Kapitel 15:

54 15 2
                                    

Mittlerweile ist der vierte Tag meiner Frist angebrochen und ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Nachts erlaube ich mir nie mehr als drei Stunden Schlaf und auch der Mangel an Wasser und Nahrung beginnt langsam aber sicher seinen Tribut zu fordern, denn ich bekomme nur noch eine einzige karge Mahlzeit am Tag.
Ich tue es nur für dich, Beau!
Wenn meine Liebe und Sorge um Beau mich nicht gnadenlos wachhalten würde, wäre ich wohl schon längst vollkommen entkräftet in einer Ecke der Hawk zusammengebrochen. So aber gehe ich in jeder weiteren Minute über meine körperlichen Grenzen hinaus und kämpfe verzweifelt gegen die bleischwere Erschöpfung meiner müden Muskeln an. Jedenfalls solange ich noch kann...
Ich versuche gerade eines der durchlöcherten Rohre im Heckbereich der Hawk notdürftig zu flicken, als sich urplötzlich eine schlanke Hand auf meinen Rücken legt und ich heftig zusammenzucke.
„Nicht erschrecken! Ich bin es!"
Beaus leise aber warme Stimme lässt augenblicklich einen frischen Stoß Energie durch meinen geschundenen Körper schießen und drehe mich blitzschnell zu ihr um!
„Beau!!"
Ohne zu Zögern schlinge ich beide Arme um die junge Pilotin und ziehe sie in eine feste und innige Umarmung. Auch Beau drückt mich eng an sich und hält mich fest, doch dann löst sie sich viel zu schnell wieder von mir und legt beide Hände auf meine Schultern.
„Reev, ich habe nicht viel Zeit! Der Captain hat mir nur einen kurzen Besuch bei dir genehmigt. Wie funktionstüchtig kannst du die Hawk wieder machen?", fragt Beau eindringlich und sieht mir tief in die Augen.
Ihre Formulierung allerdings überrascht mich! Heißt das etwa...?
„Du-...du weißt, dass ich die Hawk nicht vollständig reparieren kann?", flüstere ich verwundert und ignoriere dabei mein wie wild pochendes Herz, das mit jeder weiteren Sekunde in Beaus Gegenwart heftiger zu schlagen beginnt.
„Schon seitdem der Captain dir sein Ultimatum gestellt hat! Aber das ist jetzt nicht wichtig! Reev, kannst du die Hawk so weit reparieren, dass sie wieder fliegen kann?"
Die erfahrene Kundschafterin wirkt ungewohnt ernst und ich schlucke einmal hart, bevor ich antworte.
Was hat sie nur vor?
„Ja...ja, ich denke schon! Aber was-..."
„Gut! Und was ist mit dem Positionssender? Kannst du ihn so manipulieren, dass man ihn bei Bedarf deaktivieren kann?", schneidet mir Beau einfach das Wort ab und sieht mich drängend an. Wieder nicke ich einmal kurz mit dem Kopf.
„Ja! Aber warum-"
„Vertrau' mir einfach! Ich lasse dich nicht sterben! Ich-..."
In diesem Moment fällt Beaus Blick auf meine zerschundenen Hände und sie stockt mitten in ihrem Satz. Bevor ich jedoch irgendetwas sagen kann, schaut sich Beau bereits suchend nach dem Versorgungskoffer auf dem Boden um.
„Wo ist-..."
„Sie haben ihn mitgenommen. Ich darf keine medizinische Hilfe mehr bekommen, erinnerst du dich?", sage ich mit einem traurigen Lächeln und als Beau mich daraufhin fassungslos ansieht, zucke ich nur teilnahmslos mit den Schultern.
„Es tut auch fast gar nicht weh. Jedenfalls nicht, wenn etwas gleichzeitig meine Rippen oder meinen Unterarm berührt."
Einen Moment lang herrscht drückende Stille zwischen uns. Doch dann tut Beau etwas vollkommen unerwartetes. Sanft nimmt sie meine verletzten Hände in ihre und führt sie nah an ihre Lippen. Und dann beginnt sie vorsichtig die gesunde Haut mit zärtlichen Küssen zu bedecken.
Mein Herz setzt in diesem Moment für einen Schlag aus und ich wage nicht zu atmen, als mir Beaus zarte Liebkosungen eine Gänsehaut nach der anderen bescheren. Und als sich unsere Augen erneut treffen, erkenne ich ehrlichen Kummer in ihnen.
„Ich ertrage es nicht, dich so leiden zu sehen...es macht mich wahnsinnig!" flüstert Beau mit erstickter Stimme und als ich noch immer nicht reagiere, legt sie behutsam eine Hand an meine Wange. Selbst jetzt bin ich nicht fähig auch nur einen Muskel zu rühren. Dafür zittere ich nun unkontrolliert am ganzen Körper. Und Beau ist der Grund dafür.
„Du hast so viele Gründe mich zu verachten...Nach allem was geschehen ist...Tust du es?"
Die Stimme der sonst so gefassten Kundschafterin klingt beinahe verzweifelt und das reißt mich endlich aus meiner Schockstarre.
„Nein, Beau. Was ich getan habe-...ich konnte nicht anders! Ich-... ich liebe dich", flüstere ich atemlos und mein Herz droht mit jedem weiteren Schlag aus meiner Brust zu springen.
Einen winzigen Moment lang passiert nichts.
Doch dann beugt sich Beau langsam vor und drängt zärtlich ihre Lippen gegen meine.
In diesem Moment vergesse ich alles um mich herum. Meine Augen fallen automatisch zu und ich umfasse instinktiv die schlanke Taille der jungen Pilotin, während ich ihren Kuss mit all meinen Gefühlen erwidere.
Vergessen sind all die Schmerzen, all die Müdigkeit und die Erschöpfung, in diesem Moment zählt nur Beau und diese unfassbar schöne Berührung zwischen uns. Ich kann einfach nicht genug davon bekommen! Doch dann löst sich Beau sanft von mir.
„Dieser Kuss vor vier Tagen...er hat etwas in mir ausgelöst. Etwas von dem ich nicht wusste, dass ich es fühlen kann...", murmelt Beau mit rauer Stimme und sieht mir gleichzeitig tief in die Augen. Mein Herz klopft wie wild in meiner Brust!
„Heißt das...du magst mich?", frage ich mit zitternder Stimme. Meine Angst vor einer erneuten Zurückweisung ist riesengroß!
Daraufhin lacht Beau leise auf. Und diesmal ist es ein ehrliches Lachen.
„Wenn mögen bedeutet, dass ich Tag und Nacht nur noch an dich und diesen Kuss denken kann, dann ja. Ich mag dich, Reev. Und ich beginne dich mit ganz neuen Augen zu sehen... als wären wir uns vor kurzem erst begegnet."
Während sie das sagt, streicht mir die junge Pilotin behutsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Und in mir hüpft mein Magen vor Glück einmal aufgeregt auf und ab!
„Beau..."
Ich will ihr so viel sagen! Welche heftigen Gefühle ich für sie empfinde, die brennende Sehnsucht tief in mir und meine furchtbare Angst um ihr Leben. Aber die schöne Kundschafterin unterbricht mich sanft aber bestimmt.
„Der Sicherheitsdienst wird gleich hier sein, um mich abzuholen. Versuche in den verbleibenden drei Tagen die Hawk so gut es geht zu reparieren und denke an den Positionssender! Und in der letzten Nacht, geh früh zu Bett, verstanden?"
Verständnislos blicke ich Beau an.
„Was hast du vor?!"
Doch die erfahrene Pilotin schüttelt nur stumm den Kopf und zieht mich dann erneut in ihre Arme.
„Vertrau' mir einfach. Du wirst nicht sterben. Nicht solange ich bei dir bin!", flüstert sie leise in mein Ohr und kurz darauf küsst mich Beau auch schon zärtlich einmal auf die Wange. Wieder überläuft mich ein unkontrolliertes Zittern.
„Ich mache mir keine Sorgen um mich, Beau! Alles was ich will, ist dich in Sicherheit zu wissen!", erwidere ich und lehne mich in unserer Umarmung ein wenig zurück, um Beau direkt in ihre blauen Augen sehen zu können.
„Und wenn mir der Captain nicht diese furchtbare Bedingung mit dir gestellt hätte, hätte ich mich schon längst freiwillig aussetz-"
Weiter komme ich nicht. Denn da hat Beau auch schon ihre vollen Lippen hart gegen meine gepresst und drängt mich gleichzeitig mit einem großen Schritt rückwärts, sodass einen Augenblick später die metallene Wand des Raumschiffs gegen meinem Rücken stößt.
Dieser Kuss ist ganz anders als die beiden davor... Beaus Lippen bewegen sich fordernd und leidenschaftlich gegen meine und ich spüre wie sich in mir ein heißes Feuer entzündet. Rasend schnell schießt es durch meine Venen und schon bald steht mein ganzer Körper in Flammen. Das Brennen in meinem Unterarm ist nichts dagegen! Und als Beau plötzlich vorsichtig in meine Unterlippe beißt, erwacht noch ein ganz anderes Gefühl in meiner Brust. Ich will...mehr!
„Sag so etwas nie wieder, Reev! Denk nicht für eine Sekunde daran aufzugeben!!"
Beaus Pupillen sind stark geweitet und sie ist ebenso atemlos wie ich. Doch gerade als ich sie nach diesem pochenden Verlangen tief in mir fragen möchte, betritt ein grimmiger Sicherheitsmann die Hawk und Beau lässt mich augenblicklich los.
„Major! Ihre Zeit ist vorbei!", sagt der dunkelhaarige Mann und baut sich mit verschränkten Armen vor der jungen Pilotin und mir auf. Ohne zu Zögern tritt Beau einen Schritt zurück und sieht mich ein letztes Mal tief an. In ihren blauen Augen steht eine unausgesprochene Bitte. Und ich weiß genau, was Beau damit meint.
Repariere die Hawk! Manipuliere den Positionssender! Und geh in der letzten Nacht früh zu Bett!
Ich nicke kaum wahrnehmbar mit dem Kopf und da lächelt Beau erleichtert.
„Du wirst es schaffen, Reev. Ganz sicher!"
Und mit diesen Worten dreht sich 
die attraktive Kundschafterin um und lässt sich von dem Sicherheitsmann widerstandslos nach draußen begleiten.

KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt