Kapitel 8:

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In den nächsten Tagen fällt es mir zunehmend schwerer, meinen vehementen Widerstand aufrecht zu erhalten. Denn der Captain ist wie ausgewechselt. Sie lässt mir jegliche Freiheit an Deck, ist freundlich, aufgeschlossen und interessiert und schon bald bin ich nicht einmal mehr davon überzeugt, sie wirklich aus tiefstem Herzen zu hassen.
Natürlich weiß ich, wenn ich ganz und gar ehrlich zu mir bin, dass mich die junge Piratin zu ihren Gunsten manipuliert. Aber ich kann mich ihrem Charme kaum noch entziehen. Und das macht mir zunehmend Angst.
„Wie gefiel es dir denn am Hof deines Vaters? Soweit ich mich erinnern kann, habe ich die Förmlichkeiten und die Etikette immer verachtet...", fragt mich der Captain, während sie nebenbei genussvoll ihr Abendessen verspeist.
Auch ich nehme zuerst einen Schluck aus meinem Kelch, bevor ich antworte. Mittlerweile habe ich meinen Hungerstreik aufgegeben. Es ging einfach nicht mehr. Nicht im Angesicht so vieler Köstlichkeiten. Und meinem knurrenden Magen.
„Ich empfand sie als lästig. Aber ich habe sie akzeptiert. Außerdem war mein Vater abseits der Öffentlichkeit eher nachlässig was das strikte höfliche Protokoll anging", erwidere ich und ernte dafür ein wissendes Lächeln meines Gegenübers.
In Momenten wie diesem fällt es mir schwer zu glauben, dass diese schöne Frau bereits über hundert Leben auf dem Gewissen hat. Denn wenn sie lächelt, sehe ich nur das junge und unschuldige Mädchen vor mir. Ein Mädchen, das genauso aufgewachsen ist wie ich...
„Wirklich? Dann hast du wahrlich Glück gehabt...Noch etwas Wein?"
Ich nehme dankbar an, obwohl ich bereits die Auswirkung des Alkohols auf meinen Körper spüre. Denn in mir ist ein Plan herangereift. Wenn wir das nächste Mal einen Hafen anlaufen, werde ich versuchen zu fliehen. Egal wie. Und wenn ich bis dahin das Vertrauen des Captains habe, dann ergibt sich vielleicht eine reelle Chance. Denn das Schicksal, welches mich auf der Black Widow ereilen wird, ist womöglich noch schlimmer als der Tod.
„Und Ihr seid noch immer fest dazu entschlossen, meine Seele anstatt der Euren zu opfern?", frage ich frei heraus, als würde ich eine andere ganz normale Frage stellen. Der Captain zögert einen Moment, dann blickt sie von ihrem Teller auf.
„Ja, das habe ich vor", antwortet sie ehrlich und verschränkt dann die schlanken Hände in ihrem Schoß.
„Ich frage mich nur, warum Ihr es nicht schon viel früher versucht habt. Ich kann ja wohl nicht die erste junge Frau sein, die Euch bis jetzt begegnet ist?"
Wieder lässt sich die schöne Piratin einen Moment Zeit für ihre Antwort. Als sie dann jedoch spricht, ist ihre Stimme ruhig und gefasst.
„In der Tat, das bist du nicht. Aber du bist der erste Mensch, der mir und meiner Anziehungskraft widerstehen konnte. Und so wie du dich gegen mich gewehrt hast, habe ich allen Grund zur Annahme, dass du mir noch weitaus mehr als bloß deine Zuneigung schenken kannst."
Wieder lächelt sie ihr sanftes Lächeln und ich weiß, dass es mich anekeln sollte. Aber...dieses Gefühl bleibt aus.
„Ihr seid ein Monster und das werdet Ihr auch immer für mich bleiben. Oder denkt Ihr wirklich, ich würde Eure Lügen und Intrigen nicht durchschauen?", gebe ich ebenso ruhig zurück und diesmal schmunzelt die junge Piratin nur amüsiert. Ihre blauen Augen blitzen belustigt.
„Oh mit Sicherheit. Aber es gibt immer wieder den ein oder anderen Menschen auf dieser Welt, der eine Schwäche für Monster hat."
Und damit ist das Abendessen vorläufig beendet.
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Von nun an ist mein Tagesablauf immer derselbe. Morgens frühstücke ich mit dem Captain, danach vertreibe ich mir die Zeit alleine an Deck bis wir abends wieder gemeinsam zu Abend essen.
Ich lerne in dieser Zeit viel über den Captain. Über ihre Kindheit am Hof, ihre Jugend in der Gefangenschaft der Piraten und schließlich ihren grausamen Aufstieg bis an deren Spitze. Im Gegenzug erzähle ich der jungen Piratin von meinem Leben vor meiner Entführung, von meinem Plänen und meinen Träumen.
Und soweit ich es beurteilen kann, hat die schöne Frau auch wirkliches Interesse an meinen Worten.
„Weißt du, hätten wir uns vor deiner Zeit als Gesetzlose am Hofe meines Vaters kennengelernt, ich könnte dich sogar mögen", sage ich eines Abends ehrlich und ernte dafür ein kleines Lächeln des Captains.
„Davon gehe ich aus", lautet ihre warme Antwort und als sie mir erneut einen Krug mit Wein reicht, berühren sich unsere Finger länger als sie es eigentlich sollten.
„Emilia?"
Ich sehe überrascht auf.
„Ja?"
„Du hast schon lange nicht mehr versucht mich umzubringen...", die Stimme der Piratenfürstin ist warm und freundlich, „ich bin mir mittlerweile sehr sicher, dass du mich magst."
Ich zucke nur mit den Schultern, doch insgeheim verfluche ich mich selbst. Wenn nur diese aufgeregten Gefühle in meinem Herzen nicht wären.
„Soll ich es noch einmal probieren?", frage ich unschuldig und hebe halbherzig das Messer in meiner linken Hand hoch.
Der Captain lacht nur und das glockenhelle Geräusch durchdringt den Raum.
„Nein. Aber du könntest etwas anderes probieren."
Mit der Bewegung ihres Zeigefingers bedeutet sie mir aufzustehen und ich gehorche verwirrt. Die schöne Piratin erhebt sich ebenfalls und schon bald finde ich mich mit dem Rücken zum Tisch wieder, die junge Frau nur dicht vor mir. Meerblaue Augen blicken tief in meine.
„Wehr dich nicht gegen deine Gefühle, Emilia...", flüstert sie noch gegen meine Lippen, dann schließt der Captain die Augen und küsst mich.
Ich kann nicht anders.
Ich muss einfach zurück küssen.
Gegen meinen Willen strömen unbeschreibliche Gefühle durch meinen Körper und setzen sich in meinem Herzen fest.
Ich spüre, dass die hübsche Piratin sanft meine Hände in ihre nimmt und mir bedeutet, mich damit an der Tischkante festzuhalten. Gleichzeitig wandern ihre eigenen hinauf zu meiner Hüfte und während unser Kuss immer intensiver wird, drängt sich ihr schlanker Körper verlangend gegen meinen.
Ich drohe mich in diesem betörenden Kuss zu verlieren. Drohe darin zu ertrinken und qualvoll zu Grunde zu gehen.
Also tue ich das einzig richtige.
Ich ziehe mich aus der Berührung zurück und schnappe atemlos nach Luft.
Mein Herz rast wie verrückt.
Und zu meiner Erleichterung entfernt sich auch der Captain ein paar Schritte von mir.
Die Pupillen ihrer blauen Augen sind geweitet und ich erkenne, das dieser Kuss scheinbar nicht nur in mir etwas bewegt hat. Und das tröstet mich ein wenig.

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