Kapitel 11:

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„Romy! Dein Vater will dich sprechen!", ruft Bruce mir im Vorbeigehen zu, als ich gerade dabei bin mit meinen vier Schützlingen zu trainieren.
„Ist gut!", rufe ich zurück, doch Hades nutzt den kleinen Moment der Ablenkung frech aus und schnappt mir mit einer blitzschnellen Bewegung das Stück Fleisch aus der Hand.
Überrascht habe ich nicht einmal mehr genug Zeit zu reagieren, bevor auch Zeus, Hera und Dionysos angelaufen kommen und sich fordernd vor mir in den Sand des Übungsgeheges setzen.
„Na siehst du, was du angerichtet hast", tadle ich Hades mit ärgerlichem Blick, doch der junge Tiger schnurrt nur und räkelt sich zufrieden auf dem Boden. Seufzend gebe ich auch seinen drei Gefährten ihre Belohnung und kraule alle zum Abschied hinter den Ohren, bevor ich das Gehege verlasse und eilig das Büro meines Vaters aufsuche.
Als ich vorsichtig anklopfe, wird die Tür nur wenige Sekunden später stürmisch aufgerissen und mein Vater betrachtet mich mit abschätzigen Blick.
„Da bist du ja. Komm rein!", brummt er und ich betrete folgsam den ansonsten leeren Wohnwagen.
„Setz dich da auf den Stuhl!"
Wieder komme ich stumm der herrischen Anweisung nach.
Mein Vater aber läuft mit unruhigen Schritten vor mir auf und ab. Zeitweise streicht er sich über seinen schwarzen Schnauzbart, dann verschränkt er seine Hände wieder hinter seinem Rücken.
Und gerade als ich fragen will, was überhaupt los ist, beginnt er schließlich zu sprechen.
„Romy, ich dulde nicht mehr, dass du diese....diese Schauspielerin triffst!"
Er spuckt mir das Wort förmlich vor die Füße, während ich ihn nur erschrocken anstarren kann.
„Was?! Aber-"
„Kein Aber! Der ganze Zirkus zerreißt sich bereits das Maul über euch!!"
Zornig funkelt er mich an. Ich aber kann meinen Vater nur mit offenem Mund anstarren.
„June ist eine Freundin für mich...", versuche ich mich zu verteidigen, doch da unterbricht er mich schon wieder.
„Ich will gar nicht wissen, was ihr abartiges miteinander treibt, Romy! Ich weiß nur, dass mir die Männer die Türe einrennen und du nicht da bist!! Damit ist jetzt Schluss! Hiermit verbiete ich dir, dich je wieder mit dieser Miss Evans zu treffen, hast du verstanden?! Und wehe du erzählst einem meiner Geschäftspartner, was sie mit dir angestellt hat!!"
Tränen der Wut und der Verzweiflung schießen mir in die Augen und ich springe aufgebracht von meinem Stuhl auf, balle die Hände zu Fäusten.
„June und ich schlafen nicht miteinander, Vater! Und überhaupt, sie hat mich nicht einmal angefasst! Sie hilft mir! Du kannst nicht-"
Ich sehe seine Hand nur noch verschwommen. Aber sie hinterlässt einen stechenden Schmerz auf meiner Wange.
„Ich kann und ich werde, meine liebe Tochter!", knurrt mein Vater und funkelt mich zornig an.
„Aber June hat dich bezahlt! Du kannst doch nicht einfach dein Wort brechen!", rufe ich außer mir und nun laufen mir die Tränen wirklich über die Wangen. Aber nicht weil mein Vater mich geschlagen hat. Oder weil er mich erneut an gut betuchte Herren aus unserer Vorstellung verkaufen will. Alleine der Gedanke June nicht mehr sehen zu dürfen, zerreißt mir beinahe das Herz!
„Sie wird nie etwas davon erfahren. Oder willst du etwa, dass Zeus und Hera sich unglücklicherweise ein paar schmerzhafte Verletzungen mit der Peitsche zuziehen?"
Mir weicht schlagartig mein gesamtes Blut aus dem Gesicht und ich sacke zitternd ein wenig in mich zusammen.
Das wars. Gegen diese Drohung bin ich machtlos. Ich kann nicht zulassen, dass mein Vater den Tigern etwas antut! Niemals!
„Ich-...ich werde ihr sagen, dass ich sie nicht mehr sehen möchte. Gleich morgen", presse ich zwischen zusammengepressten Lippen hervor und als mein Vater zufrieden nickt, verlasse ich fluchtartig den Wohnwagen.
Mit Tränen verschleiertem Blick renne ich so schnell ich kann zu den Käfigen meiner vier Freunde hinüber und schlüpfe zu ihnen in das kleine Übungsgehege.
Weinend kauere ich mich auf dem Boden zusammen und schlinge schluchzend die Arme um meinen eigenen Körper.
Schon bald spüre ich jedoch eine nasse Nase an meiner Wange und als ich langsam aufblicke, schnuppert Hera überrascht an mir.
„Was mache ich jetzt nur?"
Meine Stimme zittert und bricht dann endgültig. Als Antwort lässt sich die weiße Tigerdame mit einem dumpfen Plumps vor mir auf den Boden fallen. Sofort krieche ich zu ihr hinüber und schlinge beide Arme um ihren weichen Hals, schmiege mich vertrauensvoll an ihr warmes Fell, während ich den Tränen freien Lauf lasse.
Hera schnurrt nur leise und legt sich geduldig auf die Seite. Und als dann auch noch Hades angetrabt kommt und sanft seinen großen Kopf an meinem Rücken reibt, weiß ich, dass es wenigstens noch zwei Seelen auf dieser Welt gibt, die mich aufrichtig lieben.

In dieser Nacht weine ich mich mich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder in den Schlaf.

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