Kapitel 2:

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Drei volle Tage lang sitze ich alleine in der modrigen Zelle im untersten Deck des Piratenschiffs. Meine einzige Gesellschaft sind Ratten und am ersten Tag noch das gelegentliche Schreien der Soldaten, sowie kurz darauf das Fallen eines leblosen Körpers hinunter in das aufschäumende Meer, während die Black Widow unaufhaltsam in den weiten Ozean hinaus segelt.
Jeden Morgen stehen vor meiner Gittertür ein kleiner Krug Süßwasser und ein Viertel Laib Brot. Das wars. Und wenn ich nicht schnell genug bin, haben die Ratten mir mein bescheidenes Mahl bereits weggeschnappt. Nicht, dass ich besonders viel Hunger hätte. Das ununterbrochene Schaukeln des Schiffes bereitet mir ein flaues Gefühl in der Magengegend...
Ich bin direkt erleichtert, als am Abend des dritten Tages die ausgetretenen Treppenstufen knarzen und schwere Stiefel zu mir heruntergestiegen kommen. Ein grimmig dreinschauender Pirat schließt mit rostigem Schlüssel meine Zellentür auf und bedeutet mir mit einer unwirschen Handbewegung aufzustehen.
„Der Captain will dich sehen", knurrt er und packt mich grob am Arm, um mich die vielen Holzstufen nach oben an Deck zu ziehen.
„Danke, ich kann auch sehr gut selbst gehen!", zische ich und reiße mich los. Der vernarbte Mann murrt nur, lässt mich aber vorerst in Ruhe.
Gemeinsam steigen wir hinauf, bis wir endlich das oberste Deck der Black Widow betreten. Die Sonne ist bereits am Horizont versunken und das Meer schimmert blutrot, als ich tief den salzigen Fahrtwind einatme.
„Dort vorne", sagt der schmutzige Pirat nur ungeduldig und schubst mich in Richtung der Kajüte des Captain.
Nur beiläufig gelingt es mir einen Blick auf die frisch gewischten Planken, nahe der Reling zu werfen. Doch ich erkenne selbst in der heraufziehenden Dunkelheit noch die roten Blutflecken auf dem dunklen Holz.
Mein Herz zieht sich schmerzvoll zusammen und ich wende mich mit bitterem Geschmack im Mund ab.
Sie haben sie wirklich alle umgebracht! Meine Wachen hatten nicht einmal die leiseste Chance an Land zu schwimmen...
Mit zusammengebissenen Zähnen werde ich von dem übel riechenden Freibeuter an meiner Seite zur Kabinentür hinüber geführt und nach dreimaligen Klopfen öffnet sich diese fast wie von Geisterhand.
Zögerlich betrete ich den von Lampen und Kerzen hell erleuchteten trockenen Raum. Der hintere Teil allerdings, verborgen durch eine dünne Trennwand, liegt in schummriger Dunkelheit.
„Danke Caulker, du darfst jetzt gehen", ertönt eine sanfte Stimme von links und als ich den Kopf drehe, erblicke ich den Captain mit dem Rücken zu mir an einer hölzernen Theke stehen.
„Sehr wohl, Captain", erwidert der andere Pirat unterwürfig, verbeugt sich kurz und verlässt dann schnell die Kabine. Die Tür schließt sich mit einem unheilvollen Schlag hinter ihm.
Nun bin ich mit der gefürchteten Piratin alleine.
„Setzt Euch doch, Hoheit", weist sie mich daraufhin an und ich komme nur widerwillig ihrer Aufforderung nach und setze mich auf einen der eleganten Stühle vor einem reich gedeckten Tisch.
Mein Magen knurrt hungrig.
„Du fragst dich sicherlich, warum ich ausgerechnet dich am Leben ließ", fährt der Captain fort und als sie sich schließlich doch umdreht, hält sie ein beinahe durchsichtiges Elfenbeinglas in der Hand. Eine blutrote Flüssigkeit schwappt darin.
Ich starre die schöne Frau nur ausdruckslos an.
„Nachdem was ich über Euch gehört habe, kann es nur einen niederträchtigen Grund dafür geben", erwidere ich stolz und recke das Kinn, „Ihr seid nicht fähig auch nur das kleinste bisschen Gnade walten zu lassen. Genauso wie Ihr kaltblütig alle meine Männer getötet und den Haien zum Fraß vorgeworfen habt!"
Meine Hände ballen sich zornig in meinem Schoß, als die attraktive Piratenfürstin nur milde lächelt. Ihre meerblauen Augen mustern mich interessiert.
„Oh, menschliche Regungen wie Mitgefühl oder Anteilnahme habe ich schon längst abgelegt. Ich bin, wie Ihr schon ganz richtig bemerkt habt, ein Monster."
Bei diesen Worten läuft es mir eiskalt den Rücken herunter.
Der Captain aber nimmt nur einen Schluck ihres seltsamen Getränkes und kommt dann langsam zu mir herüber.
„Ein Monster, dem niemand widerstehen kann. Ein Monster, dem sich niemand entziehen kann. Ein Monster, für das sich jeder sofort in den Tod stürzen würde. Jeder Mann.
Jede Frau.
Sogar jedes Kind..."
Die Stimme der schönen Piratin wird immer leisere und betörender, als sie sich zu mir herunter beugt und ihr ebenmäßiges Gesicht mit den blutroten Lippen nur noch wenige Handbreit von meinem eigenen entfernt sind.
„Ich nicht", entgegne ich hart und halte dem intensiven Blick ihrer blauen Augen mit aller Macht stand, „ich würde Euch nicht einmal folgen, wenn es meine letzte Rettung wäre!"
Ein Zucken geht durch das hübsche Gesicht des Captains und ihre sanft geschwungenen Augenbrauen verziehen sich zu einem verärgerten Ausdruck.
Wieder bohren sich ihre blauen Augen tief in meine, doch ich halte ihrem Blick diesmal umso angestrengter Stand.
„Ihr seid ein abscheulicher Bastard. Eine Kreatur der Hölle und genau dorthin sollt Ihr auch zurückkehren", flüstere ich wütend.
Und dann greife ich blitzschnell in den Gürtel der anderen Frau und ziehe ihren Dolch heraus.
Meine Finger schließen sich fest um den Griff der Waffe und ich stoße sie mit aller Kraft in Richtung des Herzens des Captains.
Doch nur eine Haarbereite von der entblößten Haut ihrer Brust entfernt, packt mich die hübsche Piratin am Handgelenk und dreht mich blitzschnell so, dass ich mit dem Rücken an sie gepresst dastehe, den Dolch fest an meine eigene Kehle gepresst.
Heißes Blut rinnt von seiner Spitze herunter und tropft auf meine Kleider.
„Das war nicht besonders klug von dir", flüstert die junge Frau drohend in mein Ohr und ich spüre wie ihre schlanken Finger mein freies Handgelenk hinter meinem Rücken fest umklammern.
Vor Schmerz steigen mir Tränen in die Augen.
„Als würde ich irgendetwas unversucht lassen, um Euch zu töten", erwidere ich mit zusammengepressten Lippen.
Dann trifft mich plötzlich etwas schweres am Hinterkopf und ich sacke bewusstlos zu Boden.

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