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Grelles Licht. Das war dann auch wieder mal alles. Ich öffne meine Augen und bemerke das grelle Licht, das meine Augen zusammenkneifen lässt. Nein, da sind keine Schmerzen und nein, da sind auch keine Empfindungen. Da ist nichts. Langsam nervt mich dieser Roman allmählich, weil wirklich kaum bis keine Gefühle in diesen enthalten sind. Ich verspüre aber nun mal nichts außer die verdammte Verwirrung, aber auch diese verschwindet nach einigen Sekunden.

Und dann? Dann hätte ich am liebsten geweint. Nicht, weil ich realisiere, was passiert ist, nein. Ich hätte geweint, weil ich verdammt noch einmal am Leben bin. Ich atme mit jeder Sekunde und ich sehe mit jeder Sekunde und ich bin hier mit jeder Sekunde. Ich hätte sterben sollen. Wieso bin ich hier und nicht tot? Warum hat mich mein Schöpfer nicht zu sich geholt? Warum durfte ich diese Dunya nicht verlassen?

Ich weiß nicht, was ich verspüre. Es ist eine so große Qual, dass ich keine Schmerzen verspüre. Ich wünsche mir Schmerzen und eine unfassbare Trauer, aber da ist einfach nichts. Wie soll ich etwas beschreiben, was es nicht gibt? Mein Körper fühlt nichts. Alles, was plötzlich zu hören ist, ist mein eigenes Schluchzen in dieser Dunkelheit, die sich die Dunkelheit der Nacht nennt. Alles, was ich sehe, ist ... nichts. Ich schließe meine Augen und beginne laut zu schluchzen.

Ich erinnere mich daran, wie der Airbag aufsprang und wie nichts mehr passierte. Wie tot er neben mir lag und so leblos aussah wie es mich nur an Shalia erinnert. Mein erster Impuls war er und alles, woran ich gerade denke, ist er. Sein Blut und der Rauch und ich und einfach alles. Das war zu viel für mich. Das waren zu viele Gefühle, die undefinierbar auf meiner Seele kleben.

Mein Schluchzen wird immer lauter und alles was ich wahrnehme, ist dass mein Körper unaufhörlich bebt. Er bebt so wie die Welt um mich herum bebt. Meine Welt zerbricht immer mehr und was dann? Nichts. Was soll ich dazu sagen? Ich bin tot. Zählt dieses Leben als richtiges Leben? Ich ... ich will das alles nicht mehr, weil ich einfach hier weg und bei Baba sein möchte und gleichzeitig möchte ich aber hier sein und eigentlich ist alles zu viel, aber ich weiß nicht.

So viel. So unglaublich viel und gleichzeitig nichts. Meine Gedanken sind mehr als davor und die Ruhe in diesem Raum macht die Situation nicht erträglicher. Zumindest ist es so lange unerträglich, bis das Licht sich anschalten lässt und alles endet. Also nicht das Nichts, weil dieses bleibt wohl auf ewig, aber diese Verzweiflung nimmt ab. Langsam habe ich wieder das Gefühl, atmen zu können, auch wenn ich es nicht möchte. Also halte ich die Luft mit dem Mal an, als das Licht angeht und schweife wieder in die Dunkelheit durch das Schließen meiner Augen.

„Aziza?" Aber ich will Atmen. Ich ziehe ein Mal tief die Luft ein und nehme einige Tränen auf meinen Lippen auf. Ich reiße schon förmlich die Augen auf und schrecke zurück, doch beruhige mich sofort, als ich meinen Vater entdecke. Er ist da und wirkt irgendwie ... besorgt.
„Baba", flüstere ich. Er weiß nicht, welch eine Last er mir mit seiner Anwesenheit nimmt. Er ist da und das reicht mir aus. Seine braunen Haare sind grauer geworden und die Falten auf seiner Stirn zeichnen sich durch sein Alter ab. Er wirkt nicht sonderlich davon überzeugt, hier zu sein, aber er ist es und es bedeutet mir die ganze Welt.

Mein ganzer Körper fühlt sich wie wiederbelebt an. Ich verspüre zwar keine Schmerzen, aber Unmengen an Kisten, die wieder auftauchen. Manchmal hat auch Schlechtes etwas Gutes an sich.
„Baba", wiederhole ich und wische mir über das ganze Gesicht. Er tritt auf mich zu und ... Hat er geschlafen? Hat er wirklich auf dem Stuhl im Zimmer geschlafen?

Seine Hand fährt über meine Haut, die zu kribbeln und zu jucken beginnt. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt solche Empfindungen gespürt habe, aber, dass er hier - und wirklich hier - ist, schätze ich viel mehr als er ahnt. Ich beiße mir schwer auf die Lippe, um mein Schluchzen zu blockieren, presse meine Hand auf seine und da sind sie. Nein, keine weiteren Menschen, die den Raum betreten. Nö, das nicht.

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