Kapitel 5:

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In den kommenden Tagen sehe ich Beau nur selten. Das liegt aber hauptsächlich daran, dass die junge Pilotin sich mit etlichen Besprechungen und Trainings auf ihre nächste große Mission vorbereiten muss. Natürlich verstehe ich das und ich bin um jede zusätzliche Übung dankbar, die Beau absolviert, aber ich vermisse sie einfach! Ich vermisse ihre warme Stimme, ihre weisen Worte und wenn ich ehrlich bin...auch ihre körperliche Nähe.
Schon seit meiner Jugend, suche ich immer wieder Körperkontakt zu Beau. Es gibt für mich nichts schöneres, als in ihren Armen zu liegen und ihrem gleichmäßigen Herzschlag zu lauschen. Und früher habe ich mir auch nichts weiter dabei gedacht...aber seit ein paar Jahren...
Es fühlt sich irgendwie anders an!
Nicht, dass Beau mich anders behandeln würde, nein. Aber ihre Nähe ist für mich irgendwie...intensiver geworden. Wenn ich Beau heute umarme, schlinge ich beide Arme um ihre schlanke Taille und schmiege mich eng an sie. Und ich halte den Kontakt so lange ich kann.
Dieses Bedürfnis, ihr so unendlich nah sein zu wollen, ist vollkommen neu für mich.
Natürlich hatte ich die junge Kundschafterin auch in meiner frühen Jugend oft umarmt, aber niemals lange! Und Beau hatte diese Geste immer auf dieselbe Art und Weise erwidert. Sie hatte mir nie das Gefühl gegeben, etwas von mir zu erwarten. Im Gegenteil. Bei ihr konnte ich immer ich selbst sein. War ich fröhlich, alberte Beau mit mir herum. War ich traurig, hörte sie mir aufmerksam zu und tröstete sie mich. Und war ich bockig und gereizt, kommentierte sie mein Verhalten stets mit einem wissenden Lächeln und einem guten Ratschlag.
Und nun?
Nun ist Beau für mich endgültig unersetzlich geworden. Wir führen tiefsinnige Gespräche, vertreiben uns die Zeit zusammen und genießen die Nähe des anderen.
Ich vielleicht ein bisschen mehr als sie.
Seufzend drehe ich mich unter der Bettdecke auf die andere Seite und blicke stumm in die pechschwarze Dunkelheit. Es ist zwar erst früher Abend aber ich war nach der Arbeit so müde, dass ich mich sofort ins Bett gelegt hatte. Schlafen kann ich trotzdem nicht.
Am liebsten würde ich jetzt zu Beau gehen und mich bei ihr von all diesen aufwühlenden Gedanken ablenken lassen. Aber ich ahne auch, dass die schöne Kundschafterin mich mit ihrer Anwesenheit in diesem Moment nur noch unruhiger machen würde.
Der Convensator an meinem Handgelenk piepst einmal kurz. 18:45 Uhr.
Wenn ich an diesem Tag noch etwas essen möchte, sollte ich mich schleunigst auf den Weg machen. Kurz überlege ich, das Knurren meines Magens zu ignorieren und einfach liegen zu bleiben, aber dann überwinde ich mich doch und stehe langsam auf.
Während ich die langen weißen Gänge bis zum Speiseraum entlang laufe, begegnen mir bereits einige andere aus der Mannschaft. Stumm nicken wir uns zu und setzen dann zügigen Schrittes unseren Weg fort. Aber ich weiß auch, dass ich meine Mahlzeit zu dieser späten Uhrzeit wohl wieder alleine zu mir nehmen muss. Selbst Jim kann mir heute Abend keine Gesellschaft leisten. Er arbeitet noch.
Wie ich es erwartet hatte, sind außer mir nur sieben andere Personen anwesend, als ich den Speiseraum betrete. Also setze ich mich schweigend an einen der hinteren Tische und beginne stumm zu essen. Nach gut zehn Minuten bin ich fertig und bringe mein Tablett zurück. Als ich gehen will, fällt mein Blick unbewusst auf das ovale Aussichtsfenster am anderen Ende des länglichen Raumes und ich bleibe unschlüssig stehen.
