Kapitel 13:

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Die Zeit ins Beaus Armen geht wie immer viel zu schnell vorbei. Nach nur wenigen Minuten ertönen die ersten Funksprüche der Eagle und der Vulture im Cockpit und die junge Pilotin leitet zusammen mit ihren beiden Kollegen das Wendemanöver der Hawk ein. Durch den beschädigten Späher geht ein unangenehmes Rucken und ein dumpfer Schlag, als erst die Eagle und dann die Vulture ihre Landehaken zielsicher abwerfen und das Schiff so Stück für Stück abbremsen. Als das passiert ist, nehmen die beiden wendigen Späher die manövrierunfähige Hawk in ihre Mitte und fliegen auf direktem Kurs zurück zur Alignment.
Beau ist während der gesamten Rettungsaktion hochkonzentriert und so wage ich es nicht die schöne Kundschafterin anzusprechen. Doch je näher wir der Alignment kommen, desto mehr werden mir nun die Konsequenzen für mein überstürztes Handeln bewusst!
Ich habe den Captain beschimpft und angegriffen. Ich habe einen Trandensator aus dem Lager gestohlen und eine Rettungskapsel ohne Erlaubnis benutzt. Ich habe den Antrieb der Hawk unwiderruflich zerstört...
Alleine schon für meinen eigenmächtigen Flug mit der Rettungskapsel steht mir die sofortige Aussetzung bevor. Die Höchststrafe. Ich spüre wie die Angst erneut zurück in meinen Körper kriecht! Aussetzung bedeutet, dass man mich in eine der vier Außenschleusen der Alignment stellen wird, aus denen sonst nur die unverwertbaren Güter an Bord abgeworfen werden. Ohne Raumanzug. Ohne Sauerstoff. Und dann wird jemand die Schleuse hinaus zum Weltraum öffnen. Was meinen sicheren Tod bedeutet.
Es gibt nicht viele Vergehen auf der Alignment, die mit Aussetzung bestraft werden. Aber das Benutzen einer Rettungskapsel ohne den ausdrücklichen Befehl des Captains gehört definitiv dazu. Und ich habe es trotzdem getan. Für Beau. Nun muss ich auch die Verantwortung für mein Handeln tragen.
Durch das Cockpit der Hawk sehe ich das große Mutterschiff still und dunkel vor uns auftauchen. Es ist das erste Mal, dass ich die Alignment von außen betrachte. Und obwohl ich weiß, dass ich jetzt ein Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit verspüren sollte, fühle ich lediglich eine große Leere in mir. Und eine beklemmende Furcht.
„Wir sind fast da. Wenn wir gelandet sind möchte ich, dass du sofort deine Verletzungen untersuchen lässt! Ansonsten könntest du womöglich bleibende Schäden davontragen."
Beaus klare Anweisungen holen mich zurück in das hier und jetzt, doch ich lache bei ihren Worten nur tonlos auf.
„Beau...Sie werden mich verhaften, sobald sich die Luke der Hawk geöffnet hat. Und was danach passiert weißt du genauso gut wie ich. Du-"
Doch da hat Beau bereits ihren Platz im Cockpit verlassen und ist mit wenigen Schritten bei mir, um mich fest an beiden Schultern zu packen.
„Dir wird nichts passieren! Überlass das Reden mir, egal was passiert, hast du verstanden? Ich werde nicht zulassen, dass sie dich töten! Vertrau' mir."
Beaus blaue Augen blicken tief in meine. Und selbst wenn ich wollte, ich kann mich ihrem bittenden Blick einfach nicht entziehen! Vielleicht ist dies das letzte Mal, dass ich Beau lebend zu Gesicht bekomme...
„Ich vertraue dir, Beau", meine Stimme ist heiser und ich umklammere mit beiden Händen ihre Handgelenke, halte die junge Pilotin dort fest, „aber du wirst die Regeln nicht ändern können! Ich habe mich dazu entschieden dich zu retten, auch wenn das meine Aussetzung bedeutet und ich habe es getan weil ich dich liebe!"
Ein lautes Geräusch zerschneidet die Stille und kurz darauf wird die einmal Hawk unsanft durchgeschüttelt. Ein grelles Pfeifen ertönt und ich weiß, dass wir soeben im Hangar der Alignment gelandet sind. Mein Herz beginnt augenblicklich schneller zu schlagen.
„Egal was du tust, lass mich mit dem Captain reden", bringt Beau gerade noch hervor, bevor die Luke der Hawk von außen geöffnet wird und gleißendes Licht in das Innere des Spähers fällt. Beinahe sofort stürmen dutzende Männer des Sicherheitsdienstes durch die kleine Öffnung und umstellen mich und Beau mit ausdruckslosen Gesichtern. Stumm reicht mir die erfahrene Kundschafterin ihre Hand und zieht mich sanft auf die Füße. Und auch als ich kurz darauf zitternd auf eigenen Beinen stehe, legt Beau fürsorglich eine Hand auf meinen Rücken und führt mich unter dem wachsamen Blick der Männer hinaus in den hell erleuchteten Hangar.
„Major! Ich bin sehr froh Sie unversehrt wiederzusehen!"
Die tiefe Stimme des Captains schallt freudig zu uns herauf, als ich hinter Bau die kurze Leiter hinunter klettere und dabei verbissen das Brennen in meinem Arm ignoriere. Am Boden des Hangars angekommen, erwartet uns bereits der Captain höchstpersönlich. Neben ihm stehen etliche Forscher, Navigatoren und weitere Angehörige des Sicherheitsdienstes. Sofort stellt sich die junge Kundschafterin schützend vor mich und sieht den Captain mit ernstem Blick unverwandt an.
„Ich danke Euch, Captain. Aber trotz Eurer Mühen wäre ich jetzt nicht mehr am Leben, wenn Reeva mich nicht entgegen Eures Befehls gerettet hätte. Die Anwesenheit so vieler Männer des Sicherheitsdienstes lässt mich allerdings stark an Eurer Dankbarkeit zweifeln..."
Beaus Stimme ist ruhig und gefasst, doch an der Art wie sie immer wieder aufmerksam unsere Umgebung beobachtet, erkenne ich, dass sie äußerst angespannt ist. Und auch mir schlägt das Herz mittlerweile bis zum Hals.
Die freundliche Miene des Captains verdüstert sich etwas und nach einem schnellen Blick auf mich, sieht er Beau mit schief gelegten Kopf prüfend an.
„Sie wissen so gut wie ich Major, dass ein unautorisiertes Benutzen der Rettungskapseln mit der sofortigen Aussetzung bestraft wird! Ganz gleich aus welchen Gründen Reeva es tat. Ich dulde keine Regelverletzung auf diesem Schiff!"
Ich schlucke einmal hart, doch Beau hebt nun ihrerseits das Kinn und funkelt den Captain kalt an.
„Wäre Reeva nicht gewesen hättet Ihr nicht nur Eure beste Pilotin verloren, sondern auch die Hawk. Ein wahrlich herber Verlust im Vergleich zu einer unbemannten Rettungskapsel."
„Eine unbemannte Rettungskapsel die vollständig einsatzbereit war, im Gegensatz zu diesem schrottreifen Späher!", spukt der Captain Beau nun förmlich entgegen und deutet grimmig auf die kläglich vor sich hin dampfende Gray Hawk zu unserer rechten. In mir zieht sich mein Magen kurz aber schmerzhaft zusammen! Denn da hat er nicht ganz unrecht...
„Einmal ganz davon abgesehen, dass falsche Bauteile in der Hawk verbaut wurden und sie nur deswegen einen Defekt hatte, ist dieses Schiff mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% wieder zu reparieren!", bleibt die erfahrene Kundschafterin weiterhin hart und verschränkt mit bösem Blick ihre Arme vor der Brust. Der Captain jedoch lacht nur höhnisch auf, während sich die umstehenden Besatzungsmitglieder unsichere Blicke zuwerfen.
„Ihre fachliche Kompetenz in allem Ehren, Major, aber das ist nun wirklich vollkommen ausgeschlossen! Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag..."
Mit diesen zynischen Worten wendet sich der Captain nun direkt an mich und seine kalten Augen bohren sich tief in meine. Ich halte automatisch die Luft an. Mein Herz schlägt in diesem Moment doppelt so schnell in meiner Brust!
„Ich gebe dir eine Woche Zeit die Gray Hawk vollständig zu reparieren. Wenn du es schaffst werde ich deine Aussetzung in eine Einzelhaft umwandeln. Aber wenn nicht...nun ja, dann wirst du bald noch einmal Bekanntschaft mit der Schönheit des Weltraumes machen."
Mich durchzuckt ein eiskalter Schlag! Eine Woche?! Das ist viel zu kurz!!!
„Captain! Sieben Tage reichen definitiv nicht aus, um-"
„Eine Woche!", schneidet der Captain Beau mit lauter Stimme das Wort ab und um seine Mundwinkel spielt ein siegessicheres Lächeln.
„Und ich gebe dir noch einen letzten Rat mit auf den Weg, Reeva...streng dich an! Denn nach Ablauf der Woche wird der Späher ausgiebig getestet. Und zwar von Beau."
Mit vor Schreck aufgerissenen Augen sehe ich zu Beau hinüber, doch die schöne Pilotin funkelt den Captain nur weiterhin wütend an. Durch meinen Kopf schießen in diesem Moment jedoch tausende Gedanken gleichzeitig: Was ist wenn sich die Hawk überhaupt nicht mehr reparieren lässt?! Egal, ich muss es schaffen! Aber sieben Tage sind viel zu wenig Zeit! Wenn ich die Hawk nicht reparieren kann wird Beau sterben! Ich muss es einfach schaffen! Aber wie?!
„Captain! Reeva ist verletzt, sie benötigt zuerst medizinische Behandlung!"
Beaus kalte Stimme holt mich aus dem Strudel panischer Gedanken in meinem Kopf und ich komme nicht umhin die junge Pilotin dafür zu bewundern, wie gefasst und emotionslos sie die Nachricht über ihr mögliches Todesurteil soeben aufgefasst hat.
Der Captain jedoch gibt den vielen Männern des Sicherheitsdienstes um uns herum ein wortloses Zeichen, woraufhin alle bis auf sechs ihre Plätze verlassen und sich stumm auf die Seite des Captains begeben. Als das geschehen ist, wendet sich der Captain an die verbliebenen sechs Männer.
„Reeva steht hiermit unter vollständiger Bewachung. Versucht sie zu fliehen oder Widerstand zu leisten, wird die Aussetzung sofort vollstreckt!"
Die lauten Worte des Captains hallen dumpf in dem ansonsten stillen Hangar wieder. Dann sieht der ältere Mann Beau für einen Moment fest in die Augen.
„Und was die medizinische Versorgung angeht: Ich werde keine weiteren wertvollen Ressourcen an einen Menschen verschwenden, der sehr wahrscheinlich bald nicht mehr Teil dieser Besatzung sein wird."
Und mit diesen Worten dreht er sich hoch erhobenen Hauptes um und verlässt auf direktem Weg den Hangar.

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