Kapitel 3:

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Ich kann von Glück sagen, dass ich Mrs. Mavrik nicht als Dozentin bekommen habe. Es genügt schon, wenn wir uns zwischen den Vorlesungen auf dem Flur sehen. Sie hasst mich, so viel ist klar. Und ich kann es ihr auch nicht verübeln. Immerhin war ich der Grund, weswegen ihre Ehe zerbrochen ist. Auch wenn Jordan ohne mich sicherlich genauso mit jemand anderem fremd gegangen wäre.
Trotzdem quält mich weiterhin mein schlechtes Gewissen. Ich kann es nur schwer ertragen, Mrs. Mavrik so traurig und verletzt zu sehen. Hinzu kommt noch, dass sie mir irgendwie gefällt. Hätte ich geahnt, dass Jordans Frau noch so viel attraktiver ist als er, hätte ich mich garantiert niemals auf ihn eingelassen.
Ich kann es nicht erklären. Irgendwas an ihr zieht mich magisch an...
Vielleicht unternehme ich aus diesem Grund einen zweiten Versuch, mich aufrichtig zu entschuldigen. Aber diesmal nicht in der Uni.
Diesmal fahre ich am späten Abend zu Mrs. Mavrik nachhause. Ich hoffe, dass ihre Kinder zu dieser Uhrzeit schon im Bett sind und wir uns einigermaßen vernünftig unterhalten können.
Meine Hoffnung aber wird in dem Moment zunichte gemacht, als Jordans Frau die Tür öffnet und mich kühl mustert, als sie mich erkennt. Ein Blick in ihre blauen Augen mit den roten Rändern zeigt mir, dass sie wieder geweint hat. Ich beiße mir schuldbewusst auf die Lippe.
„Was willst du hier? Verschwinde, ich will dich nicht mehr sehen!", zischt sie und will die Tür gleich wieder schließen, doch ich drücke schnell dagegen und halte sie so offen.
„Bitte Mrs. Mavrik! Bitte lassen Sie uns in Ruhe über alles reden", beginne ich flehentlich, doch die schöne Frau blickt mich nur verschlossen an.
„Ich wüsste nicht, was es da noch zu reden gäbe", sagt sie kühl und verschränkt die Arme vor der Brust. Ich schlucke einmal heftig.
„Ich möchte Sie nicht jeden Tag in der Uni sehen und mir wünschen im Erdboden zu versinken. Bitte lassen Sie uns darüber wie zwei erwachsene Menschen reden. Nur dieses eine Mal!"
Ich sehe wie Jordans Ehefrau zögert. Doch dann seufzt sie tief und öffnet wiederwillig die Tür.
„Zehn Minuten!"
Mir fällt ein riesiger Stein vom Herzen, als ich das Haus betrete und mich von ihr ins Wohnzimmer führen lasse.
Dort angekommen weist mich Mrs. Mavrik an, auf dem Sofa Platz zu nehmen, während sie selbst stehen bleibt.
„Also. Sag was du so dringend loswerden willst."
Ihre blauen Augen mustern mich durchdringend. Und sie sind immer noch voller Verachtung.
Ich verschränke meine Finger in meinem Schoß und beginne dann langsam zu sprechen.
„Ich weiß nicht, was Jordan Ihnen erzählt hat, aber ich werde Sie nicht belügen. Ich habe Jordan in einer Bar kennengelernt. Wir haben uns gut unterhalten, was getrunken und ich habe ihm erzählt, dass ich neu zugezogen bin. Nach etwa zwei Stunden fragte er mich dann, ob wir nicht bei ihm zuhause weiter reden wollen. Also sind wir hier her gefahren. Mich haben die vielen Kindersachen irritiert, aber Jordan meinte er wäre geschieden und hätte die Kinder jedes zweite Wochenende."
Ich sehe wie Mrs. Mavrik ungläubig den Kopf schüttelt. Ein verachtendes Geräusch verlässt ihre Kehle.
„Mir hat das nichts ausgemacht, da ich sowieso nichts ernstes von ihm wollte. Und als schließlich eins zum anderen führte, wäre ich im Traum nicht darauf gekommen, dass er Sie gerade mit mir betrügen könnte. Ich meine, ich verstehe es bis heute nicht! Sie...Sie sind wahnsinnig hübsch und bestimmt auch sehr liebenswürdig und nett, wenn Sie nicht gerade sauer sind...ich- ich weiß wirklich nicht, warum Jordan Ihnen fremd gegangen ist, aber bitte glauben Sie mir: Ich wollte Ihre Ehe nicht zerstören! Hätte ich gewusst, dass Jordan verheiratet ist, ich hätte mich nie auf ihn eingelassen. Und es tut mir weh, dass Sie nun so viel Schmerz und Kummer deswegen haben. Ich wollte wirklich nicht-"
„Schon gut. Schon gut. Du kannst ja nichts dafür", unterbricht mich Mrs. Mavrik erschöpft und ich kann förmlich sehen, wie eine unsichtbare Mauer von ihr abzufallen scheint. Statt Verachtung steht nun Schmerz und Verletztheit in ihren blauen Augen und ihre abweisende Körperhaltung beginnt zu bröckeln.
