Kapitel 13:

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Unruhig wälze ich mich hin und her. Ich kann einfach nicht schlafen. Nicht, wenn dies womöglich die letzte Nacht ist, die ich in Junes Haus verbringen darf.
Zwar habe ich mir fest vorgenommen die schöne Schauspielerin auch weiterhin zu besuchen, aber das wird unter den wachsamen Argusaugen meines Vaters kaum mehr möglich sein. Und wenn, dann kann ich keinesfalls mehr über Nacht bleiben.
Ich spüre wie mir alleine bei dem Gedanken, in der Dunkelheit wieder an einen fremden Körper gezogen daliegen zu müssen, übel wird. Gott bewahre wenn mich fremde Finger wieder gierig berühren. Und mich fremde Lippen verlangend küssen...
Ein gequälter Schluchzer entkommt meiner Kehle und ich verlasse fluchtartig das Bett.
Ich kann das nicht! Ich muss-...
„June?"
Meine Stimme zittert, als ich vorsichtig die angelehnte Tür zu Junes Schlafzimmer öffne. Fast sofort höre ich wie die junge Schauspielerin sich überrascht aufsetzt und dann knipst sie auch schon die flimmernde Lampe auf ihrem Nachttisch an.
„Romy? Kannst du nicht schlafen?", fragt June behutsam und als ich stumm den Kopf schüttle, winkt sie mich augenblicklich zu sich.
„Was ist denn nur los mit dir?", flüstert sie besorgt und ich lasse mich dicht neben ihr auf die Bettkante sinken.
„Hey..."
Zart streicht mir June eine Strähne meines dunklen Haares aus der Stirn und sieht mir tief in die Augen.
Ich will es ihr sagen! Es zerreißt mich! Aber ich kann nicht...denn June wird außer sich sein, wenn sie erfährt dass mein Vater mich zwingt wieder mit anderen Männern zu schlafen. Und sie wird ihn garantiert zur Rede stellen wollen. Und dann wird er Zeus und Hera etwas antun!
Ich muss sie anlügen...auch wenn sich alles in mir dagegen sträubt.
„Ich...mein Vater...er hat mich wieder geschlagen", flüstere ich bedrückt und sage damit sogar die Wahrheit. Nur eben nicht die ganze.
Wie ich es nicht anders erwartet hatte, macht sich ein wütender Ausdruck auf Junes hübschen Gesicht breit und ihre grünen Augen funkeln zornig.
„Sag mir, dass das nicht wahr ist! Was hatte er für einen Grund?!"
„Wir haben uns gestritten. Er war wütend, weil ich mir meine Hand verletzt habe", antworte ich mit gesenktem Kopf und diesmal ist es wirklich eine kleine Lüge. Denn meine Verletzung hat mein Vater noch nicht einmal bemerkt.
„Dieser Schuft! Ich könnte ihn-", knurrt June, aber dann unterbricht sie sich selbst und seufzt tief.
„Komm her zu mir."
Sanft zieht mich die junge Schauspielerin in ihre Arme und ich kann den Schmerz und den Kummer nun nicht länger zurück halten. Die Tränen laufen mir über die Wangen und ich schluchze verzweifelt auf.
Daraufhin hält mich June nur noch fester in ihren Armen und auch ich dränge mich so nah es geht an die ältere Frau heran.
Ich kann sie nicht verlieren! Sie ist so viel für mich! Ich kann nicht...
„Ich wünschte, ich könnte dir auch damit helfen, Romy. Du hast das alles nicht verdient. Du bist eine so wundervolle, intelligente, starke Frau", flüstert mir June zärtlich ins Ohr und streichelt mir gleichzeitig liebevoll über den Rücken.
„Du...du hast doch schon so-... so viel für mich getan...", erwidere ich gebrochen und vergrabe mein Gesicht an ihrem weichen Hals.
June summt nur leise und dann spüre ich kurz darauf zum ersten Mal ihre sanften Lippen auf meiner Wange.
Eine Gänsehaut überläuft mich und ich schließe ergeben die Augen.
Wenn dieser Moment doch nie vergehen würde...
Hier fühle ich mich zuhause. In Junes Armen. So sicher und geborgen. So...geliebt.
„Möchtest du heute Nacht bei mir schlafen?", fragt mich die schöne Schauspielerin schließlich leise und ich nicke still.
Es gibt nichts, was ich in diesem Moment lieber tun würde.
Und so kommt es. Eng an June geschmiegt und sicher in ihre schützende Arme gekuschelt, komme ich schließlich langsam zur Ruhe. Die Tränen versiegen, während schlanke Hände zärtlich meinen Rücken streicheln und ich meinen Kopf vertrauensvoll auf ihrer Schulter ablege.
Junes gleichmäßiger Herzschlag beruhigt mich und ihre weichen Lippen, die ab und zu zart meine Stirn berühren, mildern Stück für Stück den Schmerz in meinem Herzen.
Und mit einem Mal frage ich mich, ob es sich wohl genau so anfühlt, mit jemandem das Bett zu teilen, denn man wirklich liebt...
Denn ich fühle mich zuhause. Angekommen. Und irgendwie glücklich.

