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In den nächsten zehn Minuten erfüllt unser Schweigen den Innenraum des Autos, bis es schon unangenehm wird, die Luft einzuatmen, die die Jungs zuvor ausatmeten. Warum ich kein Ton hervorbringe, wissen die meisten mittlerweile, aber die Stille zwischen Yin und Yan ist mir ein ziemliches Rätsel, das sich nicht lösen lässt.

Natürlich lässt sich Latif davon nicht beirren und kommentiert die vorbeilaufenden Menschen, die Farbe des Himmels und sogar unsere Mimik, die wir monoton aufsetzen.
„Wie geht es euch eigentlich?" Er legt seine Hände jeweils links und rechts von Aymans und meinem Sitz, wodurch er sich mittig vorlehnt und glücklich zwischen uns schaut. Ich habe es schwer, nicht in seine Richtung zu schauen, sondern das Mädchen durch das Fenster zu beobachten, das auf der Bank sitzt und auf ihrem Handy tippt.

„Mir geht es auch gut. Danke der Nachfrage." Von Ayman erntet er nur ein Schnauben, das sich nicht weiter ausbreitet. Kurz ist es ruhig, bevor Latif wieder spricht: „Ihr sieht depressiv aus." Diesmal ertönt das Schnauben aus meiner Kehle.
„Ja, das machen Depressionen mit Menschen", nuschele ich, dass man es fast nicht gehört hätte. Beide werfen mir kritische Blicke zu, doch weiter bleibt dies unkommentiert.

„Aziza?" Mein Schweigen spricht bände. Ständig, wenn ein Ton seine Lippen verlässt, überkommt mich mein schlechtes Gewissen, das mit der Frage ringt, ob wirklich alles okay bei ihm ist. „Schaust du Fußball?", fragt er plötzlich unerwartet. In seiner Stimme schwingt Faszination mit. „Ich habe damals als Kind Fußball gespielt. Im Verein."
„Latif?"
„Ja?"

„Hör endlich auf, zu reden." Mein Kopf fühlt sich schwer an, weshalb ich ihn an die Kopflehne stütze und meine Gedanken zu sortieren probiere, aber das ist unmöglich, wenn er mir um die Ohren redet. Klar, vielleicht ist es gut, wenn er spricht, um genau das zu verhindern, aber manchmal bin ich lieber meinem Kopf als ihm ausgeliefert. Tatsächlich hört er durch unsere düsteren Wolken, die sich auf seine gute Laune übertragen, auf zu sprechen.

„Seid ihr mit dem falschen Fuß aufgestanden, oder was?", motzt er. Als wir ihm nicht antworten, lehnt er sich wieder zurück. „Ist heute der Alle-ignorieren-Latif-Tag?"
„Wer ignoriert dich denn außer wir?", fragt Ayman.
„Das reicht doch schon, dass ihr mich ignoriert." Für eine Sekunde tut es mir leid und ich überdenke mein Verhalten. Ich lasse den Kopf zu ihm schellen, da begegne ich sofort seinem Lächeln, dass mich nicht anlügt.

Er lügt nicht oder er ist ein verdammt guter Lügner - ich kann es nicht unterscheiden. Es dauert keine fünf Minuten bis Ayman vor dem Baumarkt anhält und mir zuerst deutet, auszusteigen.
„Ich komme gleich nach. Ich muss das Auto nur parken." Ich steige wortlos aus dem Wagen, doch Latif wäre ja nicht Latif, wenn er mir nachkommen und wie eine Klette an mir kleben würde. Ich krame währenddessen nach dem Abholzettel und ignoriere seine Präsenz, die ganz nah an mich rückt.

Bilder der letzten Tage tauchen vor meinem Auge auf, so dass ich es schwer habe, nicht angeekelt zurückzuweichen oder sein Verhalten aufgrund der aufgefundenen Drogen zu überdenken oder daran zu denken, dass er eine Freundin hat. Als ich vor der Kasse halte und dem Mitarbeiter meinen Zettel übergebe, spüre ich Latifs Blicke auf mir brennen, seinen Atem, den er ausatmet und einfach alles. Jeden Atemzug und jede kleinste Bewegung und jeden Blick und jedes Lächeln.
„Ein Foto hält länger", merke ich an, als der Mitarbeiter mit dem Bestellzettel verschwindet und uns somit alleine lässt.
„Aber in real ist es viel schöner."

Ich weiß, dass er probiert, mich aus dem Konzept zu bringen und beinahe hätte er es geschafft.
„Hör auf damit."
„Warum?" Ich könnte ihn genau jetzt sagen, was ich weiß, aber ich weiß bestens, dass er es leugnen und ich dies glauben würde. Und ich will nicht darüber diskutieren und nichts damit zu tun haben und ihn einfach nie wieder sehen. Ja, vor allem nie wieder sehen.
„Weil das nervt."
„Ich weiß." Ich höre sein Grinsen heraus, doch bevor ich etwas darauf erwidern kann, tritt der Arbeiter wieder zurück und überreicht mir ein übergroßes Paket, das nicht nur groß, sondern auch schwer aussieht.

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