Kapitel 12:

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„Nur die Freude noch am Leben zu sein, Captain", antwortet Beau so ruhig wie möglich und mit einem letzten langen Blick auf mich macht sie sich eilig auf den Weg ins Cockpit, um erneut den Funkkontakt mit der Crew aufzunehmen.
Ich jedoch bleibe recht benommen auf dem Boden sitzend zurück. Mein Herz schlägt noch immer viel zu schnell und mir ist schwindelig.
Was habe ich gerade getan?!
„Major, Sie sind dem Gravitationsfeld zwar entkommen aber Ihre Geschwindigkeit ist doppelt so hoch wie normal! Können Sie die Hawk wenden oder abbremsen? Ansonsten haben meine Piloten keine Möglichkeit Sie einzuholen!"
Die tiefe Stimme des Captains ist eindringlich. Ich sehe wie Beau rasch einige Schalter umlegt und dann einen prüfenden Blick auf ihren Bordcomputer wirft.
„Negativ, Captain. Der Antrieb ist hinüber, ich bin vollständig manövrierunfähig! Aber ich könnte...wartet!"
Wieder checkt Beau hastig den Radar der Hawk. Ich beobachte sie dabei mit klopfendem Herzen.
„In etwa 375 Kilometern kreuzt ein 100 Meter großer Asteroid unseren Kurs! Ich könnte den Landehaken abwerfen und die Hawk so deutlich abbremsen, vielleicht sogar die Flugbahn ändern!"
„Verstanden, Major! Zwei meiner Piloten sind auf dem Weg zu Ihnen! Sollte Ihr Manöver funktionieren, werden sie Sie sicher zurück zur Alignment bringen. Viel Glück!"
„Danke, Captain."
Eilig drückt Beau etliche Knöpfe und dreht sich dann halb zu mir um. Ihre blauen Augen sehen mich auffordernd an.
„Halte dich gut fest, Reev! Gleich wird's ungemütlich!"
Ich nicke nur stumm und umklammere mit meinem unverletzten Arm dieselben Leitersprossen an denen ich mich auch vorhin schon festgehalten hatte. Ein schneller Blick nach oben verrät mir, dass diese Leiter hinauf in die Schlafkabine der Hawk führt. Diese wird von den Piloten vor allem bei längeren Flügen genutzt.
Mit pochendem Herzen und angehaltenem Atem sehe ich dabei zu, wie Beaus schlanke Finger den Steuerknüppel vor ihr umfassen, als auch schon der riesige Asteroid in unserem Sichtfeld auftaucht. Von meiner Position aus sieht es so aus, als würde die Hawk in nur wenigen Sekunden knapp über den fremden Himmelskörper hinweg schießen. Doch das lässt Beau nicht zu!
Blitzschnell legt sie einen der unscheinbaren schwarzen Schalter um, und reißt gleichzeitig den Steuerknüppel schräg nach hinten.
Eine Sekunde lang passiert nichts. Doch dann erfasst eine unglaubliche Kraft den kleinen Späher und die Gray Hawk wird brutal nach links gerissen! Ich bin kaum in der Lage mich festzuhalten und ein ohrenbetäubendes Kreischen zerschneidet die angespannte Stille! Für einen angsterfüllten Moment befürchte ich, dass die Hawk auseinander gerissen werden könnte! Und dann...ist plötzlich alles wieder ruhig.
„Es hat funktioniert!"
Beaus erleichterter Ausruf dringt bis zu mir nach hinten und ich seufze tief auf. Das war knapp!
„Captain, Manöver erfolgreich abgeschlossen. Wir befinden uns jetzt in einem 97° Winkel zur Alignment. Unsere Geschwindigkeit beträgt 1/2 LpS. Landungshaken wieder ausgeklinkt. Schiff stabil."
Fast sofort erhält Beau die Antwort des Captains.
„Gut gemacht, Major! Ich sehe Ihre Position auf dem Radar. Die Eagle und die Vulture sind auf direkten Weg zu Ihnen! Eintreffen in etwa 20 Minuten."
„Verstanden, Captain."
Der Funk verstummt und die erfahrene Pilotin legt vier weitere Schalter um, bevor sie ihren Platz im Cockpit verlässt und mit anmutigen Schritten zu mir nach hinten kommt.
„Geht es dir gut?"
Beaus blaue Augen gleiten in Sekundenschnelle über meinen am Boden kauernden Körper und bevor ich meinen verbrannten Unterarm schnell verstecken kann, hat die hübsche Kundschafterin die hellrot schimmernde Haut auch schon entdeckt. Erschrocken sinkt Beau vor mir auf die Knie und greift besorgt nach meinem linken Handgelenk.
„Reev! Du bist verletzt! Wie ist das passiert?!"
Ich schüttle nur abwehrend den Kopf und will Beau meinen Arm entziehen, doch ihr Griff ist zu stark.
„Kümmer' dich nicht um mich! Es ist nur ein Kratzer", versuche ich die Verletzung herunter zu spielen, doch Beaus funkelnder Blick lässt mich sofort verstummen.
„Unsinn!! Ich kümmere mich seit über 12 Jahren um dich!!! Und das hier ist eine offene Brandwunde!", antwortet die junge Pilotin ärgerlich und sieht mir fest in die Augen, „wie groß sind deine Schmerzen?!"
Ich schlucke einmal heftig, als Beau aufspringt und aus einem Fach neben ihrer Schlafkabine einen roten Versorgungskoffer hervorholt. Darin befindet sich allerlei nützliche Dinge, die dem Piloten im Falle einer Notsituation das Leben retten können.
„Reeva!!! Wie ist das passiert!?", fragt mich Beau erneut, als sie mit geübten Griffen eine weiße Tube öffnet und den gelförmigen Inhalt behutsam auf meinem Unterarm verteilt. Augenblicklich spüre ich wie das furchtbare Brennen ein wenig nachlässt und die kühle Salbe meine Haut beruhigt.
„Beim Ausbau des Trandensators. Ich musste die Abfuhrleitung des Antriebs berühren, sonst hätte ich ihn nicht herausbekommen", sage ich leise und starre mit gesenktem Blick auf die hellrote Wunde. Das schwache Brennen auf meinem Brustkorb ignoriere ich dabei so gut es geht.
Beau antwortet nicht darauf. Doch an der Art wie sich ihr hübsches Gesicht verdüstert, erkenne ich ganz genau, dass die erfahrene Pilotin sich selbst die Schuld an meiner Verletzung gibt. Und das kann ich nicht zulassen!
„Beau! Es ist nicht deine-"
„Natürlich ist es meine Schuld, Reeva! Alles hier ist meine Schuld!", schneidet mir Beau aufgebracht das Wort ab und als sich unsere Augen kurz darauf begegnen, entdecke ich ehrlichen Schmerz darin.
„Nein, ist es nicht! Du kannst nichts dafür, dass die Hawk kaputt gegangen ist und du kannst auch nichts dafür, dass ich dich gerettet habe! Das war meine Entscheidung! Meine ganz alleine! Genau-...genau wie der Kuss."
Meine Stimme ist bei meinem letzten Satz nur noch ein Flüstern und ich sehe beschämt zur Seite, ertrage es nicht mehr in Beaus klare, blaue Augen zu schauen. Die Art und Weise, wie emotionslos sie auf den Kuss reagiert hatte, lässt in meinem Kopf nur einen Schluss zu: Er hat ihr nichts bedeutet. Und ich bin mit den pochenden Gefühlen in meiner Brust wieder mal alleine.
„Ich wusste nicht, dass du so fühlst...ich dachte, ich bin so etwas wie eine große Schwester für dich. Etwas platonisches", erwidert Beau nun deutlich sanfter als zuvor und als ich sie noch immer nicht ansehe, hebt sie mit zwei Fingern vorsichtig mein Kinn an.
„Wie lange bist du schon nicht mehr das kleine 9-jährige Mädchen, das ganz alleine meinen Späher repariert hat?"
Ich schlucke einmal hart. Mein Mund ist wie ausgetrocknet. Und das kommt nicht von der nervenaufreibenden Rettungsaktion.
„Schon...schon seit fast drei Jahren nicht mehr", flüstere ich beklommen und warte angespannt auf Beaus Reaktion. Die schöne Kundschafterin sieht mich noch einmal lange an, dann senkt auch sie den Blick und widmet sich wieder der Verbrennung auf meinem Arm.
„Ich hätte wissen müssen, dass das passieren kann. Deine unbeschreibliche Sehnsucht nach der Erde und dein stetiges Bedürfnis nach Nähe...Natürlich kannst du auch romantische Liebe empfinden."
Als sie das sagt, lacht Beau einmal kurz auf, aber es ist kein echtes Lachen. Und das macht mich nur noch unsicherer.
„Ich habe immer gewusst, dass mit mir etwas nicht stimmt", sage ich hart und bekomme so augenblicklich die volle Aufmerksamkeit der hübschen Pilotin.
„Nein, Reev. Du bist vollkommen normal. Menschen lieben einander. Nur eben nicht hier oben auf diesem Raumschiff", entgegnet mir Beau mit weicher Stimme und lächelt mich dann sanft an. Und vielleicht gibt genau das mir den Mut, die nächste Frage zu stellen...
„Und du?...kannst du Liebe empfinden, Beau?"
Sekundenlang ist es vollkommen still zwischen uns. Ich wage nicht zu atmen, kann Beau nur unverwandt ansehen, versuche in ihren wunderschönen Augen die Antwort auf meine Frage zu finden. Und dann endlich, beginnt die junge Kundschafterin schließlich zu sprechen.
„Ich...ich weiß es nicht, Reev. Du bist ohne Zweifel der wichtigste Mensch in meinem Leben, aber-...ich...ich habe noch nie versucht dich mit den Augen eines Partners zu sehen...ich meine, wir kennen uns schon so lange und du bist gerade erst erwachsen geworden..."
Es ist eine freundlich formulierte Abfuhr. Aber es ist eine Abfuhr. Und ich spüre wie durch mein Herz ein schmerzhafter Stich zuckt.
„Verstehe. Ich wusste schon warum ich es dir nie erzählt habe...", entgegne ich bemüht gleichgültig, aber das Zittern meiner Stimme verrät mich. Und Beau wäre nicht Beau, wenn sie mich daraufhin nicht zärtlich in die Arme nehmen würde.
„Ich wünschte du hättest es. Wir haben bisher noch jedes Problem gemeinsam gelöst, Reev."
Beau flüstert diese Worte direkt in mein Ohr und als wäre ihre unmittelbare Nähe nicht schon genug, streicht sie mit ihren schlanken Hände beruhigend über meinen Rücken. Mich überläuft augenblicklich eine Gänsehaut und ich spüre wie mein Herz sehnsüchtug in meiner Brust pocht. Als Beau sich kurz darauf vorsichtig von mir löst, berührt sie jedoch versehentlich mit der Hand genau die Stelle an meinem Brustkorb, wo die heiße Flüssigkeit auf mich herab getropft war. Und ich keuche schmerzerfüllt auf.
„Was-?"
Alarmiert sieht mich Beau an aber da ich nur wortlos auf meinen Brustkorb deute, schiebt die andere Frau ohne zu Zögern mein Funktionsshirt nach oben und offenbart so milchig weiße Hautstellen, direkt auf der rechten Seite meiner Rippen. Erschrocken blicke ich zu Beau hinüber, die wiederum angestrengt die neu entdeckte Verletzung begutachtet.
„Ich dachte...ich dachte es wäre nur eine weitere Verbrennung", murmle ich kleinlaut, doch da greift Beau bereits zielsicher nach einem durchsichtigen Beutel aus dem Versorgungskoffer und lässt die klare Flüssigkeit über die verfärbten Stellen laufen.
„Das sind keine Brandwunden. Das sind Verätzungen!", erwidert Beau mit bemüht ruhiger Stimme und wiederholt immer wieder das Auswaschen der verletzten Haut. Ich gebe mir alle Mühe während dieses Vorgangs still sitzen zu bleiben, aber der Schmerz ist einfach zu groß.
Ich beginne am ganzen Körper zu zittern und eine einsame Träne läuft meine Wange hinab. Als Beau das bemerkt, sieht sie mich aus blauen Augen mitfühlend an.
„Es tut mir leid, Reev. Nur noch ein paar Sekunden...ich verspreche dir, es ist gleich vorbei!"
Ich beiße tapfer die Zähne zusammen und als der Beutel endlich leer ist, trägt Beau eilig eine dicke, grüne Paste auf die verätzten Stellen auf, wobei ihre Fingerspitzen immer wieder zart die empfindliche Haut an meinen Rippen berühren. Und ich spüre wie mich erneut eine Gänsehaut überläuft...
Als Beau nach einigen Sekunden auch damit fertig ist, zieht sie mich stumm in ihre Arme und hält mich fest. Ganz fest. Erschöpft kuschle ich mich an die junge Pilotin heran. Beaus so vertrauter Herzschlag klingt ruhig und gleichmäßigen an meinem Ohr und trotz der Schmerzen bin ich für einen Moment einfach nur glücklich.

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