VIII – Lost In Guilt
5th of June
Schnaufend lief ich die Treppen empor, während ich weiter an Patricks Worte dachte, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen wollten. Er hatte so getan, als wäre es etwas unglaublich Schlechtes, viel beschäftigt zu sein und nicht wirklich viel Zeit für die Dinge zu haben, die die meisten Teenager in meinem Alter taten. Als wäre ich nicht in der Lage, Spaß zu haben, nur weil ich viele Stunden damit verbrachte, in der Schule zu sein oder zu arbeiten und nicht jedes Wochenende das Interesse hegte, mir die Birne wegzusaufen. Wahrscheinlich wirkte mein Leben ziemlich leer und eintönig, aber das bedeutete nicht, dass es auch wirklich so war. Ich mochte es so wie es ist. Ich mochte die Kontrolle über meinen Alltag und mein Leben. Doch jemand wie Patrick, ein privilegiertes reiches Kind, würde das nicht verstehen können. Er bezahlte schließlich einen zuverlässigen Jungen mit Geldproblemen dafür, seinen festen Freund zu spielen, anstatt sich um seine Zukunft zu kümmern. Seine Zukunft war nämlich schon längst gesichert.Ein lauter Knall holte mich aus meinen Gedanken, der das kleine Mehrfamilienhaus zum Rütteln brachte und dafür sorgte, dass ich alarmiert die Treppen hoch rannte und mit zitternden Händen die etwas schäbige Haustür öffnete. Sofort betrat ich unsere Wohnung und schloss rasch die Tür hinter mir, bevor unsere Nachbarin ihre Tür öffnete und mich wieder über unser Leben ausfragen konnte. Hektisch atmend stand ich mitten im Raum und beobachtete meine Mutter dabei, wie sie zusammengekauert am Boden lag und sich weinend an den eigenen Haaren zog. Danach fiel mein Blick auf die Tabletten auf dem Wohnzimmertisch, welche immer noch an der gleichen Stelle lagen, an die ich sie vor der Party gelegt hatte. Gleich reagierte ich und besorgte mir einen Waschlappen, den ich für ein paar Sekunden unter kaltes Wasser tauchte, bevor ich mich langsam zu ihr bewegte und den kalten Lappen auf ihren Arm drückte. Erschrocken schrie sie auf und löste sich rangelnd aus meinem Griff, weswegen ich ein Stück zurückfiel und leicht mit dem Kopf auf dem Boden aufkam. Tief atmete ich einmal durch und versuchte ein weiteres Mal, sie mit dem Lappen zu berühren und dieses Mal brach sie nur weinend in meinem Arm zusammen, während sie sich immer wieder entschuldigte und meinen Namen murmelte. "Ich war so alleine, Manu. Ich war alleine.", stellte sie immer wieder fest, während ich gefühlslos aus dem Fenster schaute und nebenbei den Waschlappen vorsichtig über ihre Haut führte. Ich sollte mit ihr weinen und mich schuldig fühlen. Ich sollte mich dafür entschuldigen, nicht da gewesen zu sein.
Und auf der einen Seite tat ich das auch. Auf der einen Seite gab ich mir die Schuld daran. Aber auf der anderen wäre ich am liebsten noch länger auf der Party geblieben, tanzend mit Patrick und völlig unbeschwert, so als wäre mein Leben genauso. Und ganz vielleicht wäre ich auch gar nicht aus Patricks Auto gestiegen, hätte ich gewusst, was mich hier erwartete und dieser Gedanke fühlte sich so böse und selbstsüchtig an, sodass ich kaum noch in den Spiegel schauen konnte. In diesem Moment spürte ich das erste Mal die Last auf meinen Schultern und vielleicht war genau das das gewesen, was Patrick mir hatte, versucht zu sagen.Erschrocken öffnete ich meine Augen, während ich mich rasch aufrichtete und sofort in das besorgte Gesicht von Michael starrte. Verwirrt blickte ich mich einmal kurz um und bemerkte, dass ich auf unserer Bank saß und nach einem Blick auf meinen Schoß, auf dem das fette Physikbuch lag, erinnerte ich mich wieder daran, dass ich eben für den Physiktest gelernt hatte, der mir heute noch bevorstand. Wahrscheinlich war ich für ein paar Minuten eingenickt, nachdem ich heute Nacht höchstens nur zwei Stunden geschlafen hatte. "Warst du gestern etwa auf noch einer Party?", hakte Michael vorwurfsvoll bei mir nach, nachdem er sich neben mich gesetzt hatte. Genervt rieb ich mir kurz die Augen, bevor ich nur mit dem Kopf schüttelte. "Ob ich dir das glauben kann. Es war aber anscheinend eine lange Nacht." Kurz seufzte ich nur einmal theatralisch und versuchte nicht an die letzte Nacht zu denken, in der ich mal wieder einfach nicht einschlafen konnte. "Kein Mensch schmeißt eine Party an einem Sonntag." "Oha, unser neuer Partygänger scheint sich ja schon richtig mit Partys auszukennen.", kam es dann von Micha, weswegen ich nur mit den Augen rollte und hoffte, dass dieses Gespräch bald vorbei war, "Aber was kann es sonst gewesen sein? Etwa eine heiße Nacht mit deinem Football-Freund?" Schockiert blickte ich kurz zu meinem besten Freund herüber und versuchte, nicht allzu angewidert zu wirken. Schließlich sollte ich in meiner Rolle, die ich spielte, ja nur nahezu jeden Tag davon träumen. Und auf der anderen Seite amüsierte mich Michaels kläglicher Versuch, herauszufinden, warum ich gestern nicht geschlafen hatte. Es war wahrscheinlich eher das Gegenteil davon. Größtenteils hatte ich nämlich das ganze Wochenende damit verbracht, Patricks wütende und enttäuschte Nachrichten zu lesen, nachdem ich am Samstag nicht zu dem Besuch bei seiner Familie erschienen war und er mir das ganz schön Übel nahm. Das konnte ich ja irgendwie auch verstehen, aber nach dem Zwischenfall mit meiner Mutter und dem letzten Gespräch mit Patrick in seinem Auto, hatte ich nicht wirklich Lust gehabt, ihn zu sehen, geschweige denn vor seiner Familie ein perfektes frisches Paar zu spielen. Auch wenn ich wegen seinen Worten schon längst nicht mehr sauer war, wollte ich trotzdem nicht weiter über ihn oder das Geschehene nachdenken, aber seine vielen Nachrichten hatten das schwer gemacht. Nun hoffte ich nur noch, dass er den Deal nicht einfach abbrach, obwohl genau das nach meinem Regelbruch wahrscheinlich das Sinnvollste wäre. Ich hatte Angst davor, mich diesen Konsequenzen zu stellen, was wohl auch der Grund gewesen war, warum ich nicht auf seine Nachrichten geantwortet hatte und mein ganzer Körper zitterte, wenn ich daran dachte, dass ich gleich mit ihm zusammen in einem Raum sitzen müsste.
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Lost In Lies | Kürbistumor
FanfictionSchülersprecher, bester Schüler seines Jahrgangs und dazu auch noch verdammt talentiert. Für Manuel könnte es nicht besser laufen, wenn da bloß nicht diese Geldprobleme wären, die ihm wahrscheinlich bald seinen Schulplatz kosten werden. "Ich kann a...