Kapitel 1:

187 17 2
                                    

Ich weiß nicht, wo ich bei dieser Geschichte am besten beginnen soll.
Denn sie erzählt von einer unvergesslichen Reise mitten durch das Universum.
Meiner Reise.
Aber vielleicht beginne ich einfach ganz am Anfang...

Der elektronische Convensator an meinem Handgelenk gibt einen sanften Stromstoß von sich. Müde blinzle ich in die schummrige Dunkelheit meines Quartiers und drehe mich träge auf die Seite.
Erneut fährt ein kleiner Stromschlag durch meinen Körper. Diesmal etwas stärker als der letzte. Es ist Zeit zum Aufstehen!
„Schon gut, schon gut", murmle ich leise und bestätige mit einem Finger auf dem Display, dass ich nun wach bin. Daraufhin verschwinden das Wecksystem und es erscheint das aktuelle Datum und die Uhrzeit:
Dienstag, 7. April 2331, 04:17 Uhr.
Meine Schicht im Maschinentrakt der Alignment beginnt in genau 43 Minuten. Bevor ich diese aber antreten werde, heißt es für mich erst einmal anziehen und frühstücken. Schweigend schlüpfe ich in meinen dunkelroten Arbeitsoverall und werfe im Badezimmer einen raschen Blick in den Spiegel.
Eine junge Frau mit weichen Gesichtszügen und grünen Augen blickt erwartungsvoll zurück. Nur...ihre hellbraunen Haare sehen noch etwas zerzaust aus. Seufzend greife ich nach meiner Bürste und beginne mit dem Kämmen. Nach etwa zwei Minuten bin ich mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden und verlasse das Badezimmer wieder. Der Convensator an meinem Handgelenk öffnet die Schleuse zu meinem Quartier und ich betrete schweigend den leeren, weißen Gang vor mir.
Auf dem Weg zum Speiseraum begegnet mir fast niemand der 472 an Bord lebenden und arbeitenden Menschen. Das ist aber auch nicht weiter überraschend. Denn um diese Uhrzeit befinden sich die meisten von ihnen bereits beim Frühstück oder aber noch auf ihrem Arbeitsplatz. Ich jedoch ziehe es vor, meinen eigenen Zeitplan einzuhalten und so stoppe ich auch an diesem Morgen vor dem großen Aussichtsfenster auf der Hälfte meiner Strecke. Das vertraute Funkeln weit entfernter Sterne und Planeten begrüßt mich wie einen alten Freund und ich nehme mir einen Moment Zeit, die stille Schönheit des Weltraumes zu betrachten, bevor ich meinen Weg schließlich fortsetze.
Als ich wenige Minuten später den Speiseraum betrete, sitzen dort schon alle Angehörigen der Frühschicht an langen Tischen und nehmen mehr oder weniger schweigend ihre Mahlzeit zu sich. Auch ich reihe mich in die kurze Schlange vor der Essensausgabe ein und lasse meinen Blick flüchtig über die Köpfe der Anwesenden schweifen. Wie es scheint, arbeitet an diesem Morgen aber niemand den ich näher kennen würde. Also halte ich stumm den Convensator an meinem Handgelenk gegen das Display des Automaten und kann nur fünf Sekunden später mein Frühstück aus einer schmalen Klappe auf der Höhe meiner Hüfte entnehmen. Mit meinem Tablett in der Hand steuere ich auf einen der weniger vollen Tische zu und begrüße die dort bereits sitzende Mannschaft mit einem knappen aber höflichen Kopfnicken. Genau wie für sie gibt es auch für mich an diesem Morgen ein flaches Brot und dazu einen Art Aufstrich aus feingehacktem Gemüse. Als Getränk erhält jeder einen Becher voll Wasser dazu.
Während ich mein Frühstück zu mir nehme, wandern meine Augen erneut durch den gut gefüllten Raum. Ich entdecke ein paar meiner Kollegen aus dem Maschinentrakt, unverwechselbar an ihren dunkelroten Overalls zu erkennen. Aber auch Teile der Mannschaft aus den übrigen Trakten der Alignment sitzen hier und stärken sich für den bevorstehenden, harten Arbeitstag. Jeder von ihnen trägt dabei die Farbe seines zugehörigen Bereichs.
