Kapitel 7:

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Und ich halte mein Wort. Nachdem ich fast zwei ganze Tage mit Zeus, Hera, Hades und Dionysos trainiert habe, fahre ich am frühen Abend mit meinem alten Rad los und erreiche nach gut einer Stunde das abgelegene Haus von June.
Mein Rad lehne ich vorsichtig an die Hauswand und steige dann aufgeregt die wenigen Stufen bis zur Tür hinauf, um dort die eiserne Klingel zu betätigen. Es dauert einen Moment, aber schließlich öffnet sich doch die Haustür und die junge Schauspielerin begrüßt mich mit einem herzlichen Lächeln.
„Romy! Du bist schon hier?"
Ich nicke nur schnell und als June mich freundlich herein winkt, betrete ich dankbar den kühlen Flur.
„Du hattest gesagt, du brauchst Hilfe mit deinem Garten. Also, wo soll ich anfangen?", frage ich voller Tatendrang und wieder muss June schmunzeln. Ihre grünen Augen funkeln belustigt.
„Du musst wirklich ein schlechtes Gewissen haben... komm doch erstmal mit ins Wohnzimmer. Dort besprechen wir den Rest."
Brav folge ich June in den nahe gelegenen Raum und gemeinsam setzen wir uns nebeneinander auf die Couch. Allerdings nicht bevor uns June beiden eine Tasse noch warmen Tee eingeschenkt hat.
„Ich verstehe, dass du mir etwas zurückgeben möchtest. Und aus diesem Grund habe ich auch entschieden, dass ich deine Hilfe in meinem Garten annehmen werde. Aber: Ich möchte nicht, dass du dich zu irgendetwas verpflichtet fühlst. Ich möchte nur, dass du dort arbeitest, wenn du auch die Kraft dazu hast. Und natürlich kannst du auch weiterhin zu mir kommen, ohne arbeiten zu müssen! Bitte versprich mir, dass du diese Bedingungen einhalten wirst!", redet mir June nachdrücklich ins Gewissen. Und natürlich akzeptiere ich sie sofort.
„Versprochen! Ich hatte heute Abend sowieso nichts zu tun. Die Tiger und die restlichen Tiere waren gefüttert und ich hatte mein Training mit Bruce absolviert. Außerdem wollte ich dich sehen", sage ich ehrlich und lächle leicht. June legt interessiert den Kopf schief. Heute trägt sie ihr blondes Haar offen und es fällt ihr in fließenden Wellen bis knapp über die Schulter. Und verdeckt so größtenteils die tiefen Narben an ihrem Hals.
„Hast du die Tiger mit den anderen Tieren gefüttert oder...?"
Wir grinsen uns an, dann rolle ich jedoch mit den Augen und June schmunzelt amüsiert.
„Nein. Ich meine, klar dafür halten wir sie auch. Aber heute habe ich beide einzeln gefüttert!"
„Und Bruce? Ist das der Mann mit der Peitsche gewesen?", fragt die hübsche Schauspielerin nach und ich nicke bestätigend.
„Ja, genau. Er kümmert sich um die vier, wenn ich nicht da bin. Und er kann auch mit ihnen trainieren. Aber auf mich hören sie natürlich noch mal ein Stück besser."
Ich kann mir ein stolzes Lächeln nicht verkneifen und da lacht June wieder. Ihre grünen Augen funkeln geheimnisvoll.
„Das habe ich in der Vorstellung gesehen! Du warst wirklich große Klasse, Romy. Auch abgesehen von den Tigern. Wie du dich bewegen kannst, auf dem Trapez und auf dem Boden, mein Kompliment! Es hat schon seinen Grund warum du die Hauptattraktion eures Zirkus bist."
Von ihrem ehrlichen Kompliment rot geworden, senke ich verlegen den Blick.
Als ich wieder aufsehe, hat June nachdenklich eine Hand an ihren Hals gelegt. Und das bringt auf mich auf einen neuen Gedanken.
„Und ich freue mich, dass du auch nach deinem Unfall immer noch schauspielerst. Ich dachte damals eigentlich, du würdest nie wieder in einem Film mitspielen können", sage ich vorsichtig und sehe June unsicher an, aus Angst ich könnte mit meinen Worten zu weit gegangen sein. Doch zu meinem Glück bleibt die erfolgreiche Schauspielerin auch weiterhin entspannt.
„Das dachten wohl die meisten zu Beginn. Und ich sah kurz nach dem Zwischenfall auch wirklich nicht gut aus. Um nicht zu sagen: entstellt. Aber besonders die Wunden in meinem Gesicht sind sehr gut verheilt und was den Rest angeht...die Narben die du siehst, sind weit weniger schlimm, als jene die du nicht sehen kannst. Aber ich habe mich damit abgefunden. Auch, dass ich von nun an in jeder Rolle nur noch hochaufgeschlossene Kleider tragen kann. Glücklicherweise sieht man die Narben auf meinem Gesicht in der Kamera kaum. So kann ich wenigstens meinen Beruf noch ausüben. Wenn natürlich auch nicht mehr so uneingeschränkt wie früher", sagt June ruhig und sachlich. Doch ich höre trotzdem den versteckten Schmerz in ihrer Stimme, als sie über ihr verändertes Aussehen redet.
Ich selbst war nie oft in einem Kino. Zu teuer und ich hatte zu wenig Zeit. Aber ich habe durchaus den ein oder anderen Film mit June Evans gesehen, wenn auch nur in Ausschnitten, oder auf großen Kinoplakaten.
Ich weiß wie hübsch und ebenmäßig früher ihr Gesicht war. Aber wenn ich ehrlich bin, ist es das auch jetzt noch. Ganz außer Frage! June ist eine sehr schöne Frau. Daran können auch ihre Narben nichts ändern.
„Mach dir keine Sorgen, June. Du bist noch immer eine wahnsinnig hübsche Frau", sage ich leise und als sich unsere Blicke daraufhin treffen, lächle ich die junge Schauspielerin schüchtern an.
June nimmt mein Kompliment stumm mit einem Neigen ihres Kopfes entgegen und für eine Weile ist es angenehm still zwischen uns.
Solange bis ich schließlich aufstehe und entschlossen die Ärmel meines Hemdes hochkremple.
„Also. Wo soll ich anfangen?"
June blickt mich zweifelnd an und will gerade ihren Mund öffnen, um mir zu widersprechen, doch diesmal schneide ich ihr entschieden das Wort ab.
„Bitte June! Lass mich wenigstens versuchen meine Schuld zu begleichen!", flehe ich die andere Frau schon beinahe an und da gibt June endlich nach.
Mit einem tiefen Seufzen erhebt sie sich von der Couch, öffnet die gläserne Terrassentür und geht mir voraus in den abendlichen Garten.
„Siehst du die vielen Büsche und Hecken rund um den Obstgarten dort hinten?", sagt June und deutet auf eine weit entfernte Ansammlung mehrerer grüner Bäume, „ich hätte sie schon längst zurückschneiden müssen, aber ich bin bis jetzt noch nicht dazugekommen. Könntest du das für mich übernehmen?"
Natürlich kann ich das. Und so dauert es auch gar nicht lange und ich stehe mit einem halben Dutzend Gartengeräten bewaffnet an besagter Stelle und mache mich an die Arbeit.

