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XII - Lost In Clarity

10th of June
Schmerzerfüllt zuckte ich kurz zusammen, als ich ein weiteres Mal mit meiner viel zu kleinen Haarbürste über die riesige Klette bürstete, die ich schon seit mindestens zwei Minuten versuchte, aus meinen Haaren zu bekommen. Währenddessen schien mein Kopf etwas zu beben, was aber wohl viel mehr daran lag, dass ich ziemlich früh aufgestanden war, um noch ein paar Dinge für den Haushalt zu erledigen und meine Finanzübersicht zu Ende zu schreiben, obwohl ich gestern erst ziemlich spät geschlafen hatte und dazu noch etwas angetrunken gewesen war. Patrick und ich hatten noch relativ lange geredet und so getan, als wären wir einfach normale Freunde, die gerade mal nebenbei nicht so taten, als wären sie ein Paar. Und obwohl so ein Gespräch zwischen uns sehr erfrischend gewesen war und meine Vorurteile über den braunhaarigen Schönling gebrochen hatte, hatte mich dieser lange Abend schließlich zu dieser Situation gebracht. Ich, der unentschlossen und nur halb angezogen vor dem Spiegel stand und sich frustriert die Haare stylte.
Nach ein paar Schlücken zu viel und der nächsten vollen Flasche, die Patrick in seinem Auto gefunden hatte, konnte er mich dazu überreden, nur noch ein einziges Mal meine Rolle zu spielen. Er hatte mich darum gebeten, wenigstens dieses Wochenende zu ihm zu kommen und für seine Eltern sein perfekter fester Freund zu sein. Obwohl ich definitiv nicht davon ausging, dass für Patricks Mutter jemals irgendetwas perfekt, geschweige denn gut genug sein kann.

Genervt fummelte ich weiter an meinen Haaren herum, während sich langsam die Tür hinter mir öffnete und ich im Spiegel erkennen konnte, dass meine Mutter lächelnd den Raum betreten hatte. Etwas verwundert lächelte ich sofort zurück und drehte mich langsam um, was meine Mutter verwirrt mit der Stirn runzeln ließ. "Wo gehst du denn heute noch hin?", hakte sie interessiert nach, was mein Lächeln auf den Lippen noch breiter werden ließ. Es war eine sehr lange Zeit her, dass sie mich das gefragt hatte, obwohl ich sonst wie so oft mehrmals am Tag das Haus verließ. Ich hatte ihr dafür nie Vorwürfe gemacht. Wie konnte ich auch? Es war schließlich keineswegs beabsichtigt. Trotzdem fühlte es sich unglaublich gut an, wieder wie ein Sohn von seiner Mutter behandelt zu werden.
"Nur zu einem Freund, wenn das okay ist? Ich werde wahrscheinlich auch nicht lange bleiben." "Hmm, ein Freund also.", entgegnete sie mir stichelnd, während ich versuchte, dem Thema aus dem Weg zu gehen und ich mir sie deswegen noch einmal genauer anschaute. Jetzt erst schien mir aufzufallen, dass sie nicht mehr das Shirt und die Jogginghose anhatte, die ich ihr heute morgen sorgfältig ausgewählt und teilweise auch selber angezogen habe. Nun war sie in einem blauen Sommerkleid gekleidet, das eigentlich schon seit langem in ihrem Schrank verstaubte. Und ihre hellbraunen Haare waren plötzlich frisch gewaschen und nicht mehr so fettig, wie ich sie sonst meist kannte. Sie waren sogar zu einem wunderschönen Pferdeschwanz gebunden, so wie sie sie immer vor rund drei Jahren getragen hatte. "Du siehst wirklich hübsch aus, Mama. Warst du etwa duschen?", kam es von mir, während ich in meiner Bewegung verharrte und aufhörte, mein Haar zu kämen. "Ach, Manu. Das ist doch nichts besonderes. Ich glaube, wir müssen uns eher darum kümmern, wie du aussiehst.", stellte sie rasch fest und nahm mir mit einem geschickten Griff die Bürste aus der Hand, um mir liebevoll die Haare weiter zu kämmen. Schweratmend ließ ich es einfach über mich ergehen und konnte kaum glauben, dass sie sich so verhielt. Es schien so, als würden die Tabletten endlich wieder wirken und sie könne bald vielleicht wieder arbeiten. Und wenn das geschehe, dann könnte ich die Schulgebühren eventuell doch rechtzeitig bezahlen und das ohne Patricks Hilfe.

"So fertig. Und jetzt suchen wir dir noch etwas Schöneres zum Anziehen." Überrascht beobachtete ich, wie sie nachdenklich meinen Kleiderschrank durchwühlte und mir ein neues Outfit zusammenstellte. "Ich weiß wirklich nicht, was an meinem Shirt falsch ist, Mama." Lächelnd blickte sie mich nach meinem Einwand an, so als hätte ich den größten Witz gerissen. Nachdenklich schaute ich an mir herunter und mir war schon bewusst, dass das einfache rote Shirt ein paar mehr Jahre alt war, aber das hieß ja nicht, dass es nicht mehr seinen Zweck erfüllte. "Wie wäre das denn?", fragte sie grinsend und hielt mir gleichzeitig mein hellblaues Hemd vor die Nase, das ich zuletzt zu dem 50. Geburtstag meines Vaters getragen hatte, "Das sieht doch echt schick aus." Unzufrieden starrte ich das Hemd weiter an und fragte mich, was sie vorhatte. "Mama. Ich besuche doch nur einen Freund." Ungläubig starrte sie mir eindringlich in die Augen und schien so, als würde sie mir kein bisschen glauben. "Ich glaube dir kein Wort. Du kannst mir ruhig erzählen, wenn du ein Date hast, Manu. Ich will dir hier nur helfen. In diesem Shirt wird das nämlich auf keinen Fall etwas.", erklärte sie mir und deutete dabei auf mein Shirt, das sie mir sofort über den Kopf ziehen wollte. Genervt hob ich meine Arme in die Höhe und ließ es weiter über mich ergehen. "Das ist aber kein Date. Ich habe wirklich keine Zeit für so etwas.", versuchte ich mich zu verteidigen, während sie mich skeptisch beäugte und mir gleich danach das Hemd in die Hände drückte. Seufzend stand ich auf und zog es schließlich an, bevor ich langsam die Knöpfe nacheinander zuknöpfte. "Ach, Manu. Glaub mir, du kannst gut in der Schule sein und daten! Und auch wenn nicht. Du bist noch so jung und das muss man ausnutzen!", hielt sie ihren Vortrag weiter und beäugte mich währenddessen kritisch, "Außerdem glaube ich dir immer noch kein Wort. Ich habe das rote Cabrio vor unserem Haus sehr wohl gesehen, das dort sonst nicht steht." Erschrocken starrte ich sie an und knöpfte rasch den letzten Knopf des Hemdes zu, bevor ich zu meinem Fenster lief, um zu schauen, ob Patricks Wagen wirklich noch da war. Dem war auch leider so. Irgendwie hatte ich ihn nicht so eingeschätzt, dass er auf meine Worte hören und sich ein Taxi rufen würde. Dieser Junge war voller Überraschungen und tat immer das, was man nicht von ihm erwartete. "Schau! Du wirst ganz rot und fängst an zu lächeln!", rief sie plötzlich laut, weswegen ich mich sofort wieder umdrehte und mit dem Kopf schüttelte. "Woher willst du überhaupt wissen, dass dieses Auto etwas mit mir zutun hat?" "Wissen tat ich es nicht, aber deine Reaktion gerade sagt alles."

Lost In Lies | KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt