23.

42 4 1
                                    

XXIII - Lost In Music

7th of July
Etwas verloren saß ich auf meinem viel zu schmalen Hocker am Klavier und drückte nebenbei nachdenklich auf die Tasten, die immer wieder kurze süße Töne von sich gaben und die Stille des Raumes füllten. Noch vor kurzem war der ganze Chor hier gewesen und wir hatten wieder einmal für unsere baldige Darbietung geprobt, doch nun war ich ganz alleine und genoss diesen Moment. In letzter Zeit war viel in meinem Leben geschehen, egal um es sich um gute oder schlechte Zeiten handelte, und ich hatte schon fast vergessen, wie es sich anfühlte, alleine zu sein und die Stille zu genießen. Meist hatte ich für solche Dinge kein bisschen Zeit gehabt. Aber nun saß ich hier, tiefenentspannt und beruhigt an meinem Klavier, einer der besten Orte in meinem Leben. Ich musste nicht einmal daran denken, was ich heute noch zu tun hatte, da mein ganzer Abend heute frei wäre. Meine Mutter war seit langem mal wieder mit einer Freundin aus dem Haus, Michael war immer noch sauer auf mich, Dado musste arbeiten und genau diese Arbeit brauchte mich an diesem Freitag auch nicht.
Für einen kurzen Moment zuckten meine Mundwinkel in die Höhe, als ich daran dachte, wie Ayla mir heute morgen abgesagt hatte. Grinsend hatte sie mir erzählt, dass heute bei ihr die nächste Party steigen würde und mir dabei unterschwellig gezeigt, dass ich nicht einmal daran denken sollte, dieses Mal dort aufzukreuzen. Etwas über freundlich und heuchlerisch hatte ich ihr 'Viel Spaß' gewünscht und freute mich innerlich darüber, sie heute nicht noch ein weiteres Mal sehen zu müssen. Wer wusste schon, wie genau sie die Sache mit dem Festival nun nehmen würde, nachdem wir am Dienstag aneinander geraten waren. Wer wusste schon, ob sie sich jemals wirklich für das Festival oder die Schule interessiert hatte. Mir war das alles langsam so egal, dass ich bei den Gedanken an sie schon fast einschlafen könnte.
Doch leider sah Patrick das alles wohl anders. Dieser war nicht sehr erfreut gewesen, als ich mein Versprechen gehalten hatte und ihm von dem Ereignis erzählt habe. Trotzdem hatte ich ihn davon abhalten können, eine Szene zu machen und Ayla zur Rede zu stellen. Auch wenn ich Ayla nicht besonders leiden konnte, konnte ich schon ein wenig nachvollziehen, wieso sie sich so verhielt. Vielleicht lag ihr insgeheim wirklich etwas an Patrick und dann musste es schon ein deftiger Schock gewesen sein, dass ihr Ex so schnell jemand Neues gefunden hatte und das auch offen kundgab. Das entschuldigte rein gar nichts, aber erklärte eventuell ihr Verhalten. Im Endeffekt musste man sich immer bewusst sein, dass die andere Seite genauso denkt, sie wäre die gute. Und dann machte es am meisten Sinn so viel wie möglich Verantwortung für sein eigenes, persönliches Verhalten zu übernehmen. Das war das einzige, das man anpassen konnte.

Erschrocken zuckte ich zusammen, als mein Smartphone vibrierte und ich sofort in meiner Bewegung innehielt. Nachdem der letzte Ton des Klaviers ausklang, war der ganze Raum nun wieder still, während ich mein Smartphone nahm und rasch meine Nachrichten checkte.
"Ich gehe nun los, mein Schatz. Es ist noch etwas Essen von gestern im Kühlschrank. Und mach nicht zu lange, ja?", las ich die Nachricht meiner Mutter durch, bevor ich einen zufriedenen Seufzer von mir gab und ihr schnell antwortete. Es war unglaublich ungewohnt, solche Nachrichten von ihr zu erhalten und sich so zu fühlen, als würde sich jemand um einen kümmern. Trotzdem war es das Schönste, das ich in letzter Zeit hätte erleben können und deswegen war ich voller Hoffnung, dass die dunklen Zeiten nun endlich vorbei waren. Nie wieder schlaflose Nächte, nie wieder diese unerträglichen Sorgen.
Lächelnd legte ich mein Handy zurück auf das Klavier, während mir dabei plötzlich der rosa Zettel auffiel, den ich vor der Chorprobe in meinem Spind gefunden und mitgenommen hatte. In den letzten Tagen hatte es keinen einzigen Tag gegeben, an dem ich kein Zettelchen vorgefunden hatte und irgendwie hatte ich mich nun öfter dabei erwischt, auf eines der rosa Zettel zu warten. Sie waren auf der einen Seite natürlich immer noch nervig, da ich genau wusste, dass dort jemand Unbekanntes hinter steckte, der sich nicht erkenntlich machen wollte, aber auf der anderen Seite, waren sie gut durchdacht und motivierend. Ich fühlte mich dadurch wohler und achtete teilweise auf den lieb verfassten Tipp, der mir geschenkt wurde. Genau deswegen wollte ich mich einfach nur darauf konzentrieren, was sie waren und mir gaben und nicht von wem sie waren.

Lost In Lies | KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt