June Evans
Ich sitze auf dem Sofa und lese mein Skript für eine mögliche nächste Rolle, als Romy leichtfüßig die Treppe hinunter gelaufen kommt.
Ihre dunklen Haare sind noch nass von ihrer Dusche, doch das Gesicht der jungen Frau ziert ein glückliches, wenn auch erschöpftes Lächeln.
„Da bist du ja wieder", begrüße ich sie warm und klopfe auffordernd auf den leeren Platz neben mir auf der Couch, während ich mein Skript zuschlage und beiseite lege.
„Ich gebe zu, ich habe die kühle Dusche sehr genossen. Zuhause bade ich ja meistens", erwidert die hübsche Tänzerin und lässt sich dicht neben mir auf das Polster sinken.
Ohne es bewusst zu wollen gleiten meine Augen einmal rasch über ihren sportlichen Körper.
Romy ist ohne Zweifel kräftiger, als all die anderen Frauen in ihrem Alter, was sicherlich ihrem unermüdlichen Training und der täglichen Arbeit mit den Tieren im Zirkus geschuldet ist. Aber sie wirkt trotzdem nicht massig, ganz im Gegenteil. Ihr Körper ist schlank und die Muskeln fein und grazil.
Insgesamt bin ich wirklich beeindruckt.
„Was hast du da gelesen?"
Romy sieht fragend auf den Stapel Papier neben mir und dann zurück in meine Augen.
„Ein Skript für einen Film, in dem ich möglicherweise mitwirken werde", antworte ich zwar freundlich, doch die junge Artistin scheint an meinem Unterton gemerkt zu haben, dass ich dieses Thema nicht weiter vertiefen möchte.
Sie nickt einmal langsam und starrt dann auf die verbundenen Hände in ihrem Schoß hinab.
„June?"
Ich ziehe fragend eine Augenbraue nach oben.
„Ja?"
Romy sieht mich nicht an, als sie mit mir spricht.
„Du...du hast schon öfter angedeutet, dass du-...ich meine...dass du wüsstest wie es mir ergehen würde...wenn ich mit fremden Männern das Bett teilen muss."
Nun hebt die hübsche Tänzerin den Kopf und ihre braunen Augen sehen mich bittend an. In meinem Herzen sticht es schmerzhaft. Denn ich kenne diesen Blick nur zu gut. Ich habe ihn oft genug bei mir selbst im Spiegel betrachten können.
„Ja, das tue ich. Ich rede nicht gerne darüber, aber es ist Teil meiner Vergangenheit", antworte ich bemüht ruhig und versuche die Emotionen und Erinnerungen in mir nicht hochkochen zu lassen. Am liebsten würde ich dieses Gespräch sofort abbrechen. Aber ich sehe in Romys Augen, dass sie jetzt über ihr Schicksal reden muss. Und ich bringe es nicht übers Herz, ihr diesen Wunsch abzuschlagen.
„Wird...wird es irgendwann leichter?"
Romys Stimme ist dünn geworden, ihre Unterlippe bebt und ich sehe Tränen in ihren braunen Augen aufsteigen.
Ich halte einen Moment inne und suche nach der passenden Antwort.
„Die...die Erinnerung verblasst. Wenn du einmal genug Abstand dazu hast. Aber ich fürchte die Narben werden trotzdem bleiben. Für immer", sage ich leise und blicke die junge Frau an meiner Seite mitfühlend an.
Ich wünschte, ich könnte ihr eine andere Antwort geben. Aber das wäre gelogen.
Die hübsche Artisten senkt nur stumm den Blick und nickt langsam.
„Das hatte ich befürchtet."
Ich aber schweige. Was könnte ich auch sagen, um sie zu trösten? Was geschehen ist, ist geschehen und lässt sich nicht mehr rückgängig machen. So sehr ich es mir auch wünschen würde.
„Du bist eine starke, junge Frau, Romy. Du wirst es schaffen. Irgendwann...Da bin ich mir sicher."
Die hübsche Artistin wirft mir einen zweifelnden Blick zu. Kurz sieht es so aus als würde sie noch etwas sagen wollen, doch dann beißt sich Romy auf die Unterlippe und schweigt.
Und weil ich meine letzten Worte nicht einfach so stehen lassen möchte, setze ich schließlich noch einen Satz hinterher.
„Und bis dahin...kannst du immer auf meine Hilfe zählen."
Wir sehen uns tief in die Augen. Ich erkenne in ihnen den vertrauten Kummer, den unterdrückten Schmerz und das Verlangen nach Freiheit.
„Solange wir hier sind", erwidert Romy leise und ich nicke andächtig. Es liegt eine gewisse Wehmut in ihrer Stimme.
„Wie lange bleibt euer Zirkus in der Stadt?"
„Ein oder zwei Monate. Dann fahren wir weiter Richtung Westen. Ich weiß aber noch nicht wann mein Vater genau aufbrechen wird. Vermutlich, wenn die Zuschauer weniger werden...", sagt die attraktive Tänzerin nachdenklich und stützt das Kinn in die Hände.
Wieder nicke ich nur stumm.
„Dann sollten wir die Zeit genießen, die uns noch bleibt."
Romy schweigt. Ich kann spüren, dass sie etwas beschäftigt. Und dass es an ihr nagt, sie nicht zur Ruhe kommen lässt. Ich sehe wie sich die Muskeln in ihren Unterarmen anspannen und wie sie die Lippen aufeinander presst. Und dann bricht es aus der jungen Artistin heraus.
„Wird mich überhaupt noch jemand lieben können, wenn er es erfährt? Ich meine-...", sie stockt und lässt traurig den Kopf sinken, „es waren schon so viele Männer..."
Ihre Stimme ist zu einem leisen Flüstern geworden.
Schweigend rutsche ich ein Stück zu Romy hinüber und lege vorsichtig eine Hand auf ihren nackten Unterarm. Die talentierte Artistin sieht überrascht auf.
„Romy, glaubst du mich könnte jemand lieben? Trotz meiner Vergangenheit?"
In den braunen Augen der jungen Frau liegt nun ein überzeugter Ausdruck.
„Natürlich! June, du bist wunderbar", erwidert Romy sofort und ich lächle zufrieden.
„Und du bist es auch. Und der richtige Mann wird das sehen können. Er wird dein Herz sehen. Und das ist rein und vollkommen unbefleckt. Du bist ein Mensch, den es zu lieben sich lohnt!"
Mit Nachdruck blicke ich Romy tief in ihre zweifelnden Augen. Und mit einem Mal macht sich ein neuer, erleichterter Ausdruck in ihnen breit.
Ich habe keine Zeit mehr zu reagieren, da zieht mich die hübsche Tänzerin auch schon in eine enge Umarmung.
„Danke, June. Von ganzen Herzen", flüstert Romy ergriffen und ich erwidere den Druck ihrer Arme um meine Hüfte vorsichtig.
„Dafür nicht. Ich versuche dir nur den richtigen Weg zu zeigen. Laufen musst du selbst...oder tanzen in deinem Fall."
Ich schmunzle und Romy lacht leise auf. Als sie sich von mir löst, wischt sich die schöne Artistin einmal verstohlen über die Augen.
Ich aber erhebe mich langsam von der Couch und reiche Romy meine Hand, damit sie ebenfalls aufsteht.
„Ich denke es ist Zeit schlafen zu gehen.
Im Obergeschoss habe ich ein Gästezimmer für dich, wenn du möchtest. Dort schläft es sich bestimmt bequemer als auf den Sofa", sage ich leise und als Romy wortlos nickt, gehe ich ihr voran die Treppe hinauf.
Im dunklen Flur dann trennen sich unsere Wege.
„Gute Nacht, Romy."
Die junge Frau lächelt erschöpft aber dankbar.
„Schlaf gut, June. Ich schulde dir so viel."
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Kurzgeschichten
FantasyHier werdet ihr Kurzgeschichten (Love Stories) von mir zu lesen bekommen. Ich wünsche Euch viel Spaß dabei! 1. Cheetah 2. Pirates Die In Hell 3. Summer 1942 4. Trapped In Space