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Sicher stellt sich nun die Frage, was danach passiert ist. Das kann ich klar und deutlich beantworten: nichts. Also doch schon, ich bin halt zu Salim gefahren und habe mich meinem Vater gestellt, der erstaunlich ruhig klang, um mich von ihm verwirren und beeinflussen zu lassen. Na ja, nun habe ich andere Erwägungen und Zweifel, die ich nicht erklären kann.

Es gibt viele Was wäre wenns in meinem Kopf und mit jedem Mal, indem ich in eine falsche Richtung anstrebe, denke ich darüber nach wie es wäre, den anderen Weg einzuschlagen. Vielleicht einen Neuanfang oder vielleicht wie es wäre, die Vergangenheit verändern zu können.

Und wenn ich so recht überlege, dann fallen mir immer mehr Gründe ein, im Erdboden zu versinken, meinen Kopf auszuschalten und einfach schlafen zu gehen. Mein ganzer Körper fühlt sich taub und gefühllos an, als gäbe es diese Empfindungen in mir überhaupt nicht. Ich fühle mich überfordert und überhaupt nicht bereit, diese Welt kennenzulernen.

Ich kenne nicht einmal mich, da kenne ich erst recht nicht die Welt. Ich bemühe mich um eine ruhige Atmung und darum, die Zahlen in meinem Kopf in die Höhe schießen zu lassen und durchaus aufzuzählen, um meine Ruhe zu bewahren. Gerade bin ich bei der Nummer 849, da erklingt die dritte Nachricht, die mich mich frustriert. Ich denke nach. Ich denke intensiv über Latif und Aisha nach, auch wenn ich sie unterdrücke.
„Willst du nicht endlich rangehen?"
„Ich will sterben."

Ich hebe die Stirn vom Tisch der Rezeption und sehe auf mein Handy, in der Hoffnung, eine andere Nachricht aufblitzen zu sehen.
„Macht nichts. Geh. Ich erledige das schon."
„Ich schaffe es nicht rechtzeitig und auch nicht mit der Bahn, Luca."
„Mensch, frag doch Rana, ob sie Zaman aus der Kita abholt." Ich drehe mich zu ihm, gerade, als er in den Kalender schaut und um die Wochentage rechnet.

„Sie ist bei ihrer Schwester."
„Und jetzt lässt du deine Nichte in der Kita, oder was?" Ich beiße mir auf die Lippe und überlege, was ich tun könnte. Ich hätte erst in einer halben Stunde Feierabend und wiederum dauert es eine halbe Stunde bis ich dort ankomme. Das werde ich niemals rechtzeitig schaffen. Ich greife nach meinem Handy und starre das Display an, ringe innerlich mit meinen Gefühlen und verfluche mich für die einzige Möglichkeit.

Ungern würde ich Ayman um Hilfe bitten, doch er erscheint mir wie die einzige Lösung, die gerade in Sicht ist. Ich möchte Latif nicht um Hilfe bitten, vor allem nicht nach allem, was vorgefallen war und nicht nachdem ich sah wie Aisha seine Hand hielt und nicht nachdem ich nichts gemacht habe außer zu stehen und nichts tat, statt ihm zu helfen.

Mein ganzer Kopf arbeitet nicht mehr rational, sondern geht auf diesen Kompromiss ein und veranlagt meinen Finger, auf seinen Kontakt zu tippen. Er schrieb mir. Er schrieb mir viel und häufig und unnötigerweise, aber ich habe ihm nie geantwortet. Das muss nicht nur bescheuert, sondern auch hinterhältig rüberkommen, wenn ich plötzlich an seiner Tür klopfe.

„Aziza?" Seine Stimme klingt verwirrt und auch ein wenig aus der Puste, als ich mir über die Stirn fahre und meine Augen schließe.
„Hey." Hey? Dein Ernst?
„Alles in Ordnung?"
„Ja, also, ja. Alles in Ordnung." Ich räuspere mich unangenehm. „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten."
„Willst du etwa sympathischer rüberkommen?", fragt er amüsiert und erinnert mich dabei an die Konversation zwischen Latif und mir, ehe es bei ihm raschelt.

Ich schlage meine Augen auf und lächele darüber, doch schüttele den Kopf, obwohl er dies nicht sieht.
„Sicher nicht." Ich hebe meinen Blick und treffe auf dem von Luca, der mich vielsagend ansieht, als er mein Lächeln auf den Lippen wahrnimmt. Er formt mit seinen Händen ein Herz und deutet auf seine Brust wie schnell und verrückt es schlägt, was ich nur mit einem Augenrollen annehme.
„Wie auch immer. Wo bist du?"
„Bei Halim." Oh, bei Halim.
„Also ich bin noch bei der Arbeit und ..."
„Soll ich dich abholen?"
„Nein. Kannst du bitte Zaman abholen?"

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