Zuhause habe ich diese Aussicht nicht...
Ich überlege noch einen Moment, doch dann hat mich die Schönheit des Weltraums mal wieder gepackt und ich gehe entschlossen zu dem riesigen Fenster hinüber, setze mich andächtig im Schneidersitz auf den Boden.
Fasziniert studiere ich jeden einzelnen Stern in der Dunkelheit und lasse meine Gedanken in die Weiten des Universums schweifen.
Wieder überkommt mich ein Gefühl von Heimweh.
Es ist die bekannte Sehnsucht nach einem Zuhause. Einer Heimat. Einem Ort, an dem ich endlich ankommen kann. An dem es frische Luft gibt. Klares Wasser und warme Sonnenstrahlen.
Wären wir doch nie von der Erde aufgebrochen...
Ich weiß, dass es nicht meine Entscheidung war, meinen Heimatplaneten zu verlassen. Und dass ich im Kosmos geboren bin. Aber das ändert nichts an meinem tiefsten Herzenswunsch.
Ich will so sehr nachhause...
So versunken in meine Gedanken, bemerke ich gar nicht, wie lange ich da bereits auf dem kalten Boden sitze und grüble. Erst als die grellen Deckenlichter plötzlich erlöschen und sich die Schleuse mit einem leisen Zischen schließt, werfe ich einen aufgeschreckten Blick durch den einsamen Raum. Außer mir ist niemand mehr hier.
Vielleicht sollte ich zurück ins Bett gehen.
Andererseits liebe ich die Stille und die Anwesenheit der funkelnden Sterne und fernen Galaxien über mir. Und so lehne ich mich zurück und lasse meine Gedanken in den endlosen Raum treiben...

Ich sitze fast eine Stunde auf dem unbequemen Boden und denke über alles mögliche nach. Und vielleicht hätte ich auch noch länger so gesessen, wenn mich das Geräusch der Schleuse nicht unvermittelt aufgeschreckt hätte.
„Hier bist du also", höre ich Jims tiefe Stimme und als ich mich schnell zu ihm umdrehe, kommt der junge Mann mit bedächtigen Schritten auf mich zugelaufen.
„Hallo Jim, was machst du hier?", frage ich zurück und beobachte aufmerksam, wie sich mein alter Freund vorsichtig neben mir nieder lässt. Als sich unsere Blicke begegnen, mustert mich Jim sorgenvoll aus seinen dunkelbraunen Augen.
„Ich wollte dich sehen. Aber du warst nicht in deinem Quartier, also habe ich angefangen dich zu suchen", erklärt Jim mit leiser Stimme und nickt dann vage zu dem Sternenhimmel über uns.
„Träumst du wieder?"
Auch ich sehe in die tiefe Dunkelheit hinaus und zögere einen Moment. Doch dann entschließe ich mich dazu, Jim die Wahrheit zu sagen.
„Ja ich-...habe über die Erde nachgedacht", murmle ich und sehe ihn ehrlich an. Jim schweigt einen Moment, dann legt er mitfühlend eine Hand auf meine Schulter und spricht seine Gedanken laut aus.
„Ich glaube, du bist auf diesem Schiff wirklich die einzige, die so sehr an der Vergangenheit hängt..."
Ich schüttle nur traurig den Kopf und sehe hinaus in die Dunkelheit des Alls.
„Wenn ich nur wüsste wieso. Ich kenne die Erde doch gar nicht."
Nun ist es an meinem jungen Kollegen tief zu seufzen.
„Weißt du Reev, vielleicht ist es ganz gut dass wir hier oben sind. Ich meine, denk nur daran wie die Menschen früher auf der Erde gelebt haben. An all die Kriege und Krankheiten, den Dreck und das Elend! Ganz zu schweigen von den Klima- und Umweltkatastrophen! Davon sind wir nun weit entfernt."
Ich weiß, dass Jim mich nur trösten will. Aber es gelingt ihm nicht.
„Das haben sie uns immer wieder in Heimatlehre erzählt, damit wir den Grund unserer Mission nicht anzweifeln! Aber weißt du was sie uns nicht erzählt haben? Wie es klingt wenn der Wind durch die Bäume rauscht oder wie sich Sonnenstrahlen auf deiner Haut anfühlen! Der Duft von Blüten und das Singen der Vögel! Wir haben so viel verloren Jim und wir wissen es nicht einmal!"
Frustriert balle ich meine Hände zu Fäuste und presse die Lippen aufeinander. Jim neben mir schweigt. Zusammen sehen wir hinaus in das funkelnde Sternenmeer und hängen für den Moment unseren ganz eigenen düsteren Gedanken nach. Nach einer Weile, durchbricht Jim jedoch leise unser Schweigen.
„Hast du Beau davon erzählt? Ich meine, weiß sie warum du so fühlst?"
Ich brauche einen Moment um zu begreifen, über welche Gefühle Jim gerade spricht. Doch auch dafür habe ich keine Antwort.
„Nein...Sie kann es sich auch nicht erklären."
Wieder schweigen wir für ein paar Minuten. Und wieder ist es Jim, der die Stille durchbricht.
„Und...was sagt sie zu deinen Gefühlen für sie?"
„Ich-...", ich stocke und breche ab. Zwar habe ich schon einige Male mit meinem Freund über dieses heikle Thema gesprochen, aber ich hatte nie den Eindruck, dass Jim mich wirklich versteht. Aber wie sollte er auch.
Liebesbeziehungen auf der Alignment sind äußerst selten, was nicht zuletzt mit dem fehlenden Sexualtrieb der Besatzung zusammenhängt. Um ein unkontrolliertes Vermehren an Bord auszuschließen, werden die sexuellen Triebe jedes Embryos bereits im Labor gezielt zerstört. Damit geht jedoch in fast allen Fällen auch eine vollständige Verkümmerung der romantischen Veranlagung einher. Und nicht selten auch eine Beeinträchtigung der sozialen Fähigkeiten. Egal was ich Jim also erzähle, selbst wenn er wollte, er kann mich einfach nicht verstehen!
„Ich habe es ihr noch nicht gesagt. Warum auch? Es würde sowieso nichts ändern. Beau wird diese Gefühle genauso wenig nachvollziehen können wie du."
Als ich geendet habe, sieht mir Jim nachdenklich in die Augen.
„Außerdem sieht sie in mir noch immer das kleine Mädchen von damals. Und das wird sich auch so schnell nicht ändern", füge ich schnell noch mit an und senke den Blick.
„Reev, du bist schon lange kein Kind mehr und ich glaube auch, dass Beau das längst erkannt hat. Sie ist in solchen Dingen absolut realistisch", versucht mir Jim mit eindringlicher Stimme Mut zuzusprechen. Aber ich lache nur trocken auf.
„Sie nennt mich immer noch meine Kleine-",
Weiter kommt ich jedoch nicht. Denn plötzlich ertönt ein lauter Pfeifton und in den Wänden um uns herum öffnen sich direkt am Boden gut zwanzig flache Klappen, aus denen unzählige surrende Roboter hervor gefahren kommen.
Putzstunde!
„Wir sollten lieber rausgehen", sage ich seufzend und als Jim zustimmend nickt, erheben wir uns gemeinsam.
„Versuche dir um die Sache mit Beau nicht allzu viele Gedanken zu machen. Und wenn doch, dann solltest du vielleicht trotzdem mit ihr darüber reden. Evenutell hat Beau ja einen Rat für dich", sagt Jim mit leiser Stimme, als wir zusammen die langen, weißen Gänge zurück zu unseren Quartieren gehen.
Mittlerweile ist es 20:38 Uhr.
„Ich versuche es. Danke, dass du mir zugehört hast", antworte ich und lächle einmal dankbar. Mein junger Kollege erwidert dieses Lächeln sofort. Den Rest des Weges schweigen wir. Aber es dauert gar nicht lange, bis wir schließlich bei meinem Zuhause ankommen.
„Ich bin immer für dich da."
Wir verabschieden uns mit einem freundschaftlichen Händedruck voneinander.
„Gute Nacht, Jim."
„Schlaf gut, Reev."
Dann schließt sich die Schleuse hinter mir und ich bin wieder alleine.
Alleine mit meinen Gedanken.

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