——————————

Mich am nächsten Morgen von June trennen zu müssen, ist das schwerste, was ich seit langem tun musste. Denn ich weiß, dass es für eine lange Zeit sein wird. Und ich vermisse sie schon, als ich den langen Zufahrtsweg zu ihrem Anwesen entlang Richtung Stadt fahre.
Aber ich drehe mich nicht um. Zu groß ist die Angst ich könnte umkehren, mein Rad achtlos in die Wiese werfen und zurück in Junes schützende Arme laufen, sie nie wieder loslassen.
Ich muss jetzt stark sein. Für Hera und Zeus. Und auch für Hades und Dionysos.
Sie haben niemanden außer mir. Und ich liebe die vier über alles! Und das weiß mein Vater ganz genau...
Im Zirkus angekommen arbeite ich unermüdlich, vermeide es irgendjemandem über den Weg zu laufen und versuche mit aller Macht nicht an June zu denken.
Aber das ist unmöglich. Ich kann dieses Gefühl einfach nicht vergessen. Dieses unbeschreibliche Gefühl in ihren Armen zu liegen und zu wissen, dass June mich niemals verletzen würde. Dass sie mich nie zu etwas zwingen würde. Dass sie mich beschützt, schätzt und achtet.
Ihre Nähe ist purer Balsam für meine verletzte Seele. Und ihre zarten Berührungen jagen einen warmen Schauer nach dem anderen durch meinen erschöpften Körper.
Ich sehne mich nach ihrer Zuneigung. Noch mehr, je öfter ich sie erfahren darf.
Aber damit ist jetzt Schluss. Und mir bleiben nur diese warmen Erinnerungen...

Als der Abend kommt, bete ich, dass June nicht zu unserer Vorstellung kommen wird. Nicht etwa, weil ich sie nicht sehen möchte, aber ich will vermeiden, dass die junge Schauspielerin auf meinen Vater trifft. Und...weil ich mir nicht sicher bin, ob ich stark genug sein werde mit einem meiner Verehrer nachhause zu gehen, wenn mein sicherer Zufluchtsort direkt vor mir steht.
Als ich mit angehaltenem Atem die Manege betrete, stelle ich jedoch erleichtert fest, dass meine Gebete erhört wurden. Von June Evans ist weit und breit keine Spur.
Und so konzentriere ich mich voll und ganz auf meine Show. Mir passieren nur zwei kleine Fehler und am Schluss klatschen die Menschen so begeistert wie immer.
Aber ich kann ihren Jubel und ihre Anerkennung nicht genießen. Denn ich weiß ganz genau, dass unter ihnen mindestens ein halbes Dutzend feine Herren sitzen, die bereits jetzt nach den Scheinen in ihrem Jackett graben.
Und so lächle ich nur tapfer und füge mich still meinem Schicksal.

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