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Es fühlt sich so an, als wäre es gestern gewesen, dass ich die Nachricht des Schicksalschlages angenommen habe. Es ist selbst nach zwei Monaten unglaublich schwer, sich nicht mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen und sich selbst die Schuld für alles zu geben. Es ist so verdammt schwer, sich jeden Tag im Spiegelbild ertragen zu müssen.

„Ich möchte nicht, Luca."
„Du kannst jetzt nicht alles abblasen, weil du Angst hast." Er erscheint neben mir im Spiegelbild und sieht stolz drein. „Du siehst aus wie eine Prinzessin."
„Aber was ist, wenn ich alles kaputt mache? Was ist, wenn alles schief läuft? Was ist, wenn ich ..."
„Was ist, wenn du überglücklich zurückkehrst?"
„Ich weiß nicht, Luca. Es fühlt sich so falsch an."

Er legt mir die Hände auf die Schultern und nimmt mir mit nur einem Lächeln all meine Zweifel. Ich habe nicht gelernt, glücklich zu sein, aber ich habe gelernt, zu akzeptieren. Es ist schwer, ja, aber mit den richtigen Menschen um einen herum ist alles möglich.
„Du weißt nicht einmal, wie sich falsch anfühlt." Ich lasse das genau so stehen und lege meine Hand auf den Anhänger meiner Halskette. Es ist mein kleiner Schmetterling und eine große Bedeutung. Vielleicht fliegt er irgendwann davon und beginnt sich zu entfalten.

Ich atme tief durch und nicke mir selbst zu, bevor ich nach der Umhängetasche greife.
„Und Aziza?", fragt er, bevor ich seine Wohnungstür verlasse. Ohne, dass er etwas zu sagen braucht, nicke ich lächelnd.
„Mach ich." Und er? Er tut es mir gleich und nimmt einen guten Atemzug.

Als ich hinter die Türschwelle trete, verspüre ich etwas, was dem Kribbeln, das so komisch in all den Klischees beschrieben wird, gleicht, aber es fühlt sich falsch an, so etwas zu empfinden. Es fühlt sich falsch an, sich leicht zu fühlen. Ich lasse mir die Zeit, die ich brauche, damit ich auf der Straße ankomme und dann hier stehe und dieses Auto wie damals schon sehe und er drinnen sitzt und es sich einfach wie früher anfühlt.

Es ist, als wäre alles wieder normal. Es hat zwar nicht seine Erinnerungen zurückbekommen, aber wir haben sie durch neue ersetzen können. Ich steige in den Wagen und begegne dem Strahlen und allem Drum und Dran, das ich in letzter Zeit viel zu häufig wahrnahm.
„Ich wusste, dass ich dich zum Date überrede."
„Mach endlich, bevor ich es mir anders überlege."

Er schnaubt amüsiert und zögert nicht, bevor er losfährt. Sein Fahrstil ist durch sein taubes Bein noch immer kryptisch, aber das versuche ich so gut wie möglich zu übergehen, allerdings darf er nicht schneller als 50 km/h fahren - so die Regel.
„Wie geht es dir?"
„Gut und dir?"
„Du lügst noch immer grottenschlecht", spottet er und behält den Blick fest auf den Straßen.

„Ja, ich sollte es aufgeben."
„Erzähl mir deine Sorgen." Immer, wenn er solche Sätze hervorbringt, dann fehlt irgendwas. Irgendetwas, was mich an den alten Latif erinnert, aber ich gebe mich mit dem neuen zufrieden. Ich möchte nicht vor ihm erwähnen, wie sehr ich es vermisse, wenn er mich Mylady oder meine Hübsche nennt, damit er dies nicht tut. Er würde es tun, um sich unseren alten Gewohnheiten anzupassen, nicht weil er es für nötig hält. Seine fehlenden Komplimente sind mir von der ersten Sekunde aufgefallen, aber gesagt, habe ich nie etwas.

„Das Wesentliche."
„Dein Vater?"
„Ja", antworte ich gedankenverloren. „Ich frage mich nur, wie ich nie etwas hätte merken können. Ich dachte, es würde ihm gut gehen."
„Du bist wirklich schlecht in sowas, was?" Am liebsten hätte ich ihm einen bösen Blick zugeworfen, aber selbst darin bin ich zu schlecht.
„Ich schwöre, Latif, woher hätte ich ahnen können, dass so etwas passiert?"

„Manchmal passiert etwas, womit man niemals gerechnet hätte." Er strebt den Weg auf die Autobahn, aber diesmal warne ich ihn, langsamer und vorsichtiger zu fahren.
„Er hatte versucht, mich zu erreichen."
„Aziza, wie oft noch? Es war nicht deine Schuld."
„Das sagt ihr, aber wer weiß das schon?"
„Ja, wer weiß das schon? Hör auf, irgendwelche Theorien aufzustellen."

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