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Statt auch nur einen Bissen von meiner Pizza zu nehmen, starre ich diese an, als würden wir einen Blickkampf führen, wogegen mir erst im Nachhinein auffällt, dass sie überhaupt keine Augen besitzt. Vielleicht kommt der nicht vorhandene Appetit davon, dass diese Pizza Mais beinhaltet und ich Mais auf keinen Pizzen mag oder vielleicht davon, dass ich einfach hier weg möchte, weil ich zu viele Blicke auf diesen Tisch spüre. Rana hat sich hingegen eine Hawaiipizza bestellt, bei der jeder ein krummes Gesicht zog, Latif eine Magarita und Ayman dieselbe wie ich.

Im Gegensatz zu Rana und Latif ist er eine ruhige Persönlichkeit, die nicht viel redet, sondern lieber zuhört, als selbst zu sprechen. Er ist zurückhaltend, aber das auf keine unangenehme Art und Weise und versucht sich demnach häufig in das Gespräch zu integrieren, woran er oft scheitert, während ich mir keine Mühe mache, auch nur ein Buchstabe über die Lippen zu bekommen.

„Warum trägst du eigentlich immer eine Mütze?" Rana schluckt den Happen ihrer ekligen Pizza und zeigt ausdrücklich in Richtung Latif.
„Das ist mein Markenzeichen. Einfach mein Ding", sagt er stolz. „Mützen sind eine krasse Erfindung der Menschheit."
„Wir sind in einem Restaurant."
„Und trotzdem wird trotzdem nicht abgenommen."

Sie kneift ihre Augen angriffslustig zusammen, doch bevor sie weiterspricht, übernehme ich diesen Part.
„Er hat eine Glatze." Empört über meine Aussage zieht er scharf die Luft ein.
„Ich habe schönere Haare als du, Fräulein."
„Ach ja?" Nachdrücklich nimmt er seine Mütze mit der linken Hand ab, mit der er das Essen nicht anrührte, behält jedoch seine Pulloverkapuze auf.

Das ist tatsächlich das erste Mal, dass ich seine Haare beäuge und was ich sehe, fasziniert mich mehr als es sollte. Seine dünnen, schwarzen Haare liegen im platt und zerzaust auf seinem Kopf. Sie sind nicht dunkelbraun und auch überhaupt nicht eintönig braun, sondern pechschwarz wie es seine Augen sind. Die Schwärze und seine Bräune machen sein Eigenbild so besonders, weil ich noch nie zuvor solch eine äußerliche Dunkelheit gesehen habe, die so stark vom innerlichen Licht bestrahlt wird.

„Okay, das ist eklig. Ich gehe meine Hände waschen. Gibt mir eine Minute." Bevor wir etwas zu dem sagen können, drängt er sich zwischen Ayman und dem Tisch, um im WC zu verschwinden. Noch immer frage ich mich, wie ein Mensch so selbstsicher laufen und sich gleichzeitig so ernstlos verhalten kann, als würde es keine Probleme auf der Welt geben und diese prinzipiell ihm gehören.
„Du findest ihn toll." Ich nehme den Blick von Latifs Rücken und räuspere mich fragend.
„Was?"
„Du findest ..."
„Du nervst, Rana."

Sie lächelt bloß entschädigend und beißt von ihrer Pizza. „Er hat keine Glatze, sieht gut aus, ist aufmerksam. Was verlangst du mehr?"
„Du nervst immer noch." Als ich auf eine Reaktion von Ayman warte, bemerke ich seinen stets hängenden Blick auf Latif, der hinter einer Tür verschwindet. Er verzieht unbewusst das Gesicht und schüttelt unbemerkbar den Kopf, bevor sich sein Grau und mein Braun treffen.
„Der nimmt eigentlich nie seine Mütze ab."
„Schläft er damit?", fragt Rana belustigt und lenkt die Aufmerksamkeit erneut auf sich.
„Ja, ich schwöre es."

Warum kommentiert keiner wie komisch diese  Tatsache ist? Stattdessen versinken zu zweit in einem Gespräch über ihr Lieblingsessen, aus welchem ich mich raushalte, weil mich der Fakt mit der Mütze eher unschlüssig nachdenken lässt. Jeder, der ein wenig Verstand besitzt, weiß mittlerweile, dass mein Nachdenken am Ende zu zu viel Nachdenken führt und ich lieber zu nachdenken aufhören sollte, um nicht allzu viel nachzudenken.

Ich kämpfe weiterhin mit meinem Hunger, den ich in den Hintergrund stelle und meinen Gedanken, die mich zu überfluten und zu ertrinken drohen. Sie brüllen mich an und ich weiß nicht einmal wieso. Vermutlich, weil es an der Zeit ist, meinen Vater zu kontaktieren, vielleicht weil ich einsam bin, vielleicht aber auch, weil ich mir vorstelle wie Latif mit seiner Mütze einschläft. In meinem Kopf sind so viele Fragezichen und so wenig Antworten, die mich reizen und beinahe krepieren lassen.

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