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Im Gegensatz zu meinen eigenen, spüre ich seine Glücksgefühle im Innenraum des Autos herumschwirren. Ich versuche zwar, diese mit seiner Euphorie auf mich übertragen zu lassen, aber irgendwie funktioniert es nicht wie erhofft. Ich würde auch gerne von einem Ohr zum anderen strahlen und dabei sorgenlos durch die Stadt fahren. Ob er mal schlecht gelaunt ist? Ob er so etwas überhaupt kennt?

Ich merke überhaupt nicht wie ich ihn anstarre, bis zum Punkt, an dem er zu mir sieht und sein Grinsen wächst. Mir fällt auf, dass nicht nur seine geraden Zähne zum Vorschein kommen, wenn er grinst, sondern selbst ein Teil seiner oberen Fleischhaut.
„Du kommst mir irgendwie bekannt vor."
„Ja, ich bin Latif. Hallo." Er lächelt so breit wie ein Kind, das soeben seine Lieblingssüßigkeit bekommen hat.
„Nein, das meine ich nicht. Von der ersten Sekunde kamst du mir bekannt vor."

„Ich war in deinen Träumen."
„Bezweifle ich."
„Ich bin dein Traum."
„Bezweifle ich noch stärker."
„Aziza?", fragt er plötzlich. Eigentlich ist es jedes Mal, wenn er eine Frage stellt, irrelevant, vorher meinen Namen zu sagen, aber er tut es und findet es kein wenig komisch, wenn ich dabei nicht antworte. „Wie lange lebst du schon in Berlin?" Und ich bin jedes Mal über seine plötzlichen Themenwechsel beeindruckt.

Er braucht keine Minute, um ein ganz neues Thema einzuschlagen und verbringt keine Sekunde damit, die Stille einkehren zu lassen. Machnmal danke ich ihm wirklich für diese Charaktereigenschaft, aber manchmal, da möchte ich einfach nicht mehr reden. Wie jetzt auch. Ich lehne meinen Kopf an die Kopflehne und atme durch die Nase. Die Gedanken sprudeln in meinem Schädel, so dass ich nicht bestens weiß, an welchem Ansatz ich meine Lebensgeschichte zu erzählen beginnen soll. Ich ziehe in Erwägung, über alles zu lügen, aber ich weiß, dass es falsch wäre.

Manchmal hat Rana recht und ich verfalle tatsächlich in alte Gewohnheiten, aber das möchte ich nicht. Ich möchte mich nicht isolieren und traurig sein.
„Schon immer", antworte ich in die Vergangenheit zurückblickend. Damals zogen wir in einen anderen Bezirk und in keine neue Stadt. Ich frage mich bis heute, wie es meine Mutter geschafft hat, uns fremd zu werden und ein neues Leben aufzubauen mit dem Hintergedanken, dass wir keine 50 Kilometer von ihr entfernt sind.
„Ich habe dich noch nie gesehen."

Ich werfe ihm einen flüchtigen Blick zu und bemerke dabei wie er vom Gas abdrückt, damit er vorsichtiger fährt. Das Auto stockt zwar ab und zu und es wirkt noch immer wie ein großer Fehler, mit ihm auf einer Autobahn zu fahren, aber er bemüht sich wirklich, diese Fahrt so angenehm wie möglich zu halten.
„Ich dich auch nicht."
„Ich lebte aber auch schon immer hier."
„Ich wohnte woanders. Dann bin ich wieder ins Viertel gezogen."
„Wo hast du davor gelebt?" In der Hölle.
„Nicht weit von hier", sage ich schließlich, um nicht tiefer ins Detail gehen zu müssen.

Ich bemerke wie leise meine Stimme wird, weswegen ich mich räuspere.
„Jedenfalls bin ich vor zwei jahren wieder hergezogen."
„Kanntest du Rana schon damals?"
„Ja. Schon seit dem Kindergarten." Er hält vorsichtig an als würde er fürchten, mich durch ein weiteres Stocken zu verschrecken. Kurz bin ich über sein Anhalten verwirrt, bis ich vor mir linse und sehe, dass wir im Stau stehen.

Mein Magen verkrampft sich unangenehm, als ich daran denke, wie lange ich hier sitzen könnte und mich unterhalten würde. Ich war so in meinen Gedanken versunken, dass ich überhaupt nicht mitbekommen habe, wohin wir fahren. Trotz der angenehmen Atmosphäre verschwindet diese unangenehme Sicherheit in mir nicht.
„Ja und weiter?", reißt er mich aus meinen Gedanken. Ich starre vor mich in die Ferne und auf die roten Scheinwerfer. Es ist so viel stau, das meine Fingerkruppen über meine Schenkel fahren und sich bemühen, nicht in diese zu kneifen.

„Aziza?"
„Ja?" Ich schüttele bei meiner Verwirrung den Kopf und raffe mich erneut. Komm schon, Aziza. Du schaffst das. Das ist nur eine Unterhaltung. „Dann kamen wir in die Grundschule und danach haben sich meine Eltern getrennt." ich zucke lässig mit den Schultern, obwohl sich jede Faser verkrampft. „Ich bin zu meinem Vater gezogen." Er sieht mich unbeeindruckt an, als würde ihn diese Aussage völlig kalt lassen. Ich hätte mit einem mitleidigen Spruch gerechnet, der nur von Latif kommen könnte, aber er winkt ab, um die Sache nicht größer zu machen als sie ist.

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