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XXXI - Lost In Love

21st of July
Nervös zog ich tief die Luft ein, während ich gedankenverloren mit dem Stoff meines T-Shirts spielte und aus dem Fenster blickte. Ein weiteres Mal konnte ich vernehmen, wie die relativ gewöhnlichen Häuser und Gebäude mit jedem Kilometer ausgefallener wurden und langsam immer teurer wirkten. Eigentlich wollte ich gar nicht mehr, dass mir so etwas auffiel. Schließlich versuchte ich langsam an den Punkt zu kommen, an dem ich die Unterschiede zwischen Patricks und meiner Welt nicht mehr wahrnehmen wollte, aber es schien jedes Mal so einfach meinen Kopf zu erreichen. Leise fragte ich mich, ob das für so jemanden wie Patrick ähnlich war.
Seufzend fiel mein Blick plötzlich auf eine ältere Frau, die gerade mit ihrem Rollator den Bus betreten hatte und definitiv besser gekleidet war als ich. Ihre rot stechende Jacke sorgte für Aufmerksamkeit und auch die goldene um den Hals geschwungene Kette, die einen schicken Rubin beinhaltete, fiel sofort ins Auge. Höflich stand ich also von meinem Platz auf und bat sie, sich dort hinzusetzen, da der Bus sonst randvoll war und sie hätte stehen müssen. Und so richtig war mir nicht bewusst, ob ihre wackeligen Beine das ausgehalten hätten. Dankend nickte sie, während sie sich hinsetzte und ich mich oben an der grauen Stange festhielt, um in Balance zu bleiben.
Wieder einmal verfiel ich in meinen Gedanken und wusste nicht so recht, ob ich mich freute, Patrick gleich sehen zu können und das obwohl ich ein weiteres Mal extra meine Schicht im Restaurant getauscht hatte. Das alles schien noch viel zu ungewohnt zu sein, aber war auf der anderen Seite so leicht. Immer wieder kam in mir die Angst davor auf, verletzt zu werden, aber dann fühlte ich mich mit ihm so unglaublich sicher. Und wenn die Zweifel in mir aufkamen, schien er sie jedes Mal mit einer kleinen Geste auszuradieren, sodass ich selbst nicht mehr wirklich wusste, woran ich eigentlich gezweifelt hatte. Irgendwie verstand ich nicht, ob Liebe so sein sollte oder nicht.

Unruhig krallte ich mich in die Stange des Buses, als wir nur noch eine Bushaltestelle entfernt waren und ich immer noch nicht genau wusste, was ich eigentlich wollte. Das Gespräch mit Leni am Mittwoch hatte mich einfach zu sehr aus dem Konzept gebracht. Schließlich war sie davon ausgegangen, dass wir nun ein echtes Paar wären und irgendwie hatte das keiner von uns so richtig verneint, obwohl wir noch nicht darüber gesprochen hatten. Wenn man es ganz ernst nahm, hatten wir noch nicht einmal unsere Gefühle füreinander ausgesprochen, zumindest hatte Patrick das nicht direkt getan. Und obwohl ich gedacht hatte, dass das Meiste ziemlich klar zwischen uns war, schien es das doch nicht mehr zu sein. Vorher war das alles nie richtig echt gewesen und jetzt waren wenigstens die Gefühle echt. Trotzdem wusste ich nicht, ob ich wollte, dass die Beziehung genauso echt wurde. Dadurch, dass alles noch so sehr in der Schwebe hing, war es bis jetzt noch nicht nötig gewesen, weiter zu denken. Einen festen Freund zu haben, bedeutete Verpflichtungen. Schließlich war man nicht mehr alleine und musste auf die Bedürfnisse des Partners eingehen können. Und mit so etwas hatte ich nun einmal so gut wie keine Erfahrung.
Wahrscheinlich war das aber nicht einmal das größte Problem. Ich wusste nämlich, dass Patrick das verstehen und auffangen könnte und ich mal wieder versuchte, die Dinge zu sehr zu kontrollieren. Es stellte sich viel mehr die Frage, was mit dem Deal zwischen uns geschehen würde. Wenn unsere fake Beziehung schwinden würde, dann würde auch der Deal brechen und damit das verdammte Geld. Von Glück konnte ich sprechen, dass das Schuljahr nach dem Festival fast vorbei war und deswegen keine Zahlung mehr bevorstand. Und wer wusste das schon, aber vielleicht würde ich es nächstes Jahr selbst schaffen, das Geld aufzutreiben, wenn meine Mutter ihren Job bekam. Mir war nur eins klar: Alles war mir lieber, als Patrick weiter zahlen zu lassen. Wenn er mein echter fester Freund werden sollte, dann gab es kein zurück mehr und das bedeutete, dass das hier aufhören musste, damit es erst so richtig echt wurde. 

Tief atmete ich noch einmal durch, bevor ich den langen Fußmarsch auf mich nahm, um Patricks Anwesen erreichen zu können, während ich versuchte, diese störenden Gedanken zu ignorieren.
Freudig bildete sich ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen, als ich das Anwesen endlich vor Augen hatte und bald nicht mehr laufen musste. Aus der Puste näherte ich mich dem großen Tor und drückte seufzend auf die Klingel, bevor einer der Arbeiter mir rasch das Tor öffnete und ich auf die Haustür zu gehen konnte. Doch gerade, als ich mich nähern wollte, öffnete Patrick schon die Tür und kam mir grinsend entgegen. "Was hast du vor?", hakte ich verwirrt nach, als ich den großen Korb in seinen Händen bemerkte und er nur grinsend nach meinem Handgelenk griff, um mich hinter sich her zu ziehen, "Oh, ich bitte dich. Keine Überraschungen!"
Widerwillig ließ ich mich von dem Braunhaarigen mitziehen, ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, da ich genau wusste, er würde mir nicht antworten. Grinsend lief er voran und verschränkte langsam unsere Hände ineinander, was mir auf der Stelle eine Gänsehaut verpasste, während ich die Umgebung beobachtete. Schon früh hatte ich bemerkt, dass wir durch die großen Gärten des Anwesens liefen, als mir immer mehr Blumenbeete auffielen und wir auf ein paar Gärtner trafen. Und auf jeden Fall schien Patricks Garten schon mehr Leben in sich zu haben als Michaels, dessen Garten nur so von Perfektion getrieft hatte. Doch als wir an einen Ort kamen, an dem die Bäume dichter wurden und mir immer mehr Blumen in die Augen fielen, konnte ich die wahre Schönheit erst erkennen. Plötzlich standen wir vor einem süßen, kleinen Gartenhäuschen in Mitten der Natur, das schöner nicht aussehen konnte, während Patrick mich genaustens beobachtete. "Schön, nicht wahr?", kam es grinsend von ihm, weswegen ich nur zustimmend nickte, "Wir haben es gebaut, kurz nachdem wir hier eingezogen sind. Damals hatten meine Eltern noch nicht so viel gearbeitet und wollten deswegen selbst daran arbeiten. Wahrscheinlich ist das hier das einzige, das wir wirklich selbst gebaut haben." "Ihr habt das echt selbst gebaut?", hakte ich noch einmal überrascht nach und schaute mich weiter um. "Ja, haben wir. Ich war denke ich erst 11 oder 12, aber habe trotzdem sehr viel geholfen. Hier schau, Ivy und ich haben sogar unsere Anfangsbuchstaben eingeritzt!", entgegnete er mir fröhlich und zeigte mir die Stelle, weswegen ich leicht mit meinem Finger über sie strich, "Zu dieser Zeit war noch alles so harmonisch bei uns, weißt du?"

Lost In Lies | KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt