Kapitel 7:

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Diese Frage sollte ich schon am übernächsten Tag beantwortet bekommen. Zusammen mit dem Captain drehe ich bei Sonnenuntergang eine Runde an Deck, während beinahe alle anderen Mitglieder der Crew sich in ihre Kajüten zurückgezogen haben.
Als wir schließlich am Bug des Schiffes stehen bleiben und mein Blick auf die orangene Sonne am Horizont fällt, sieht mich die junge Piratin tief und ernst an.
„Es gibt eine Art Prophezeiung unter uns Piraten. Ein Sprichwort. Oder vielleicht sogar die einzige Hoffnung, unsere verdammten Seelen vor der Hölle zu bewahren.
Man sagt, wird ein Pirat aufrichtig von einer Frau geliebt und ist die Seele dieser Frau so rein und unbefleckt wie die eines Neugeborenen, so werden ihm all seine Sünden vergeben. Und seine Schuld geht auf ihre Seele über."
Auch ich habe bereits von dieser Redensart gehört. Allerdings kenne ich nur die Seite der ehrlichen, rechtschaffenen Frau.
Schenke einem Piraten nie dein Herz, oder deine Seele wird auf ewig leiden.
Und bis jetzt hatte ich gedacht, damit wäre womöglich die große Entfernung oder die lange Trennung gemeint. Oder aber die streitsüchtige Natur eines Piraten...
Wenn diese Worte überhaupt der Wahrheit entsprechen...
Der Blick des Captains fällt zurück auf die untergehende Sonne und so erlaube ich mir sie einmal genauer als sonst zu betrachten.
Selbst mir ist klar, dass ich ein beinahe engelsgleiches Gesicht vor mir habe. Mit hohen Wangenknochen, vollen Lippen und sanft gewelltem Haar, das leicht im Fahrtwind weht. Mal von dem tief ausgeschnitten Hemd und den fesselnden blauen Augen abgesehen, strahlt die schöne Piratin eine größere Anziehungskraft aus, als jede der aufgetakelten Hofdamen es jemals fertig gebracht hätte.
Jetzt im honigfarbenen Licht des schwindenden Tages entdecke ich sogar die ein oder andere feine Narbe auf der sonnengebräunten Haut ihres Halses oder dem sichtbaren Teil ihrer Schultern und der Brust.
„Habt Ihr Angst um Eure Seele?"
Meine Worte sind ganz ruhig und ich wende auch den Blick nicht ab, als sich unsere Augen begegnen.
„Es ist das einzige auf dieser weiten Welt, was mich noch ängstigt", lautet die ehrliche Antwort des Captains und zum ersten Mal seit unserer Bekanntschaft habe ich wirklich das Gefühl die Wahrheit aus ihrem Mund erfahren zu haben.
„Und Ihr glaubt wirklich, Ich würde Euch erlösen?"
Nun wird der Blick der jungen Frau sanft und warm zugleich.
„Emilia."
Ein Zittern überläuft meinen Körper und gegen meinen Willen bekomme ich weiche Knie, als ich meinen Namen aus der Kehle der hübschen Frau höre.
„Ich werde nichts unversucht lassen, damit auch du daran glaubst."
Ich weiß, dass sie nur ein Spiel mit mir spielt. Ein gemeines, verlogenes, heimtückisches Spiel!
Und doch weiche ich nicht zurück, als der Captain langsam eine Hand nach mir ausstreckt und mit den Fingerspitzen zart meine Wange berührt.
Blaue Augen blicken tief in meine, versuchen mir all meine Geheimnisse zu entlocken...
„Aber hättest du dich mir nicht so stark widersetzt, wäre ich wohl nie auf den Gedanken gekommen."
Noch immer streichelt sie zart meine Wange und ich muss all meine Willenskraft zusammen nehmen, um einen Schritt zurück zu treten.
„Dann hoffe ich, dass Ihr bis zum Ende Eurer Tage in der Hölle schmort, denn dort gehört Ihr hin!"
Und mit diesen Worten drehe ich mich entschlossen um und begebe mich freiwillig hinunter in mein Gefängnis.

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