Kapitel 3:

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„Gehst du morgen nach der Schicht mit mir eine Runde spielen?"
Jim und ich sitzen zusammen im Speiseraum der Alignment und nehmen mehr oder weniger begeistert unser Mittagessen zu uns. Es gibt Rübenmus mit einer Scheibe Brot und ich stochere lustlos in meiner Portion herum. Auch wenn ich weiß, dass ich keine Alternative habe, würde ich das Zeug am Liebsten in den Mülleimer kippen. Aber dann müsste ich bis zum Abendessen hungern, und mir knurrt auch so schon der Magen. Also seufze ich nur tief und beiße stattdessen lustlos ein Stück von meinem Brot ab. Es ist trocken und beinahe geschmacklos. Aber immer noch besser als das fade Rübenmus!
Ich lasse meinen Blick gedankenverloren durch die anwesende Besatzung schweifen, während ich gründlich kaue. Zu meiner großen Freude entdecke ich dabei Beau nur wenige Meter von mir entfernt an einem der anderen Tische sitzen. Sie isst dort zusammen mit sechs Piloten und einem Teil der Crew. Die Crew, damit sind vor allem der Captain und sein unmittelbares Umfeld aus Navigatoren, Koordinatoren und Traktleitern gemeint. Eben alle ranghohen Personen, welche die Führungsebene auf diesem Raumschiff bilden und dafür sorgen, dass jeder genau das tut was er soll. Piloten, beziehungsweise Kundschafter gehören zwar nicht direkt zur Crew, aber sie genießen trotzdem ein sehr hohes Ansehen an Bord. Ohne sie würden wir weder frische Ressourcen erhalten, noch könnten wir ungestört durch das All fliegen. Da die Alignment nicht dazu in der Lage ist, jede einzelne Gefahr auf ihrem Radar zu erfassen und zu umfliegen, ist es die Aufgabe der Kundschafter, diese rechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen. Ohne sie wären wir wohl schon längst in ein schwarzes Loch gezogen oder durch einen Asteroiden pulverisiert worden.
„...oder hast du keine Lust?"
Ich nehme Jims fragende Stimme nur aus weiter Ferne wahr. Jedenfalls solange, bis er mir unsanft mit dem Fuß gegen mein Bein klopft.
„Hallo? Hörst du mir überhaupt zu?"
Schnell löse ich meinen Blick von Beau und sehe zurück zu meinem Freund, der mich nur mit hochgezogener Augenbraue mustert.
„Was-? Nein. Tut mir leid."
Jim seufzt tief und stützt das Gesicht in seine linke Hand. Seine lockigen, schwarzen Haare fallen ihm dabei unordentlich in die Stirn.
„Manchmal bist du wirklich sehr verträumt", stellt er leicht vorwurfsvoll fest und ich beiße mir schuldbewusst auf die Innenseite meiner Wange.
Manchmal frage ich mich ob Beau ahnt, wie sehr sie mich mit ihrer Anwesenheit ablenkt. Wenn ja, dann versteckt sie dieses Wissen jedenfalls ziemlich gut...
„Entschuldige. Was hattest du gesagt?", erwidere ich darum verlegen und widme mich schnell wieder meinem Mittagessen. Dennoch kann ich nicht verhindern, dass sich eine leichte Hitze auf meinem Gesicht ausbreitet. Zum Glück geht Jim nicht weiter auf mein seltsames Verhalten ein.
„Ich wollte wissen, ob du morgen Abend mit mir zusammen spielen gehst?", wiederholt er sich betont langsam und ich nicke ohne zu zögern. Immerhin bin ich ihm das für meine Unaufmerksamkeit irgendwie schuldig.
„Natürlich. Ich hoffe nur, dass diesmal nicht so viele Leute da sind..."
Der Gesellschaftsraum auf der Alignment ist ein sehr begehrter Ort für die Besatzung um sich zu treffen, zu unterhalten und zu vergnügen. Ab und zu lässt sich sogar der Captain und die Crew dort blicken, aber meistens sind wir unter uns und können so wenigstens ein bisschen Spaß und Lebensqualität erleben. Meistens wenn mich Jim darum bittet, mit ihm spielen zu gehen, sage ich zu. Aber manchmal lehne ich die Einladung auch ab und verbringe die Zeit stattdessen alleine auf meinem Quartier. Dann sind mir die vielen Menschen und ihr heitere Stimmung einfach zu erdrückend. Ich meine, warum sollten wir das Leben auch großartig feiern? Wenn wir doch nie ein richtiges Leben führen dürfen? Schweigend widme ich mich wieder dem Rübenmus auf meinem Teller und stochere lustlos mit meinem Löffel darin herum. Aber ich bekomme dieses Zeug heute einfach nicht herunter.
„Ekelhaft...", murmle ich frustriert und schiebe mein Tablett entschieden von mir, „hier, du kannst es haben."
Jim nickt dankbar und angelt sich den Teller quer über den Tisch. Meine Augen jedoch wandern bereits wieder zu dem Teil des Speiseraums hinüber, an dem Beau sitzt. Das heißt-...saß. Denn zu meiner Enttäuschung kann ich die hübsche Pilotin nirgendwo mehr entdecken. Und so bleibt mir nichts anderes übrig, als Jim beim Verdrücken seiner zweiten Mahlzeit zuzusehen und dabei meinen eigenen knurrenden Magen zu ignorieren.
Hoffentlich gibt es zum Abendessen etwas, das ich herunterbekommen kann. Es wäre nämlich nicht das erste Mal, dass mittags dasselbe aufgetischt wird wie abends.
Noch während ich darüber nachdenke, spüre ich plötzlich eine warme Hand auf meiner Schulter. Und als ich überrascht aufsehe, steht dort Beau neben mir und legt schweigend ein handtellergroßes Körnerbrot auf mein ansonsten leeres Tablett.
„Du weißt, wie wichtig Essen ist", sagt sie leise und sieht mir bittend tief in die Augen. Bevor ich jedoch eine Antwort oder gar einen Dank über die Lippen bringen kann, drückt die erfahrene Kundschafterin sanft meine Schulter und verschwindet mit schnellen Schritten zwischen all den anderen Menschen.
Ich spüre, wie mein Herz schneller zu schlagen beginnt, wohl eine verspätete Reaktion auf Beaus selbstlose Fürsorge.
Sie muss von ihrem Platz aus beobachtet haben, dass ich mal wieder mit den Rüben kämpfe. Und da sie als Pilotin meistens eine hochwertigere Beigabe zu ihrer Mahlzeit erhält als der Rest von uns, hat sie sich mal wieder dazu entschlossen, diese an mich abzugeben.
Es ist nicht das erste Mal, dass Beau für mich auf einen Teil ihrer Ration verzichtet, aber mir bedeutet diese Geste nach wie vor wahnsinnig viel. Und deswegen nehme ich mir auch fest vor, ihr heute Abend noch einmal persönlich dafür zu danken.
„Ohne Beau wärst du wohl schon längst verhungert... ", bemerkt Jim leise und sieht der jungen Pilotin nachdenklich hinterher, bevor er den letzten Rest Rübenmus aus seinem Teller kratzt. Ich aber sage nichts dazu. Stattdessen greife ich hungrig nach dem leckeren Brot und beginne jeden Bissen einzeln zu genießen.

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