Ich arbeite, bis die Sonne schließlich untergeht und ich mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden bin. Jedenfalls fürs erste.
Mein Rücken schmerzt und an meinen Händen haben sich kleine Blasen gebildet. Und natürlich bin ich auch einigermaßen verschwitzt.
Das wundert mich. Denn in meiner Freizeit verbringe ich normalerweise jede Minute damit für die Vorstellung zu trainieren. Ausdauer und Kraft habe ich genügend. Und trotzdem hat mich die Arbeit in Junes Garten sichtbar ermüdet.
Als ich zum Haus zurückkehre, erwartet mich die schöne Schauspielerin bereits mit einem kühlen Getränk in der Hand auf der Terrasse.
„Wenn du möchtest kannst du im 1. Stock duschen gehen", schlägt mir June vor, während ich dankbar das Glas Wasser mit Kirschsirup trinke, „du bleibst doch heute Nacht, oder?"
Ich gebe ihr stumm das geleerte Glas zurück und wische mir mit einem Ärmel meines Hemdes über die Stirn.
„Wenn du das möchtest? Gerne."
June lächelt nur still und bedeutet mir mit einem Zeichen ihrer Hand, ihr zu folgen.
Zusammen steigen wir die Treppe ins Obergeschoss hinauf und die junge Schauspielerin deutet auf die angelehnte Tür eines Zimmers am Ende des Flurs.
„Dort ist das Badezimmer. Mach dich in Ruhe frisch. Ich lege dir derweilen neue Klamotten zurecht."
June dreht sich um und will eiligen Schrittes davon gehen, doch ich greife schnell nach ihrem Handgelenk und halte sie sanft fest.
„Danke, June. Für alles. Es ist nicht selbstverständlich", sage ich ernst und blicke der hübschen Frau tief in ihre grünen Augen. June lächelt nur leicht und berührt mich mit ihren Fingerspitzen zart an meinem Arm.
„Das weiß ich. Aber ich tue es gerne. Für dich."
Dann tritt die erfolgreiche Schauspielerin einen Schritt zurück und steigt ohne ein weiters Wort die Treppen wieder hinunter.
Ein paar Augenblicke bleibe ich noch bewegungslos auf dem dunklen Flur stehen, doch dann atme ich tief durch und mache mich auf den Weg ins Bad, um Schweiß und Dreck von meinem Körper zu waschen.

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