Die Mannschaft, damit sind aktuell 472 Besatzungsmitglieder an Bord der Alignment gemeint. Einem Raumschiff auf dem Weg durch den Kosmos zu einem weit entfernten Planeten, Dwell. Auf ihm soll eine Basisstation errichtet und das Leben unter freiem Himmel getestet werden. Vor 166 Jahren brachen unsere Vorfahren dafür mit der Alignment von der Erde auf. Bei ausreichendem Erfolg der Mission sollen nach und nach alle Menschen von der Erde auf Dwell übergesiedelt werden. Denn auf dem blauen Planeten wird das Leben für die Menschheit zunehmend immer schwieriger...
Ich beiße ein Stück von meinem Brot ab und kaue nachdenklich darauf herum. Es schmeckt nicht schlecht, aber nach über 21 Jahren bin ich den Geschmack langsam etwas leid. Ich selbst und auch alle anderen Angehörigen der 15. Generation wurden auf diesem Raumschiff geboren. Da die Flugstrecke von der Erde bis zu Planet Dwell exakt 294 Jahre beträgt, war von Vornherein klar, dass diese Mission nur von mehreren Generationen ausgeführt werden könnte. Demzufolge wird alle zehn Jahre eine neue Generation von Menschen erschaffen, um die Zeit bis zur Landung ohne größere Probleme überbrücken zu können. Nach etwa 80 Jahren ist die Lebenserwartung dieser Generation dann erreicht und sie sterben relativ kurz nacheinander. Dieses Phänomen hängt sehr wahrscheinlich mit der kosmischen Strahlung um uns herum zusammen. Aber es ist auch gut so, denn die Alignment ist für maximal 460 Personen ausgelegt. Sicherlich kann sie auch eine etwas größere Besatzung über einen beschränkten Zeitraum ernähren, aber wenn eine neue Generation nachkommt, ist es für die Älteste nun einmal Zeit zu gehen.
Das bedeutet aber auch, dass diese Generationen nie etwas anderes als das Innere des Raumschiffes zu sehen bekommen werden.
Und vor allem mir macht das zunehmend zu schaffen...
Ich beende mit einem unwohlen Gefühl im Magen mein Frühstück und verlasse auf dem schnellsten Weg den Speiseraum. Mein Convensator zeigt 04:42 Uhr. Ich habe also noch genug Zeit, mir die Zähne zu putzen und mich etwas frisch zu machen. Um kurz vor 5 Uhr laufe ich dann zügig die langen Gänge entlang bis zu den beiden großen Schleusen, hinter denen sich der Maschinentrakt befindet.
Ich halte den Convensator an meinem Handgelenk gegen das Display in der Wand. Opening, erscheint dort in grünen Buchstaben und ich weiß, dass meine Arbeitszeit jetzt zu laufen beginnt. Zeitgleich öffnet sich ein kleiner Durchgang auf der rechten Seite der riesigen Schleuse und ich betrete schweigend den großen Raum dahinter.
—————————
„Reeva!"
Ich zucke überrascht zusammen und stecke das Multitool in meiner Hand in die Tasche meines Overalls bevor ich umständlich unter einem der riesigen Kühlsysteme hervorkrieche und mir den Schweiß von der Stirn wische. Dort unten ist es nämlich entgegen seinem Namen nicht gerade wirklich kühl.
„Was gibt's?"
Jim steht vor mir und reicht mir lächelnd seine Hand, um mir beim Aufstehen zu helfen. Jim ist mein Kollege und gleichzeitig auch ein guter Freund. Er entstammt ebenfalls der 15. Generation und ich kenne ihn bereits seit ich denken kann. Unsere gesamte Kindheit haben wir miteinander verbracht und waren schon damals unzertrennlich. Anders als auf der Erde werden Kinder hier auf der Alignment nämlich nicht in ihren Familien groß. Sie werden auch nicht wirklich geboren. Die Embryonen entstehen im Labor und wachsen dort in speziellen Behältern bis zu ihrer optimalen Größe und Gewicht heran. Erst dann werden die Babys von ihrem Lebenserhaltungssystem abgetrennt und erblicken das Licht der Welt. Oder- die Dunkelheit des Weltraums.
