Extra Scene - Team

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XXXVI - Team

April 2024
Seufzend trugen mich meine Beine durch die Gänge der Schule, während ich nebenbei immer mal wieder einen Blick auf mein Smartphone huschen ließ, das ich fest umschlungen in den Händen hielt. Doch egal wie oft ich auch aufs Handy blickte, der altbekannte leere Sperrbildschirm schien sich nicht zu verändern. Nach wie vor konnte ich nur das etwas unscharfe Foto von Dado und mir, kuschelnd auf dem Sofa, vernehmen, das an einem regnerischen Tag in meinem warmen Wohnzimmer geschossen wurde. Bevor ich aber weiter an diese besondere Erinnerung denken konnte, fiel mir der braunhaarige Sportler in den Blick, der gelangweilt ein paar Bücher in seinem Spind verstaute, was mich genervt aufstöhnen ließ. Er schien sich immer noch viel zu sehr auf die Schule einzulassen, obwohl die Prüfungen schon längst geschrieben waren und ich mir sicher war, dass wir bestanden haben mussten.
"Ist er schon da?", hakte ich gleich erwartend nach, während ich meine Arme vor der Brust verschränkte und mich langsam gegen den Spind lehnte. Der Braunhaarige nickte nur hastig, bevor er endlich seine Spindtür schloss und sich kurz durch die Haare strich. Etwas perplex fiel mein Blick auf seine Frisur, die heute besonders aufgestylt war. "Er trifft sich gerade noch mit Leni auf einen Kaffee, aber sie sollten bald fertig sein.", erklärte Patrick mir Näheres, bevor er sein Smartphone aus der Jackentasche zog und sich kurz in dem kleinen Gerät betrachtete, während er ein weiteres Mal seine Frisur richtete und einmal behutsam den Staub von seinem roten Blazer strich. Ungläubig rollte ich mit den Augen und konnte mir dabei ein leichtes Schmunzeln nicht verdrücken. Patrick schien immer noch zu interessieren, wie er auf seinen festen Freund wirkte, mit dem er jetzt schon fast ein ganzes Jahr zusammen war und das obwohl jeder Außenstehende sehen konnte, dass das für Manu schon lange nichts mehr zur Sache tat. Schließlich könnte Patrick heute in einer Mülltüte auf seinen Freund treffen und Manu würde ihn trotzdem attraktiv finden. "Na komm, lass uns losfahren."


(...)


Nervös fiel mein Blick auf den Braunhaarigen, der langsam auf uns zu kam und dabei lachend in Dados Armen gehalten wurde, während ich überlegte, ob er wieder ein Stück größer geworden war. Schließlich war er schon wieder etwas länger her, dass wir uns gesehen hatten. Wahrscheinlich war das letzte Mal kurz vor Weihnachten gewesen, so richtig konnte ich mich aber nicht mehr erinnern. Nachdem Manu endgültig zu seinem Vater nach Texas gezogen war, schien es doch eine schwerere Aufgabe zu sein, Kontakt zu halten. Viel schwerer, als ich gedacht hatte. Besonders da das Senior Year uns allen unglaublich viel Zeit kostete. Zeit, die für uns wertvoll gewesen wäre. Obwohl Manu neben der Schule nicht mehr arbeiten und sich um den Haushalt kümmern musste, schien seine freie Zeit nicht mehr zu werden. Er arbeitete weiterhin hart daran, auf ein gutes College zu kommen und Arzt zu werden, während er nebenbei für seinen Traum viel zu viele Kurse annahm. Wieder einmal gewann er seinen Schülersprecherposten, spielte im Chor, im Theater und versuchte seine Musikkarriere durch Patricks Unterstützung aufrecht zu erhalten. Und wenn er mal die Zeit fand, seine Heimat zu besuchen, besuchte er sie meist nur um seine Mutter zu sehen, die weiterhin ziemlich zufrieden in einer Anstalt lebte.
Auch wenn ich all das nachvollziehen konnte, genauso wie seine Entscheidung in Texas zu bleiben, war es nicht leicht zu sehen, wie mein eigentlich bester Freund ein ganz eigenes Leben aufbaute, in dem ich viel weniger vorkam.
"Er würde dich niemals aus seinem Leben streichen, Micha. Das weißt du genauso gut wie ich.", hatte Dado mir vor ein paar Monaten versichert, als ich meine Gedanken dazu zum ersten Mal geäußert hatte. Und mir war dies bewusst. Trotzdem ließen mich die Zweifel aber nicht los, besonders weil ich seit diesem einen Tag nie aufgehört hatte, zu denken, dass Manu seinen Freiraum brauchte. Von seiner Heimat. Seiner alten Schule. Seinen alten Freunden. Alles Dinge, die ihn an den Schmerz erinnerten, den er verspürt haben musste.

Unsicher schielte ich ihn an und bemerkte jetzt erst, dass seine Haare etwas kürzer geworden waren. Und als sein Blick endlich meinen traf, ein Lächeln seine Lippen schmückte und seine Gesichtszüge so entspannt waren, wie noch nie zuvor seit ich ihn kannte, bemerkte ich erst richtig, wie sehr er sich wohl verändert habe und wie sehr er das wohl gebraucht hatte. Zögerlich ging ich einen Schritt auf ihn zu und versuchte die etwas angespannte Atmosphäre zu ignorieren, die mir Dados besorgter Blick auf mir zeigte, während ich behutsam meine Arme um den Braunhaarigen legte und es sich für einen kurzen Moment so anfühlte, als wären wir wieder im Junior Year und ich dachte, sein einziges Problem wäre, dass er nur eine zwei statt eine eins in Physik geschrieben hatte.

Lost In Lies | KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt