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„Also eigentlich habe ich das gefragt, weil Aisha ständig sagt, ich sei egoistisch", ertönt es neben mir, wodurch ich den Blick von dem schwarzen Himmel nehme. „Sie sagt das, weil ich nie zu den Chemos komme, aber sie versteht nicht, dass sie mich beanspruchen", erzählt er meinem Blick folgend. Mein gesamter Körper verspannt sich im Augenblick und mein Herz beginnt zu rasen. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll, was plötzlich in mir tobt, aber es fühlt sich gar nicht gut an.
„Chemos?", fahre ich sofort dazwischen. Es liegt daran, dass ich noch nie eine gute Bindung zu diesem Wort hatte. Wir haben uns nur begrüßt gehabt, aber richtige Freunde sind wir niemals geworden. „Sag mir nicht, dass du Krebs hast." Während ich die Panik in Person werde, weicht alle Anspannung aus seinem Gesicht.
„Abdel hat Krebs. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich so geisteskrank bin und dir bis zur Arbeit folge."
„Wie bitte?" Er lächelt herzhaft, so dass sich meine Brust bei seinem Lächeln zusammenzieht.
„Ich komme nicht oft zu den Terminen, aber nicht, weil ich es nicht will. Ich kann einfach nicht, das begreift Aisha nicht."

Als ich ihm in die Augen blocke, liegt eine solch enorme Ehrlichkeit in ihnen, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Immer, wenn das Thema des Krebses aufkommt, krümme ich mich in mich zusammen und schalte meine Gedanken aus, aber gerade? Gerade geht es nicht. Ich bin zu schockiert von seiner plötzlichen Ehrlichkeit, als dass ich ihn jetzt anfahren und das Gespräch beenden möchte. Ich möchte ihn nachvollziehen können und erfahren, warum er ständig lügt und ehrlich? Diese Ausrede kommt mir plausibel rüber.

„Warum kannst du nicht?"
„Weil ich nur schlechte Erfahrungen damit gemacht habe." Ich auch, Latif. Ich auch. „Ich habe ihre Anwesenheit nicht geschätzt, Aziza." Seine Worte sind wie kleine Stiche, die anfangen, in meiner Brust zu picken.
„Ich verstehe es nicht. Warum bist du mit Aisha zusammen, wenn ihr euch nicht versteht?", übergehe ich die zweite Aussage gekonnt.
„Das ist kompliziert, Aziza." Er fährt sich über das Gesicht und schüttelt nachträglich den Kopf.

„Vielleicht klingt es komisch, aber bei dir fühlt es sich weniger komisch an."
„Das klingt komisch." Er schenkt mir ein bedauerndes Lächeln, welches ich nicht erwidere.
„Wenn ich jetzt nicht hier mit dir wäre, dann wäre ich bei Ayman und dürfte mir wieder anhören, dass ich wieder alles verkacke."
„Du nimmst Drogen wegen ihr?"
„Wegen Aisha?"
„Nein, wegen ihr?" Sein Lächeln verblasst augenblicklich. Er beginnt damit zu grübeln, denkt nach und schüttelt schließlich den Kopf.

„Ich glaube, mit dem Rausch vergisst man seine Sorgen."
„Du glaubst das?"
„Ja. Sonst würden Menschen doch keine Drogen nehmen, oder?" Er sieht mich vielsagend an und starrt anschließend in den Himmel. „Ich meine, irgendwas finden sie doch daran."
„Glaubst du, das funktioniert?"
„Sorgenvergessen? Ja, Menschen betäuben sich jeden Tag, um aus ihrer Vergangenheit zu flüchten. Wohl oder übel funktioniert es wohl."

Ich versuche krampfhaft zu übergehen, dass er in diesem Fall von sich spricht. Es tut irgendwie weh und gleichzeitig gut, wenn ich darüber nachdenke, dass es nicht nur mir schlecht geht. Aber ehrlich? Es wirkt bei ihm nicht so. Er lacht sorgenlos und diese ganzen Tatsachen scheinen ihn nicht die Bohne zu interessieren. Er erzählt mir davon, ja, aber er wirkt darüber nicht aufgebracht, sondern vielmehr erleichtert. Ihm geht es besser als gut und ich verstehe einfach nicht wieder.

„Lach mal", sagt er plötzlich, als ich ihm zu lange ins Lächeln starre. Tatsächlich hebt sich mein Mundwinkel. Nicht wegen ihm, sondern wegen dem Klischee, das ich las und das sich in meinen Kopf gebrannt hat. Ganz ähnlich, ganz vertraut, aber weniger ehrlich. „Weißt du, Aziza", setzt er an. „das Leben ist richtig schön."
„Du lügst." Er schüttelt sofort den Kopf und deutet auf den dunklen Himmel.

„Warum glaubst du mir nicht?" Wie viele dieser hunderten von gründe soll ich ihm aufzählen? Es sind so viele, dass ich nicht weiß, wo ich beginnen soll.
„Weil kein Mensch das leben bedingungslos liebt."
„Ich lebe bescheiden."
„Du hantierst mit Drogen."
Er stöhnt genervt. „Verstehst du jetzt, warum ich dir nichts davon erzähle?"
„Weil man das normalerweise nicht tut?"

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