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Manchmal überdenke ich alles, wenn ich alleine bin, weshalb ich mein Alleinsein oftmals vermeide. Ich möchte mir keine 550 Fragen stellen, die mit Warum beginnen und nur mit Darum beantwortet werden können. Das färbt sich immer auf meine Einsamket aus, weswegen ich dies vermeide und lieber Ranas Stimme in meinen Ohren lausche.

Gerade sind wir vom Einkaufen zurück gekommen und tragen unsere Tüten in Ranas Wohnung.
„Aida hat sich zu melden versucht, aber ich bin nicht rangegangen."
„Irgendwann musst du mit deiner Familie sprechen", beteuere ich, was sie mit einem genervten Augenrollen kommentiert.
„Sagt diejenige, die gar nicht mehr nach Hause zu ihrer Familie möchte."

„Haus ist nicht Zuhause."
„Du ziehst das echt durch, was?"
„Aber sowas von." Sie schnaubt verschmitzt und schüttelt abwägend den Kopf.
„Und du sagtest, es wäre zu übertrieben gewesen, so früh auszuziehen."
„Ich bin kurz davor, es dir gleichzutun."
„Ich habe dir von Anfang an gesagt, du solltest bei mir einziehen."

Tatsächlich habe ich es eine zeitlang sogar in Erwägung gezogen, doch seit Shalia gestorben ist, kam es nicht weiter dazu, dass ich mich damit auseinandersetzte. Einerseits, weil ich dieser Familie somit endgültig den Rücken zukehren würde, andererseits weil ich noch nicht so weit bin, so viel Verantwortung für mich zu tragen.

Bevor ich etwas darauf antworten kann, dreht sie sich zu mir und zieht verblüfft die Augenbrauen zusammen, um mir ihre Verwirrung zu präsentieren.
„Was ist?" Doch im nächsten Moment höre ich es auch. Es kommt aus der dritten Etage, auf die wir zusteuern. Es sind Stimmen und Schreie, die ich niemals zuvor wahrgenommen hatte.
„Ayman?", frage ich konfus.
„Das hört sich wie eine Frau an."

Ich zucke mit den Schultern und überhole sie, um in die nächste Etage zu joggen, halte jedoch von selbst an, als die Schreie deutlicher in meine Ohren dringen.
„Hör auf, es zu rechtfertigen!", kreischt eine Frauenstimme, die mir unbekannt ist. „Hört endlich auf damit!" Für eine kurze Sekunde ist es still, bevor ihre Stimme erneut ertönt. „Ach, ja? Echt, fick dich!" Ich drehe mich unschlüssig zu Rana, die bedauerlich das Gesicht verzieht und flehend den Kopf schüttelt.

„Bitte, lass es nicht Ayman sein, lieber Gott. Ich tue alles dafür", murmelt sie und sieht zur kahlen Decke auf. „Bitte nicht Ayman, bitte nicht Ayman ..." Die Tür wird aufgerissen und eine Frau mit blonden Haaren kehrt uns gleich den Rücken zu, als sie sich erneut der Wohnung zuwendet.
„Nein, ich bin ruhig!" Mein Kopf macht dieses Theater nicht ganz mit.

Ich brauche viel zu lange, um zu realisieren, was hier los ist und als dann eine männliche Stimme ertönt, bricht alles in meinem Kopf zusammen, weil nichts von allem noch Sinn ergibt.
„Schrei nicht, die Nachbarn hören das." Ich drehe mich sofort zu Rana, die enttäuscht die Schultern sacken lässt.
„Ayman", flüstert sie stumm.

„Rana, es ist alles gut." Ich schenke ihr ein Lächeln, aber dies ist keineswegs echt. Als ich mich zur Frau drehe, ist sie dabei, fast gegen mich zu laufen, bis sie von selbst innehält und noch röter anläuft als ohnehin schon.
„Das ... das tut mir leid." Kurz denke ich, dass es meine Worte sind, aber stelle danach fest, dass es ihre sind. Ich kann nur zögernd darauf antworten, weil ich noch immer diese Situation verarbeite.
„Macht nichts." Ich werfe einen schnellen Blick hinter ihr und sehe Ayman in allem innehalten.

Er sieht schockiert und kreidebleich aus und distanziert und abwesend. Als würde die ganze Situation falsch interpretiert werden und es nicht das sein, wonach es aussieht.
„Rana", ist das Erste, was er sagt. Er sieht sie und ich weiß in diesem Moment, dass etwas schiefläuft. Nicht er ist hierbei das Problem, sondern ich habe das Gefühl, dass ich zu vorläufig urteile.

In all den Wochen habe ich Ayman intensiver kennenlernen können. Klar, er hat eine abscheuliche Kindheit und ein enormes Problem mit sich und der Außenwelt, auch wenn er es nicht zeigt und seine bedrohliche Ausstrahlung machen diese Punkte nicht viel besser, aber in diesem Moment linse ich hinter dem Stück seiner Fassade. Er würde vieles tun und ich würde ihm vieles zutrauen, aber er ist niemals ein Fremdgeher. Das würde er nicht tun.

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