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XXXV - Lost In My Truth

25th of August
"Ich frage dich, hier und jetzt, ein einziges Mal. Hast du nun endgültig deinen Verstand verloren, Patrick Mayer?", dröhnte die laute Stimme meiner Mutter durch meine Ohren, während ich schluckend zu Boden blickte und dabei versuchte, die vielen kleinen Quadrate zu zählen, die diesen schmückten. In diesem Moment versuchte ich einfach alles, um ihr nicht zu zeigen, wie schwach ich gerade war.
Erschrocken zuckte ich sofort zusammen, als sie plötzlich laut mit der Faust auf ihren Schreibtisch schlug und die kleine Halterung, die ihre Stifte beinhaltete, mit einem lauten Klirren zu Boden fiel, sodass die vielen, teuren Stifte über die Quadrate rollten und ich es aufgeben musste, sie weiter zu zählen. "Verstehst du, was du getan hast? Verstehst du, was das für uns bedeutet, Patrick?", schrie sie durch den stillen Raum, weswegen ich mich ängstlich in den Stuhl krallte, "Einen Jungen bezahlt, damit er dein Freund ist. Weißt du eigentlich, wie erbärmlich das klingt? Dein Vater ist der mächtigste Mann der Stadt, mir gehört diese verdammte Schule! Und du hast nichts Besseres zu tun, als dafür zu zahlen, dass ein ärmlicher Halbstipendiat dein Freund ist? Und dann ist seine Mutter noch offensichtlich verrückt. Das kann unseren Ruf völlig zerstören!" Erschüttert schaute ich das erste Mal vom Boden zu meiner Mutter auf, während ich meine schwitzigen Hände unter dem Tisch langsam zu Fäusten ballte. "Mich interessiert dein verdammter Ruf nicht!", warf ich ihr um die Ohren, bevor sie noch etwas hätte sagen können, "Und wehe, du redest noch einmal so über ihn und seine Familie! Verstehst du nicht, dass das verdammte Geld nicht von Bedeutung ist? Oder unser blödes Ansehen? Das alles bringt uns rein gar nichts, wenn es euch wichtiger ist als wir!" Schockiert riss sie ihre Augen auf und schüttelte bestürzt mit dem Kopf, bevor sie rasch aufstand und um ihren Schreibtisch lief, um sich dann langsam vor meinen Stuhl zu knien, sodass wir auf gleicher Höhe waren. Kurz atmete sie noch einmal tief durch, bevor sie mir tief in die Augen sah.
"Dein Vater und ich tun all das für euch. Wir haben all das aufgebaut, damit es euch gut geht. Damit wir immer genug haben. Damit ihr euch ein sorgloses Leben leisten könnt. Und so dankst du dem, Patrick?" "Du verstehst es nicht.", antwortete ich trocken, was sie nur leicht schmunzeln ließ. "Doch, das tue ich. Euch fehlt unsere Aufmerksamkeit, unsere Zeit, und ich verstehe, dass du das alles wahrscheinlich deswegen getan hast. Aber du darfst niemals vergessen, für was wir diese wertvolle Zeit opfern." Genervt seufzte ich und drehte mich langsam von ihr weg, als ich bemerkte, wie sich die Tränen allmählich in meinen Augen bildeten und ich es kaum noch aufhalten konnte. Es fühlte sich so an, als würde sie mir die Luft zum Atmen nehmen. Aber ganz vielleicht hatte sie das auch schon längst getan.

"Kannst du dich noch an die Hütte erinnern? Im Garten?", hakte ich interessiert nach, während ich versuchte, nicht zu sehr an Manu zu denken, wie auch an den ersten Kuss und diese vielen warmen Gefühle, die wir an diesem Ort geteilt hatten. "Das alte Gartenhäuschen? Wie kommst du denn jetzt darauf?" "Als wir die Hütte gebaut haben, waren wir das letzte Mal eine richtige Familie gewesen.", stellte ich klar, was sie verwirrt aufschauen ließ, "Und ich warte auf den Tag, an dem du verstehst, dass es sich für nichts auf der Welt wirklich lohnt, das zu opfern. Anstatt deine Tochter zu lieben und sie zu akzeptieren, wie sie ist, interessierst du dich nur dafür, was die Leute denken könnten. Anstatt deinen Sohn in Arm zu nehmen und ihm zu sagen, dass alles gut wird, nachdem er gerade alles verloren hat, interessierst du dich nur dafür, dass dein Ruf vielleicht zerstört werden könnte. Jemand, der dich wirklich liebt, tut so etwas nicht." Mit offenen Mund blickte sie mir fest in die Augen, während eine Träne ganz langsam mein Auge verließ und meine Wange herunter lief und ich in diesem Moment nur hoffte, sie würde sie wegwischen und mich in den Arm nehmen, so wie es eine Mutter nun einmal tat. Doch als nichts passierte und die Träne schon lange zu Boden gefallen war, verstand ich, dass meine Mutter nun einmal nicht so war. Dass sie mich nie auf die Art lieben konnte, wie sie eigentlich sollte. Dass dieses Gespräch völlig unsinnig war.
Mit leerem Blick stand ich also auf und verließ wortlos das Büro meiner Mutter, während mein Herz in tausend Stücke zerbrach und ich wusste, dass ich alleine da durch musste. Und in diesem Moment verstand ich, dass ich vieles war, aber ich würde niemals so wie meine Mutter sein. Auch, wenn wir das gleiche Blut teilten. Auch, wenn uns unser Nachname verband. Ich würde niemals sie sein.

Lost In Lies | KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt