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XXIV - Lost In Denial

8th of July
Verträumt lehnte ich mich leicht an das Regal hinter mir, während mein starrer Blick auf meiner Mutter lag, die in diesem Moment genaustens die Äpfel vor ihr begutachtete und versuchte, die beste aber gleichzeitig auch die günstigste Packung zu ergattern. Konzentriert legte sie ihre Stirn in Falten, bis sie sich endlich entschieden hatte und die kleine Packung in den roten, einfachen Korb legte, der bis jetzt noch kaum befüllt war. Leise seufzte sie einmal, bevor sie sich zu mir umdrehte und mir ein aufrichtiges Lächeln schenkte. Heute war der erste Tag seit längerem, an dem meine Mutter einen Supermarkt betrat und mit mir für uns einkaufte. Ich hatte ihr Zuhause noch versichert, dass ich ihr niemals von der Seite weichen würde und ich mich erst einmal um alles kümmern konnte, damit sie sich langsam wieder an diesen Alltag gewöhnen durfte. Doch als wir den Laden betreten hatten und ich nach dem roten Körbchen greifen wollte, war sie schneller gewesen und war nicht davon abzubringen, heute die Verantwortung zu übernehmen. Sie hatte damit argumentiert, dass sie schließlich die Mutter war und es als Erwachsene schon schaffen würde, die Punkte von unserer selbst angefertigten Einkaufsliste zu kaufen. Mir blieb nichts anderes übrig, als sie machen zu lassen, aber trotzdem wich ich ihr nicht von der Seite, falls sie meine Hilfe benötigen könnte. Ich wollte nicht, dass ihre Krankheit sie wieder überwältigen konnte und das trotz der Medikamente und der Therapiesitzungen. Meine Mutter wollte es oft nicht wahrhaben, aber ich wusste genau, dass sie teilweise fragil sein konnte und ich wollte einfach nichts riskieren. Es war lange her, dass sie einen normalen Alltag gelebt hatte und ich wollte nicht, dass sie diesen wieder verlor. "Na komm, Manu. Wir müssen weiter."

Gedankenverloren schlenderte ich hinter ihr her, während sie das nächste Produkt suchte, das wir benötigten. Manchmal spürte ich interessierte Blicke auf uns, die wahrscheinlich von Menschen kamen, die ein zu langweiliges Leben hatten. Ich wusste schon, dass meine Mutter etwas verloren wirkte und meine Hilfe nicht anzunehmen schien, aber ich verstand nicht, was das andere so sehr interessierte. Schließlich kannten sie den Hintergrund nicht. Schließlich kannten sie ihr Leiden nicht. Also hatten sie überhaupt ein Recht dazu, sich ihre Meinung zu bilden?

Sanft fiel mein Blick wieder auf meine Mutter, die das nächste Produkt in den Korb legte und sich langsam wieder an das hier zu gewöhnen schien. Müde lief ich ihr hinterher, während meine Konzentration etwas verloren ging, als ich ein paar mal gähnte und mich wieder hinter mir an das Regal lehnte. Da es gestern sehr spät gewesen war, hatte ich heute nicht wirklich viel Motivation gehabt, so früh am Morgen einkaufen zu gehen, aber meine Mutter hatte unbedingt darauf bestanden. Und jetzt, war ich wirklich viel mehr als froh, dass ich das nicht erledigen musste, sondern meine Mutter die Führung übernahm. Schließlich war ich gedanklich immer noch bei gestern Abend. Bei Patrick, dem Lernen und dem Regen.
Unkontrolliert schlich sich ein ehrliches Lächeln auf meine Lippen, als ich daran zurückdachte, wie wir im Regen getanzt hatten und ich eigentlich noch nie so etwas Dummes getan hatte. Doch trotzdem hatte es sich gut angefühlt. Es hatte sich gut angefühlt, einfach mal etwas zu tun, das nicht unglaublich gut durchdacht war. Etwas zu tun, das mein Herz erfüllte. Und wahrscheinlich hätte ich so etwas ohne ihn nie getan. Bei den Gedanken an Patrick schien mein Herz plötzlich ganz leicht zu werden. Das mit Patrick fühlte sich so anders an, als bei allen anderen Menschen, die ich jemals kennengelernt hatte. Es war warm und angenehm, so wie die ersten richtigen Sonnenstrahlen nach dem Winter. Und auch, wenn ich es nicht wahrhaben wollte, wusste ich genau, was das bedeuten konnte.

"Manu? Hallo?", unterbrach meine Mutter meine müden Gedanken, "Ich habe gefragt, was du heute eigentlich essen möchtest. Wir haben bei der Planung den heutigen Tag vergessen. Reicht die Pizza, die wir noch Zuhause haben?" Perplex schaute ich sie an und versuchte gedämpft, meine Gedanken zu sortieren. "Aber mich interessiert jetzt viel mehr, warum du so grinst. Habe ich etwas verpasst?", hakte sie mit einem schelmischen Grinsen nach, was mich nur heftig mit dem Kopf schütteln ließ. "Ich weiß nicht, wovon du redest." "Naja, es ist nur so, dass ich weiß, dass du gestern wieder bei deinem reichen Freund warst. Und jetzt grinst du nur so vor dich hin. Bedeutet das etwas?" Überrascht blickte ich sie an und bemerkte, wie meine Wangen langsam heißer wurden, sodass ich wieder einmal mit dem Kopf schüttelte. "Ich war da, um ihm beim Lernen zu helfen. Für die Prüfungen, Mama.", entgegnete ich ihr schnell und nahm ihr schließlich die Einkaufsliste ab, um mich etwas von diesem Gespräch abzulenken. "Lernen also." Gelangweilt nickte ich und legte währenddessen ein weiteres Produkt in den Korb, um es dann von der Liste streichen zu können. "Du bist also nur wegen des Lernens so durch den Wind? Du hast meine Frage immer noch nicht beantwortet und nimmst mir jetzt plötzlich meine Arbeit ab. Was bedeutet das, hm?", erklärte sie sich und nahm mir dieses Mal die Liste aus der Hand, während sie eine Augenbraue in die Höhe zog und mich interessiert beobachtete. Peinlich berührt wich ich ihrem Blick aus und starrte zu Boden. Das Blut schien dabei weiter meine Wangen rot einzufärben, sodass ich nur laut seufzte. "Die Pizza ist völlig okay, Mama." Meine Mutter lachte leicht, während ich im Boden versinken wollte.
Ich wusste genau, was sie meinte und das Problem war, dass ich es kaum leugnen konnte. Dort waren irgendwelche neuen Gefühle, die ich nicht einordnen konnte und das klang nach vielen Problemen. Ich mochte es nicht, die Kontrolle zu verlieren. Ich mochte es nicht, nicht zu wissen wie ich etwas benennen sollte.
Doch vielleicht konnte ich es irgendwo tief in mir benennen. Diese Benennung gefiel mir aber einfach nicht. Ich konnte nicht so etwas wie verliebt sein und erst recht nicht in Patrick Mayer. Das durfte es einfach nicht sein.

Lost In Lies | KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt