Der Start der Gray Hawk ist nochmal um einiges atemberaubender als der Start der Rettungskapsel. Und das meine ich wortwörtlich.
Doch sobald der Druck auf meiner Brust wieder nachgelassen hat und ich einigermaßen normal atmen kann, löse ich hektisch den Gurt an meinem Sitz und stürme zu Beau hinüber. Die junge Piloten steuert währenddessen unbeirrt durch den dunklen Weltraum. Ruhig und konzentriert tippen ihre Fingerspitzen auf dem Bordcomputer mir vollkommen unbekannte Koordinaten ein.
„Beau!! Du musst sofort umkehren!! Sie werden uns abschießen, wenn du es nicht tust und dann bist du auch tot!", rede ich aufgebracht auf die erfahrene Kundschafterin ein und als Beau daraufhin immer noch nicht reagiert, packe ich sie unsanft am Arm und rüttle daran!
„Hörst du nicht?! Ich will nicht, dass du stirbst! Ich will-"
Weiter komme ich nicht. Denn in diesem Moment springt Beau von ihrem Sitz auf und zieht mich in eine so feste Umarmung, dass mir beinahe die Luft wegbleibt. Und sie lässt mich erst nach einigen Sekunden wieder los, um beide Hände an meine Wangen zu legen und mir lächelnd tief in die Augen zu sehen.
„Keiner von uns wird sterben, Reev. Jedenfalls nicht in nächster Zeit und nicht auf Befehl des Captains. Du und ich haben die Alignment gerade für immer verlassen."
Als sie das sagt, strahlen Beaus Augen glücklich und ich kann förmlich dabei zusehen wie die Anspannung und der Stress der letzten Minuten von ihr abfällt. In mir aber bricht buchstäblich ein riesiges Chaos aus.
„Was?! Aber-...wie? Wohin...?! Und wer...?"
Ich bringe keinen vernünftigen Satz mehr zustande, so schockiert bin ich. Beau jedoch lacht nur amüsiert auf und dirigiert mich sanft ein paar Schritte zurück um mich wieder behutsam in meinen Sitz zu drücken.
„Atme, Reev, Atme! Ich werde dir alles erklären", sagt Beau beruhigend und geht vor mir in die Hocke. Ihre blauen Augen lassen mich keinen Moment los während ihre warmen Hände meine sanft umschließen und liebevoll streicheln.
„Als der Captain nach unserer Landung beschloss dein und vermutlich auch mein Leben zu beenden, wusste ich, dass ich etwas unternehmen musste. Also habe ich Jim aufgesucht und mit ihm zusammen einen Plan für unsere Flucht entworfen. Du warst übrigens auch ein Teil davon, obwohl du es nicht wusstest", schmunzelt die junge Pilotin und führt kurz unsere verbundenen Hände an ihre Lippen, um zart meinen Handrücken zu küssen. Und trotz der nervenaufreibenden Situation, in der ich mich gerade befinde, läuft mir dabei eine Gänsehaut über den Rücken.
„Deine Aufgabe bestand darin, die Hawk so flugtauglich wie möglich zu machen. Ich habe versucht dich so gut es geht dabei zu unterstützen, indem ich beispielsweise Beth mit der Medizin zu dir geschickt habe. Sie schuldete mir noch einen großen Gefallen", fährt Beau unbeirrt fort und in ihren blauen Augen liegt währenddessen ein verheißungsvoller Glanz.
„Die Paste hat mir in der Tat wahnsinnige Erleichterung verschafft! Aber-...hattest du sie nicht vorher aus dem Medizintrakt gestohlen?", frage ich aufgeregt dazwischen und wieder lächelt Beau sanft.
„Nein. Aber ich habe mir selbst eine ähnliche Brandwunde auf meinem Arm zugefügt, damit die Mediziner sie behandeln können. Die Salbe, welche sie mir mitgegeben haben, habe ich dir durch Beth überbringen lassen."
Als Beau das sagt, weiten sich meine Augen erschrocken und ich starre die schöne Kundschafterin fassungslos an.
„Du hast was??!! Aber deine Schmerzen, sie-"
„...-sie waren nichts im Vergleich zu meiner Angst um dich und den Schuldgefühlen, die ich hatte!", unterbricht mich Beau fester Stimme und drückt einmal vorsichtig meine Hände in ihren.
„Jim und ich wussten, dass der Captain die Hawk in dieser Nacht zurück in den Hangar bringen würde, um sie für den Start vorzubereiten. Also habe ich einem der anderen Piloten während des Abendessens mittels eines kleinen Tricks den Convensator entwendet und ihn gegen meinen eigenen ausgetauscht. Denn ähnlich wie bei dir und Jim hat der Captain dafür gesorgt, dass auch ich mich nicht mehr frei auf der Alignment bewegen konnte und meinen Zugang zum Hangar blockiert."
„Du hast ihn ausgetauscht? Wie...?", werfe ich erneut eine ungläubige Zwischenfrage ein und Beau lacht amüsiert auf. Ihre blauen Augen blitzen frech.
„Früher auf der Erde nannte man solche Leute Taschendiebe. Der Trick besteht eigentlich nur darin dein Gegenüber im passenden Moment abzulenken, sodass er nicht mitbekommt wie ihm einzelne Gegenstände entwendet werden", erklärt Beau bereitwillig und wird dann wieder ernst.
„Wir warteten so lange, bis du zurück in deinem Quartier warst und Ruhe im Hangar eingekehrt war. Dann drangen Jim und ich dort ein und schafften alle Vorräte aus den übrigen Spähern an Bord der Hawk. Im Anschluss hat Jim ihre Antriebe so manipuliert, dass die Kurzstreckentechniker mehrere Stunden bis Tage brauchen werden, um den Fehler im System zu finden. Und noch länger um den Schaden wieder zu beheben. Du siehst also, wir werden trotz halber Geschwindigkeit längst außer Reichweite der Späher sein, ehe sie die Schiffe repariert haben. Darüber hinaus fliegt die Alignment in die exakt gegensätzliche Richtung, was uns einen weiteren zeitlichen Vorteil verschafft."
Ich kann bei Beaus Worten nur immer wieder fassungslos den Kopf schütteln. Doch mit einem Mal kommt mir ein neuer, angsterfüllter Gedanke.
„Was ist mit den Bordgeschützen?! Was ist mit Jim?! Sie werden ihn töten, wenn der Captain herausfindet, dass er an unserer Flucht beteiligt war!"
Beau nickt ernst und sieht mich dann tief an.
„Zum Zeitpunkt unseres Starts hat Jim im Maschinentrakt für einen Kurzschluss gesorgt. Nur so konnten wir unbehelligt die Hangarschleuse passieren und darum haben uns die Bordgeschütze auch nicht ins Visier genommen, als wir die Alignment verlassen haben. Es waren nur ein paar Sekunden, aber sie waren lange genug, um aus ihrer Reichweite zu fliegen und den Positionssender zu deaktivieren. Jim ist ein guter Mensch, Reev. Er ist geblieben, damit wir fliehen konnten und er ist dieses Risiko bereitwillig eingegangen."
Ich senke daraufhin den Blick und auch Beau schweigt für einen Moment. Ich habe nie an einen Gott geglaubt, doch jetzt bete ich inständig dafür, dass es Jim gut geht und ihm seine selbstlose Hilfe nicht das Leben kosten wird. Denn das könnte ich mir nie verzeihen.
„...wir werden etwa zwei Wochen unterwegs sein", reißt mich die junge Pilotin nach einer Weile sanft aus meinen traurigen Gedanken und erhebt sich langsam, „unser Ziel ist ein kleiner Planet in einem angrenzenden Sonnensystem, den ich vor kurzer Zeit bei einer meiner Missionen entdeckt habe. Auf ihm lässt es sich beinahe genauso frei leben wie damals auf der Erde."
Beaus Worte hallen wie ein Donnerschlag in meinem Kopf wieder! Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich keinen einzigen Gedanken an das Ziel unserer Reise verschwendet!
„Heißt das..."
„Ja, Reev. Ich werde mein Versprechen halten. Du und ich, wir bauen uns ein eigenes, kleines Zuhause auf. Auf grünen Wiesen und im warmen Sonnenschein."
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Kurzgeschichten
FantasíaHier werdet ihr Kurzgeschichten (Love Stories) von mir zu lesen bekommen. Ich wünsche Euch viel Spaß dabei! 1. Cheetah 2. Pirates Die In Hell 3. Summer 1942 4. Trapped In Space