niemals weiß, ob es zur Liebe gehört. Aber vielleicht stimme es und zur Liebe gehört der Schmerz.

Ich warte auf die wundersamen drei Worte, die er mir beichten möchte und auf den Kuss, der ebenfalls zu folgen hat.
„Du wirst mir nicht sagen, dass du mich liebst, richtig?", seufze ich mit einem schmalen Lächeln. Es macht mir wirklich nichts aus, weil ich weiß, was er für mich empfindet. Es sind nicht die Worte, die unser Vielleicht bestimmen, aber sie sind es, die es zu einem sicheren Hafen machen.

„Nein", antwortet er eintönig. „Ich kann noch nicht."
„Warum?" Er sieht mir tief in die Augen und hebt seine Hand an, um seinen Finger in meine Wange zu drücken. Ich weiß, dass es wirklich seltsam ist und gar nicht zur romantischen Atmosphäre passt, aber möchte er das machen, dann soll er das tun.
„Ich will, dass es die letzten Worte unseres Klischees werden", beantwortet er mir die Frage, welche ich zuvor im Auto gestellt habe. „Erst, wenn alles gut wird."

„Es ist alles gut, Latif."
„Ja, aber dieses Vielleicht schließt sich, wenn ich die sage, dass ich dich liebe."
„Warum sollte es sich schließen? Unsere Geschichte beginnt doch genau ab dem Moment."
„Ja, aber wir werden dann ein zu einem Sicher." Ich begreife, worauf er hinaus ist und ehrlich? Das ist mir neu. Ich habe nie darüber nachgedacht, dass unser Maybe dann endet, wenn eigentlich alles anfängt. Dieses Maybe war unsere Vorgeschichte, aber bin ich ehrlich, dann war sie dramatisch genug.

„Of course?"
„Yes." Er lächelt wie er immer lächelt und nimmt nun auch seinen zweiten Finger, um ihn in meiner Wange zu vergraben.
„Das Ende könnte aber jetzt kommen."
„Nein, wir brauchen es klischeehaft."
„Ist es nicht klischeehaft genug?", frage ich sarkastisch und deute auf die Aussicht und unserer Position.
„Ja, aber ich will die Chemo hinter mir haben."

„Und dann?" Ja, das heilige Und dann.
„Dann beginnt ein schönes Leben." Irgendwie ist es unvorstellbar, dass es mir jemals im Leben gut gehen würde. Ich kann nicht einmal sagen, ob es mir gerade gut geht, denn wenn ich in den Himmel schaue, denke ich nur daran, dass ich die zwei wichtigsten Menschen verlor. Wie soll ich mit diesem Gedanken jemals wieder glücklich werden? Ich puste die Luft aus meinen Wangen und trete zurück, so dass er seine Berührungen entzieht.

„Ich habe das Essen vergessen", teilt er mir plötzlich mit. Ich konzentriere mich auf seine Worte, werde allerdings von Shalia und meinem Vater abgelenkt, die sich bekriegen. Sie haben sich geliebt, aber förmlich jeden Tag gestritten.
„Welches Essen?"
„Ich habe voll Bock auf Pasta." Und dann? Dann tut es erneut so verdammt weh. Der alte Latif hätte gewusst, dass ich diese Pasta so unglaublich gehasst habe. Wenn ich schon an diesem denke, dann könnte ich vor Übelkeit zu Boden fallen.

Ich versuche, keine Miene zu verziehen, doch kann nicht verhindern, dass mein halber Magen sich verkrampft.
„Pasta klingt gut", murmele ich. „Pasta klingt perfekt." Er schnaubt amüsiert und legt mir den Arm um die Schulter. Und dann? Dann schauen wir in die Ferne. Ich schwöre, dass ich an diesen Punkt am liebsten geweint hätte und nicht einmal wüsste wieso. Ich fühle mich so ... weiß ich nicht.

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