„Vivien ist dein Name, richtig?"
Ich nicke überrascht.
„Vivien, es war nicht deine Schuld, das weiß ich ja. Es ist einzig und allein Jordans Schuld. Er ist der Verheiratete und er hat sich ein junges Mädchen angelacht. Er alleine trägt die Verantwortung für den Vorfall. Es ist nur sehr viel einfacher für mich, meinen Schmerz und meine Wut auf dich zu projizieren. Immerhin habe ich dich mit meinem Ehemann halbnackt im Bett erwischt. Und jedes Mal wenn ich dein Gesicht in der Uni sehe, sehe ich diese Szene wieder vor meinen Augen", gesteht mir Mrs. Mavrik völlig überraschend ihre eigenen Gefühle und lächelt mich dann traurig an.
„Weißt du eigentlich wie alt Jordan ist?"
Ich schüttle nur verneinend den Kopf.
„Er hat es mir nicht verraten, aber ich schätze so um die 30", erwidere ich leise. Die schöne Frau seufzt nur tief.
„Er ist 39. Fast zwanzig Jahre älter als du. Und ich weiß auch genau, dass das der Grund war, warum er dich ausgesucht hat. Du bist hübsch, du bist blutjung und er wollte mir damit zeigen, dass er immer noch junge Mädels ins Bett kriegen kann."
„Aber warum?", frage ich verständnislos, „Sie sind vielleicht etwas älter als ich, aber Sie sind...entschuldigen sie den Ausdruck: verdammt heiß. Wissen Sie wie viele meiner Kommilitonen von Ihnen schwärmen?"
Ein kleines, müdes Lächeln legt sich auf Mrs. Mavriks volle Lippen und sie senkt für einen Moment den Blick.
„Etwas älter ist gut. Ich bin mindestens 10 Jahre älter als du, Vivien. Aber ich danke dir für dein Kompliment. Und ich glaube dir auch, dass du den Vorfall mit Jordan ehrlich bereust. Also, was hältst du von Frieden?"
Ein erleichtertes Lächeln bildet sich auf meinen Lippen und ich springe bereitwillig auf, als ich sehe, wie Jordans Frau mir ihre schlanke Hand hinhält.
„Danke. Sie wissen gar nicht, wie sehr Sie mir damit helfen", sage ich, als ich die dargebotene Hand ergreife und vorsichtig schüttle. Die Haut unter meinen Fingern ist warm und weich.
„Das freut mich. Und lass das Sie in Zukunft stecken. Ich heiße Grace", sagt die blonde Frau und schmunzelt. Ihre blauen Augen blicken schon weniger traurig.
„Sehr gerne. Und wirklich danke nochmal. Jetzt werde ich mich immer freuen dich in der Uni zu sehen", antworte ich leicht verlegen und lasse Grace' Hand los. Gegen meinen Willen beginne ich bereits seltsame Gefühle für die Ehefrau meines One-night-stands zu empfinden. Reiß dich zusammen, verdammt!
„Und ich werde mich nicht jedes Mal an den Vorfall zurückerinnert fühlen", entgegnet Grace und lächelt wieder. Es ist ein absolut süßes Lächeln.
Ich weiß, dass es jetzt Zeit ist für mich zu gehen. Aber ich will noch nicht.
„Deine Tochter ist übrigens sehr niedlich. Sie sieht dir sehr ähnlich", sage ich darum leise und sehe Grace tief in ihre blauen Augen. Die jedoch blicken mich nur erstaunt an.
„Lily? Woher kennst du Lily?"
„Ich habe sie gesehen, als ich hier nach dir gefragt habe. Deine Mutter hat mich dann zur Uni geschickt. Jedenfalls glaube ich, dass es deine Mutter war", erkläre ich schnell. Ein wissender Ausdruck breitet sich auf Grace' hübschen Gesicht aus.
„Ah, ich verstehe. Nun denn, es ist schon spät und ich-"
„Natürlich! Tut mir leid, dass ich dich so lange aufgehalten habe", entschuldige ich mich schnell und lasse mich von der jungen Dozentin zur Tür bringen. Als ich mich dann zum gehen wende, muss ich trotzdem noch eine letzte Sache los werden.
„Ich finde du bist eine wirklich bezaubernde und wunderschöne Frau, Grace. Und wenn Jordan das nicht sieht, ist er einfach nur blind", sage ich leise und sehe Grace dabei ehrlich an. Der Blick der anderen Frau wird weich. Sie scheint das Kompliment wirklich zu freuen.
„Und ich weiß jetzt einmal mehr, warum Jordan dich ausgesucht hat", erwidert sie ebenso leise und hebt zum Abschied die Hand, „auf Wiedersehen, Vivien."
Und damit schließt sie sanft die Tür hinter mir.

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