›70‹

1.9K 89 3
                                    

POV Jace

Langsam lasse ich von Lilahs Hand ab, hebe beide Hände an und fahre mir durch das Gesicht, ehe ich einen tiefen Atemzug nehme und meiner Familie dabei helfe, mein Chaos zu beseitigen.

Das sind sie nämlich.

Meine Familie.

Sie sind nicht bloß Leute, die ich bereits seit meiner Kindheit kenne.

Sie alle sind viel mehr.

Mein Bruder, meine besten Freunde, