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XIII - Lost In Compassion

10th of June
Leicht nervös versuchte ich vergeblich das kleine Stück Fleisch auf meinem blitzblanken Teller klein zu schneiden, von dem ich nicht einmal so richtig wusste, wo es herkam. Rasch schielte ich für einen kurzen Moment zu der Direktorin, die ich noch nie so privat erleben konnte, und schaute nach, ob sie meinen unangenehmen Versuch beobachtete, dieses überteuerte Gericht zu verzehren. Zum Glück schaute sie aber weiterhin stets aus dem großen Fenster, während sie genüsslich ihr Gericht verzehrte. Seitdem sie nach Hause gekommen war, hatte sie kaum mit mir gesprochen, geschweige denn mit irgendjemandem. Eigentlich fand ich das auch gar nicht so schlimm. Schließlich gab es nun einmal viele Menschen, die sich nicht so gerne in Gesprächen verloren und mir war natürlich bewusst, dass unsere Direktorin definitiv einer von ihnen war. Es hatte schon immer so gewirkt, als würde sie unnötigem Smalltalk und dem Herumgerede aus dem Weg gehen und viel mehr sofort zur Sache kommen. Strikt fragte sie mich meist gleich das, was sie mich fragen wollte. Im Gegensatz zu anderen Menschen, die vielleicht erst fragten, ob ich überhaupt Zeit hätte oder wie es mir ginge. Mich wunderte an der ganzen Sache nur, dass sie auch so mit ihren eigenen Kindern umging. Natürlich hatte sie sie begrüßt, aber das wohl eher halbherzig. Keine liebevolle Umarmung, kein warmes Lächeln, nicht einmal ein 'Wie war denn dein Tag, Schatz?'. Mir war auch bewusst, dass ich diese Dinge die letzten Monate genauso nicht erleben durfte, aber das war etwas ganz anderes. Meine Mutter war psychisch krank und nicht herzlos. Deswegen war ich mir irgendwie gar nicht mehr so sicher, ob ich noch nachempfinden konnte, was Patrick und Ivy tagtäglich mitmachen mussten.
Und weil das alles noch nicht schrecklich genug war, hatte ihr Vater sich bis jetzt nicht einmal blicken lassen. Ich konnte nur nebenbei mitbekommen, wie einer der Angestellten Patricks Mutter sagte, dass er immer noch in seinem Arbeitszimmer saß und nicht rechtzeitig zum Essen kommen könnte. Und so wie es scheint, schien das auch niemanden hier zu stören. Keiner hatte bis jetzt einmal nachgefragt, wo er sich denn aufhielt und das gab mir das leise Gefühl, dass das hier normal war und öfter vorkommen musste.

"Stimmt etwas mit dem Essen nicht?", fragte mich plötzlich eine freundlich lächelnde Frau, dessen Name ich nicht einmal wusste. Etwas erschrocken schaute ich ihr in die Augen, während mir erst nach ein paar weiteren Sekunden auffiel, dass das hier ihr Job war. "Keinesfalls! Es schmeckt wirklich sehr gut. Ich habe dieses Gericht nur noch nie gegessen.", gab ich langsam zu und hatte es gleich danach schon wieder bereut. Letztendlich spürte ich nämlich plötzlich den strengen Blick der Direktorin auf mir. "Soll sie dir vielleicht etwas anderes bringen, Manuel?" Etwas überrascht huschte mein Blick zu Patrick, der nur kopfschüttelnd auf seinen Teller blickte und am liebsten im Erdboden versinken wollte. "Nein, danke. Das geht schon.", entgegnete ich ihr schnell, während sie mir kalt in die Augen blickte. Obwohl sie es nicht aussprach, wusste ich genau, was sie dachte. In der Schule lobte sie mich stets immer für meine hervorragende Arbeit und mein Engagement, aber in Wirklichkeit wusste ich, dass sie am liebsten heute jeden anderen an der Seite von Patrick sitzen sehen wollte. Am besten wohl ein reiches Mädchen, das genau wusste, wie man dieses Gericht aß und sich an diesem Tisch verhielt. Doch leider war ich nicht ansatzweise irgendetwas davon. In der Schule war ich ihr eine unglaubliche Stütze, die viele ihrer Aufgaben nur zu gerne übernahm, aber trotzdem reichte ihr das nicht hierfür. Das war ihre Familie, in der sie jeden und alles kontrollierte und dort passte ich nicht hinein. "Manuel, mich würde brennend interessieren, ob ich darauf vertrauen kann, dass du nächsten Monat weiterhin unsere Schule besuchst. Hat deine Familie schon ein Lösung gefunden?" "Mama.", ermahnte Patrick sie sofort, während ich mir etwas scheinheilig ein liebes Grinsen aufsetzte und ihr antwortete, bevor Patrick noch etwas hätte sagen können. "Keine Angst, das Problem ist gelöst. Wie ich schon beim letzten Mal erwähnt habe: Ich habe alles unter Kontrolle." Starr blickte sie mir in die Augen, während ich nur hoffte, dass sie meine Gedanken nicht lesen konnte und herausfand, dass ich das verdammte Geld eigentlich von ihrem Sohn bekam. "Das freut mich sehr. Ohne dich wäre die Schule wirklich sehr leer."

Lost In Lies | KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt