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„Also sind es deine Drogen?"
„Ja", antwortet er trocken ohne Amüsement in der Stimme. Ich nicke.
„Okay."
„Okay? Ich will sie zurück."
„Ich will auch vieles zurück." Angefangen mit meinem Leben.
„Ist es dein Ernst? Das war teuer!"

„Statt dein Geld für so einen Dreck zu verwerfen, hättest du deine Familie stolz machen können", zische ich, als ginge es um mich. „Weißt du eigentlich, was das mit einer Familie macht? Weißt du, wie viel Hoffnung in ihnen steckt?"
„Aziza ..."
„Nein", unterbreche ich ihn. „Bitte, bitte Latif, bring mich einfach nach Hause." Er sieht mich so an, als könnte er nicht glauben, dass dieser Mensch in mir steckt der nun einmal in mir steckt.

Ich bin verletzlich und auch naiv und vielleicht viel zu gutgläubig. Ich hatte gehofft, dass ich mich irre, aber er hat nichts getan als zu lügen.
„Du hast eine Freundin, stimmt's?" Er zögert. Er zögert viel zu lange, als, dass es noch Sinn macht, zu hoffen, dass etwas anderes dabei rauskommt.
„Ja." Und dann? Dann nichts. Da ist kein langanhaltender Schmerz und keine tausende von Fragen, sondern schließlich nur die angehaltene Luft und ich.
„Kannst du mich nach Hause fahren?"
„Aziza ...", wiederholt er.
„Bitte." Er wirkt nicht wie der Mann, den ich kennengelernt habe.

Nein, er wirkt weniger lebenslustig und viel zu monoton. Ich glaube die Monotonie ist viel verwirrender als, wenn er mich angeschrien und mich beleidigt hätte. Es schmerzt vielleicht in diesem Fall etwas mehr.
„Ich brauche diese Kugeln."
„Du bekommst sie nicht. Sie sind im Müll."
„Hunderte von Euros einfach im Müll? Willst du mich verarschen?"

Er lacht ungläubig auf, statt seine Wut an mir auszulassen, die sich jedoch in ihm aufstaut. Das erkenne ich an dem zuckendem Auge und das nervöse Fummeln an seinen Händen.
„Fahr mich nach Hause."
„Ich fahre dich in die Hölle, wenn du sie mir nicht gibst."
„Du bekommst sie nicht, Latif. Wo sind denn deine Charme hin?" Er blinzelt mehrmals und ballt seine Fäuste.

Anschließend beginnt er gegen das Lenkrad zu hauen, so dass das Hupen ertönt und ich erschrocken zusammenfahre, bevor er sich müde dagegen lehnt, als würde ich seinen letzten Nerv rauben.
„Okay", flüstert er leise zur Beruhigung. Er murmelt etwas vor sich hin, was ich nicht identifizieren kann, jedoch bestens von meinem eigenen Vater kenne. Das ist der Moment der Verzweiflung, in dem er nachdenkt, ob er mich in die Hölle schickt, mich foltern oder es leichthin hinnehmen sollte. „Wo im Müll?"

„Keine Ahnung."
„Aziza." Er hebt den Blick an und auch, wenn er versucht, nicht düster dreinzuschauen, überspielt seine Sanftheit gar nichts.
„Tut mir leid." Irgendwie tut mir vieles leid: Dass ich sie weggeschmissen habe und dass er sie einnimmt und dass er einen Grund hat, sie einzunehmen und dass ich es nicht verstehe und dass ich es nicht nachvollziehe und dass er so verblendet ist und dass ich so traurig bin. Es tut mir so verdammt leid, dass ich so traurig bin. „Ich wollte dir nichts Böses."

„Ist dir bewusst, was du getan hast?"
„Ja."
„Gut", faucht er schließlich und startet den Motor. Ich fühle mich schlecht, dass ich ihn nicht gleich mit allem konfrontiert habe, aber normalerweise beinhaltet das Klischee ohnehin, dass ich alles falsch verstanden habe und er eigentlich der Gute dieser Geschichte spielt. Aber diese Drogen sind - waren - seine und er hat in Wirklichkeit eine Freundin. Es spielt seine Rolle, aber ich weiß nicht, welche das ist.
„Bist du wütend?", frage ich zögernd, als er kurz davor ist, loszufahren.

„Alles gut." Aber es hört sich überhaupt nichts gut an.
„Ich wollte wirklich dein Bestes."
„Alles gut." Ob er sich selbst zu belügen versucht? Maybe. Wie es scheint, möchte er nicht mit mir reden und tut lieber so, als gäbe es mich nicht.
„Fährst du mich nach Hause?"
„Ja."
„Darum wolltest du mich sehen?"
„Ja."

Es gab also kein Interesse so, wie er es mir zuvor schon sagte und auch keine Ruhe, die er normalerweise ausstrahlt. Irgendwie bin ich beruhigt darüber, dass es so gekommen ist, denn nun kann ich erleichtert einatmen. Auch, wenn es wirklich kein schönes Empfinden ist, wenn man bedeckt, dass sich jemand tatsächlich für eine kleine Sekunde für deinen Charakter und nicht deinem Aussehen interessiert, ist es doch gut, es früh genug erkannt zu haben. Oder? Na ja, keine Ahnung. Wüsste er von den Depressionen, dann wäre er spätestens bei diesen verschwunden. Aber so ist das Leben. Es macht nichts, denn er lügt und lügt und ich wurde schon zu lange belogen. Der Fakt, dass er zugegeben hatte, dass er vergeben ist, ist dabei völlig nebensächlich.
Als er noch immer nicht losfährt und stattdessen zu fluchen beginnt, wage ich endlich einen Blick in seine Richtung.
„Was ist?"
„Ich glaube ..." Er zögert und verzieht sein Gesicht. „Gehört es zu einem Klischee, wenn das Auto plötzlich den Geist aufgibt?"
„Was?", frage ich fassungslos und lehne mich vor, um zu erkennen, wo das Problem liegt, obwohl ich mich nicht mit jeglichen Arten von Autos auskenne. „Als ob."
„Doch. Der Motor springt nicht an."

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