Kapitel 1

102 12 0
                                    

Paula

Paula sperrte die Türe zu ihrem kleinen Appartement auf, riss die Arme in die Höhe und stieß einen Jubelschrei aus.

Es war geschafft!
Das Studium war Geschichte!
Heute hatten sie die Zeugnisse bekommen – sie in Anglistik, Germanistik, Französisch, Italienisch und Spanisch.

Sie war etwas wie ein Alien gewesen an der Uni, fünf Fächer, in Germanistik eine Doktorarbeit, in den anderen Diplome.
Niemand hatte verstanden, wie sie das auf die Reihe gekriegt hatte, aber für sie war das nichts Besonderes.

Sie hatte viel Zeit zum Lernen gehabt, hatte keine Partys besucht, war auch nie auf eine eingeladen worden.

Die Kommilitonen waren nett zu ihr, wenn sie sie gerade mal wahrnahmen, aber das war es dann auch schon.
Nie setzte sich jemand zu ihr, wenn sie in der Mensa ihr Essen in sich hinein schaufelte, immer ein aufgeschlagenes Buch neben sich.
Nie sprach sie jemand an, weder im Hörsaal noch auf den Gängen oder auf dem Freigelände.

Sie jobbte auch nicht, weil ihre Eltern ihr ein kleines Erbe hinterlassen hatten.
Sie waren mit dem Auto verunglückt, als sie 17 war und gerade das Abitur in der Tasche hatte.
Sie waren auf dem Weg zur Abifeier gewesen, als ein LKW-Fahrer die Herrschaft über seinen Sattelzug verloren hatte.

Das Jugendamt wollte Paula in ein Heim bringen, ein psychologischer Test hatte aber ergeben, dass sie die nötige Reife hatte, alleine zu leben.

Sie durfte sich eine kleine Wohnung mieten, stand ein Jahr lang unter behördlicher Pflegschaft, dann war sie volljährig.
Sie verschloss den Schmerz in ihrer Seele, erfüllte aber das Versprechen, das sie den beiden gegeben hatte: Sie arbeitete fleißig, damit die Eltern stolz auf ihr einziges Kind sein konnten.

Nun war sie 23, hatte alles erreicht, was sie hatte erreichen wollen.
Sie hatte auch schon einen Job: Sie würde als Übersetzerin in einem renommierten Verlag arbeiten, ihr Traumberuf!
Oder?

Zumindest fast!
Noch lieber würde sie reisen, aber dafür war sie noch zu unsicher, zu sehr in sich gekehrt.
Das konnte sie ja später immer noch machen.

Sie zündete eine Kerze vor dem Bild ihrer Eltern an, erzählte ihnen von ihrem Tag. Dann löschte sie die Flamme, legte das Bild um.
Denn nun würde sie in Angriff nehmen, was sie sich für heute vorgenommen hatte.
Sie würde ihre Unschuld verlieren!
Und sie erreichte immer, was sie sich vorgenommen hatte.

Sie hatte sich gut vorbereitet.
Stundenlang hatte sie im Internet gesurft, hatte so ziemlich alles gelesen, was über Sex zu finden war.

„Das lieben Männer bei Frauen!"
„So wollen Männer angefasst werden!"
„So verliebt er sich bestimmt in dich!"
„Diese geheimen Träume haben Männer im Bett!"

So und ähnlich lauteten die Schlagzeilen.
Sie hatte die Artikel in sich aufgesaugt, hatte auch den einen oder anderen Porno angesehen, um zu wissen, was von ihr erwartet werden würde.

In der Theorie hielt sie sich für gewappnet, die Praxis musste sie heute unbedingt kennenlernen!
Sie hatte mit hochrotem Gesicht verschiedene Kondome besorgt und sich dann ein Outfit gekauft, das sie für discotauglich hielt.
Um Zehn zog sie los, der Club, den sie ausgewählt hatte, lag nur ein paar Straßen weiter.

Stefan

„Und du musst wirklich schon wieder zu einem Geschäftsessen?" fragte Aurelia.
Stefan verdrehte die Augen. Wie er das ewige Genörgel satt hatte!

„Ja! Sorry! Ich habe halt einen Job, eine Aufgabe!" antwortete er unfreundlich.
„Aber warum kann ich da denn nicht mal mit?" Sie versuchte, sich an ihn zu schmiegen.

Paulas PlanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt