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Es stellt sich heraus, dass ich Latif wirklich keine Sekunde alleine mit den Jungs lassen kann, weil es jedes Mal, wenn sie alleine sind, entweder im Streit endet oder einer von ihnen eine verdammte glatte verpasst bekommt. Es war wirklich eine halbe Stunde, die ich ihnen gab, um zu ihm durchzudringen, aber als ich dann durch die Tür trete, bereue ich meine Entscheidung und hätte die Mütze in meiner Hand am liebsten in ihre Gesichter geworfen.

„Das habt ihr nicht getan", warne ich entsetzt und beobachte Latif mitten im Raum auf einem Stuhl sitzen, der er mich anlächelt, als wäre meine Reaktion nicht gerechtfertigt. „Ich habe euch eine halbe Stunde alleine gelassen." Ich versuche ernst zu wirken, doch kann nicht mehr verhindern, plötzlich in Gelächter auszubrechen und mich nicht mehr einkriegen zu können.

Halims Haltung lockert sich, als er merkt, wie ungehemmt ich diesen Moment hinnehme. Auch zwei weitere Jungs, bei denen es sich um Mudi und Nuray handelt, die ich zuvor kennenlernte, grinsen breit. Was Ayman macht, weiß ich nicht, denn ich rede ohnehin nicht mit ihm und mir die Laune durch ihn vermasseln zu lassen, möchte ich auch nicht.

„Sieht schon gut aus", kommentiert Nuray dazu und fährt sich über das lockige Haar. Er ist ein eher ein durchschnittlicher Mann, jedoch äußerst sympathisch. Mudi hingegen wiegt etwas mehr und wird von Ayman die ganze Zeit als Chinese betitelt, weil er der Meinung ist, dieser hätte Chinesenaugen.
„Das sieht echt gut aus."
„Nein", keift mich Latif angriffslustig an. „Hast du meine Mütze mitgebracht?"

Er versucht vom Stuhl aufzustehen, kann dies jedoch ganz schlecht, weil seine Krücken neben dem Bett liegen. Aus dem Grund eilt ihm Ayman zur Hilfe und legt Latifs Arm und die Schulter.
„Ja." Ich halte sie ihm in die Höhe, so dass er breit lächelt und Ayman darum bittet, ihm die Krücken zu reichen, die er ihm sofort übergibt. Mit diesen beginnt er sich den Weg zu mir zu bannen, bevor er die Mütze stolz annimmt.

„Sieht das gut aus?" Ich nicke.
„Fast wie früher."
„Was fehlt noch?"
„Deine Erinnerungen", stimmt Nuray zu und setzt sich zu Mudi auf das Sofa.
„Kommt, erzählt mir etwas. Frischt das in meinem Kopf wieder auf." Latif beachtet mich nicht weiter, sondern strebt sein Bett an, um sich darauf zu setzen. Es treffen sich kurz meine und Aymans Blicke, denen ich sofort ausweiche und mich an die Wand anlehne, um meine Arme ineinander zu verschränken, bevor ich mich den Jungs widme.

„Hm", überlegt Nuray angestrengt.
„Ich weiß!", ruft jedoch Mudi unterbrechend und beginnt gleich, zu lachen. Ich weiß zwar genauso wenig wie die anderen, woran er denkt, doch ein gutes Gefühl habe ich dabei keinesfalls. „Wisst ihr noch, als Ayman so ein Mädchen aus unserer Klasse in den Schrank eingesperrt hat, bis sie bewusstlos wurde?"

Nuray beginnt, gleich ins Gelächter einzustimmen und schlägt mit Mudi ein.
„Sie war zwei Stunden da drin." Als ich fassungslos zu Ayman linse, wirkt er in einer anderen Dimension. Er hört uns nicht zu, sondern wirkt so, als würde er einen Krieg mit sich führen. Kurz möchte ich mich für alles, was ich tat und sagte, entschuldigen, aber ich weiß, dass er in null Komma nix aggressiv werden kann und ich am Ende die Heulsuse bin.

„Guck mich nicht an." Halim hält Latif abwehrend die Hände in die Höhe. „Ich habe nichts damit zu tun gehabt."
„Waren wir in einer Klasse?", fragt Latif. Es ist wirklich komisch, zu wissen, dass er sich an nichts zu erinnern weiß.
„Ja, von der siebten bis zur neunten", beantwortet Halim und setzt sich zu Latif, um ihm einen Arm um die Schulter zu legen. „Aber Ayman hat die Schule abgebrochen und du bist krank geworden und ich war gar nicht dabei."

„Wo warst du?", hake ich nach.
„Auf einer anderen Schule. Ich kenne sie nur, weil Aymans Schwester meinen Bruder geheiratet hat." Als Ayman seinen Namen ertönen hört, erwacht er aus den Tagträumen und schreckt unbedacht auf, bevor er so tut, als wüsste er, worum es geht. Es fällt wahrscheinlich jedem hier deine Reaktion auf, aber sagen, tut keiner etwas.

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