Diese Art der künstlichen Fortpflanzung wurde für unsere Mission gewählt, um einer unkontrollierten Vermehrung oder gar einem Rückgang der Population entgegenzuwirken und die Besatzung an Bord zu jeder Zeit uneingeschränkt einsatzbereit zu halten. Außerdem sind unsere Körper durch die kosmische Strahlung im All schon vor langer Zeit gänzlich unfruchtbar geworden.
Jede neue Generation von Menschen besteht aus 55 Individuen. Diese Kinder werden bis zu ihrem zehnten Lebensjahr von ihren Erziehern in kleinen Gruppen betreut und versorgt. In dieser Zeit erhalten sie zudem ihre Grundausbildung, welche sie später in die verschiedenen Trakte des Raumschiffes verteilen wird. Jim und ich hatten Glück. Wir sind beide Antriebstechniker geworden und können uns so auch täglich während der Arbeit sehen.
Heute allerdings lächelt Jim besonders breit. Und in seinen dunkelbraunen Augen liegt außerdem ein verheißungsvoller Glanz.
„Beau ist zurück", sagt er ruhig und streckt gleichzeitig die Hand nach dem Werkzeug in meiner Tasche aus. Mein Herz aber macht bei seinen Worten einen heftigen Sprung und ich spüre wie die Freude durch meinen Körper schießt.
Beau ist zurück!
„Jetzt schon? Ich dachte sie wollte erst in vier Tagen zurückkehren", erwidere ich aufgeregt und hole eilig das Multitool aus meiner Tasche, um es Jim in seine geöffnete Hand zu drücken.
Ich kenne Beau schon seit meinem 9. Lebensjahr. Damals hatte ich als einzige Person das komplizierte Problem im Antrieb ihres Spähers lösen können, an dem alle anderen gelernten Kurzstrecken- und Antriebstechniker kläglich gescheitert waren. Und das obwohl ich mich zu diesem Zeitpunkt noch in der Grundausbildung befunden hatte! Womöglich hat mir auch gerade das meinen Platz im Maschinenraum der Alignment eingebracht. Beau entstammt der 14. Generation und ist somit ganze zehn Jahre älter als ich. Sie ist eine unserer fünfzehn Kundschafter, die in regelmäßigen Abständen mit ihren kleinen aber wendigen Spähern hinaus in den dunklen Kosmos fliegen, um die Ressourcen an Bord zu erneuern und Gefahren auf unserem Kurs rechtzeitig zu entdecken.
Dieses Mal war Beau auf einer sogenannten Versorgungsmission unterwegs. Schon vor zwei Wochen hatte sie die Alignment zusammen mit sieben anderen Kundschaftern verlassen, um zu einem kleinen Mond etwas abseits unserer geplanten Route zu fliegen. Wenn ihr Einsatz dort erfolgreich war, dürfen wir uns schon bald wieder über frische Nahrung und andere überlebensnotwendige Dinge auf der Alignment freuen.
„Am besten fragst du sie einfach selbst", erwidert Jim und lächelt mir aufmunternd zu. Dann bückt er sich und beginnt nun seinerseits unter das surrende Kühlsystem zu krabbeln, was bei seiner kräftigen Statur relativ umständlich aussieht, „ich bin gekommen um dich etwas früher rauszulösen. Ich dachte, du wolltest sie vielleicht begrüßen gehen..."
Jims Stimme ist nur noch dumpf zu hören, doch mein alter Freund muss mein Gesicht nicht sehen um zu wissen, welchen großen Gefallen er mir da gerade tut. Und...den rosigen Schein auf meinen Wangen braucht er auch nicht zu sehen. Er versteht es ja doch nicht...
„Danke! Du hast mal wieder etwas gut bei mir", rufe ich ihm dankbar zu und bekomme als Antwort nur ein abwehrendes Brummen. Da Jim aber nun meinen Platz hier auf der Arbeit übernommen hat, habe ich keine Zeit mehr zu verlieren. Im Laufschritt steuere ich eilig auf den Ausgang des Maschinenraums zu. Auf meinem Weg dorthin, komme ich an einigen Antriebstechniker der 11. bis 14. Generation vorbei, welche mich alle ausnahmslos mit einem recht verwirrten Gesichtsausdruck mustern. Normalerweise läuft hier unten nämlich niemand ohne zwingenden Grund so rasch durch die große Halle. Nun, seitdem uns die neuen Kollegen aus der 16. Generation zugeteilt wurden, flitzt zumindest ab und zu jemand die schmalen Gänge entlang. Trotzdem gehören Jim und ich mit unseren 21 Jahren noch immer zu den Jüngsten im Maschinenraum. Denn pro Generation sind nur eine Handvoll Menschen überhaupt dazu in der Lage abstrakt genug zu denken, um den komplizierten Antrieb der Alignment zu verstehen und auf Fehler überprüfen zu können.
Mittlerweile bin ich am Ende des Maschinentrakts angekommen und schiebe den linken Ärmel meines Overalls nach hinten, um den Convensator an den flachen Bildschirm neben der dunkelgrauen Schleuse halten zu können. Dismissed erscheint in roten Buchstaben und meine Arbeitszeit ist nun gestoppt. Anders würde sich der Durchgang vor mir auch nicht öffnen. Schnell schlüpfe ich hindurch und mache mich auf den Weg zum Hangar. Da zu dieser Uhrzeit normalerweise noch kein Schichtwechsel ansteht, sind die weißen Gänge bis zu den oberen Ebenen wie ausgestorben.
Meine Vorfreude auf Beau wächst mit jedem Meter, den ich zurücklege. Auch wenn ich weiß, dass sie eine ausgezeichnete Pilotin ist, mache ich mir doch jedes Mal Sorgen, wenn sie das Schiff für einen ihrer Aufträge verlässt. Natürlich ist auch mir klar, dass wir Dwell nie erreichen können, ohne unterwegs fremde Planeten und Monde anzufliegen um dort unsere wichtigsten Ressourcen zu erneuern. Aber es gab auch einen Grund, warum das Ziel unserer Reise ausgerechnet Planet Dwell ist und nicht einer der anderen Himmelskörper auf unserem Kurs. Dwell ist der einzige Planet, welchen wir von der Erde aus ausfindig machen konnten, auf dem ein Leben unter freien Himmel überhaupt möglich scheint. Denn auf allen anderen befinden sich entweder giftige Gase, kochend heiße oder bitterkalte Temperaturen oder aber lebensgefährliche Strahlungen, um nur einige Punkte zu nennen. Manche Planeten und Monde sind sogar bewohnt. Und das nicht gerade von freundlichen oder hilfsbereiten Wesen. Es passiert zwar nicht oft, aber im Laufe der Jahre sind schon einige der Kundschafter bei ihren Flügen ums Leben gekommen. Und ich will mir gar nicht ausmalen, welchen Gefahren Beau auch dieses Mal wieder nur knapp entkommen sein wird...
Ich schlittere um eine Ecke des Ganges und erreiche endlich die große Aussichtsplattform V5, welche durch ein ovales Fenster den Blick auf den darunter liegenden Hangar freigibt. Sofort entdecke ich die Gray Hawk in Mitten der vier landenden Späher und ich spüre mein Herz schneller klopfen, als sich nach einigen Sekunden die Luke des grauen Raumschiffs öffnet. Heraus klettert eine schlanke, weibliche Person in einem weißen Fluganzug mit verspiegelten Helm.
Ich kann nicht verhindern, dass ich anfange zu lächeln als Beau mit geübten Handgriffen den Verschluss ihres Helms löst, welcher optisch stark an den früherer Jet-Piloten erinnert. Darunter kommt eine hübsche, junge Frau zum Vorschein, die sich mit einer schnellen Handbewegung durch ihre blonden Haare fährt und dann eiligen Schrittes die Landefläche der restlichen Späher verlässt.
Ich beobachte aufmerksam, wie die erfahrene Pilotin zu einer kleinen Gruppe Raumforscher hinüber läuft, während sich hinter ihr sofort etliche Kurzstreckentechniker in orangenen Arbeitsoveralls an ihrem Späher zu schaffen machen.
Ich runzle verwirrt die Stirn.
Ist die Gray Hawk etwa defekt? Ist Beau deshalb so früh zurückgekehrt?
Es wäre nicht das erste Mal, dass Beaus Späher ihr Probleme bereitet. Und es frustriert mich enorm, dass man mich keinen einzigen Blick auf das Schiff werfen lässt. Ich könnte es reparieren, mit Sicherheit! Aber hier auf der Alignment herrscht eine klare Aufgabenverteilung und vor allem - eiserne Disziplin!  Und mein Aufgabenfeld ist nun mal der Maschinenraum. Daran gibt es leider nichts zu diskutieren...
Nachdem Beau den Hangar zusammen mit den Forschern durch eine unscheinbare Seitenschleuse verlassen hat, kehre auch ich der Aussichtsplattform den Rücken und mache mich auf den Weg ins Innere der Alignment. Ich weiß, dass es nicht lange dauern wird, bis Beau mir begegnet. Und tatsächlich: auf halber Strecke zwischen ihrem Quartier und dem Hangar kommt mir die junge Pilotin noch in ihren dünnen Fluganzug gekleidet entgegen gelaufen.
„Willkommen zuhause, Sternenbummler", begrüße ich die junge Frau mit einem glücklichen Lächeln und bekomme dafür im Gegenzug ein amüsiertes Lachen geschenkt. Beaus blaue Augen blitzen wissend.
„Schön, dass du mich abholst", erwidert sie sanft und dann finde ich mich auch schon in der langersehnten Umarmung wieder. Ich ziehe Beaus schlanken Körper eng an meinen eigenen und atme tief ihren angenehmen Duft ein. Ein Duft nach süßen und lebendigen Blumen. Jedenfalls stelle ich mir den Duft der Blüten genau so vor.
„Du bist so früh zurück! Was ist passiert?", kann ich meine Neugier und Besorgnis dann jedoch nicht mehr zügeln und sehe die erfahrene Pilotin fragend an. Beau seufzt nur tief und massiert sich mit der linken Hand kurz ihre Stirn, bevor sie mir antwortet.
„Bei unserem Landeanflug auf den neuen Mond ist etwas schief gelaufen. Als wir die Atmosphäre durchdrungen hatten, haben uns umherschießende Gesteinsbrocken getroffen. Sie waren winzig, aber sie haben sich durch die Hülle der Hawk gebohrt und mir etliche Leitungen beschädigt. Ein paar konnte ich reparieren, aber wenn ich nicht sofort umgekehrt wäre-...naja."
Beau unterbricht sich und weicht meinem Blick aus. Aber wir wissen beide, was sie sagen wollte. Und ich schlucke einmal hart.
Der Weltraum ist ein absolut tödlicher Ort. So wunderschön...und gleichzeitig so grausam.
Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran denke, dass Beau womöglich nicht mehr zurückkommen könnte. Diese Vorstellung ist einfach-...schrecklich! Denn einmal abgesehen von Jim ist Beau meine engste Bezugsperson. Meine Vertraute, meine Mentorin und in gewisser Art und Weise auch meine Familie. Bei Beau fühle ich mich geborgen und verstanden. Ihre Nähe ist für mich genauso wichtig wie der Sauerstoff in meinen Lungen und das Blut in meinen Adern. Und diese Tatsache ist vor allem auf meine Kindheit zurückzuführen. Denn obwohl sich mein Erzieher tadellos um mich, Jim und den Rest meiner Gruppe gekümmert hatte, habe ich von ihm niemals so etwas wie väterliche Fürsorge oder echte Zuneigung erfahren. Für die anderen Kinder schien das kein Problem zu sein, ich aber hatte immer das Gefühl, etwas wichtiges würde mir fehlen.
Etwas warmes. Etwas weiches. Etwas sicheres...
Und dann traf ich auf Beau. Und sie hat mir genau das gegeben. Plötzlich war da jemand, dem ich mich anvertrauen konnte. Jemand der meine Wünsche und Gedanken verstand und der mir immer zur Seite stand. In Beaus Nähe war ich so oft einfach glücklich, unbeschwert und sorgenfrei. Und das hat sich bis heute nicht verändert. Wenn überhaupt stehe ich der jungen Pilotin jetzt noch viel näher als vor über zehn Jahren. Und dennoch wusste ich schon damals, dass diese Verbindung zu ihr einzigartig ist...
Für Jim sind Beau und ich lediglich enge Freunde- auch wenn Freundschaften über die eigene Generation hinaus sehr selten sind. Und egal wie oft ich auch versucht habe ihm diese pochenden Gefühle in meinem Herzen zu erklären, er versteht es einfach nicht. Ich aber bin mir sicher. Was ich für Beau empfinde ist...mehr!
„....sonst waren wir erfolgreich, nur die vier defekten Späher haben die Mission vorzeitig abgebrochen. Trotzdem muss ich mich von diesem Einsatz erst einmal eine Weile erholen. Er war-...sagen wir mal...strapazierend", reißt mich Beau unvermittelt aus meinen Gedanken und ich brauche ein paar Sekunden, um zum Thema unseres Gesprächs zurück zu finden.
„Ich bin sehr froh, dass du wieder gesund zuhause bist", erwidere ich leise und ziehe Beau erneut in eine enge Umarmung. Die junge Pilotin drückt mich sanft an sich und wir verharren einen Moment in dieser Position.
Nicht auszudenken, wenn ihr etwas passiert wäre.
Nach einigen langen Sekunden löst sich Beau schließlich von mir und legt sanft eine Hand auf meinen Rücken, damit ich ihr den Gang entlang folge. Zusammen machen wir uns auf den Weg zu Beaus Quartier und ich genieße ihre Anwesenheit in vollen Zügen.
„Und? Was hast du so unternommen, während ich weg war?", fragt mich die hübsche Kundschafterin mit einem Lächeln in der Stimme, während wir so nebeneinander herlaufen. Es ist immer dieselbe Frage. Und Beau meint sie nie ernst. Aber unser Leben ist nun mal nicht besonders abwechslungsreich oder vielseitig. Und darum gebe ich auch immer dieselbe Antwort.
„Viele spannende Dinge! Ich habe gearbeitet, gegessen und geschlafen", sage ich ironisch und da lacht Beau kurz aber amüsiert auf. Es ist ein helles, fröhliches Geräusch.
„Also alles so wie immer", neckt sie mich und ich nicke seufzend. 
„Leider, ja. Wie war es auf dem Mond? Wie sah es dort aus?", frage ich dann neugierig. Beau verzieht nur das Gesicht und geht mir voran um eine Abzweigung.
„Ehrlich gesagt habe ich nicht allzu viel von der Umgebung gesehen. Wir waren alle viel zu sehr damit beschäftigt nicht abzustürzen und trotzdem den Auftrag zu erfüllen. Aber...es war sehr stürmisch dort, sehr steinig. Ziemlich ungemütlich um ehrlich zu sein."
Inzwischen sind wir bei Beaus Quartier angekommen. Mithilfe des Convensators an ihrem Handgelenk öffnet die junge Kundschafterin die Schleuse und ich kann einen kurzen Blick in das vertraute Zimmer dahinter werfen. Ich weiß gar nicht wie viele Stunden ich dort schon verbracht habe aber ich bin mir sicher, dass es mit die glücklichsten in meinem Leben waren.
„Reev?"
Schnell sehe ich zu Beau zurück und bekomme ein warmes Lächeln von ihr geschenkt.
„Danke für dein herzliches Willkommen. Ich hoffe wir können uns in den nächsten Tagen wieder öfter sehen."
„Das hoffe ich auch", antworte ich mit rauer Stimme und hebe zum Abschied kurz die Hand. Beau erwidert diese Geste und verschwindet dann im Inneren ihres Quartiers. Sie ist erschöpft. Und auch wenn ich gerne noch viel mehr Zeit mit ihr verbracht hätte, stehen ihre Bedürfnisse natürlich an erster Stelle.
Und so mache ich mich alleine auf den Weg zurück nachhause. Mit einem warmen Gefühl im Herzen.

KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt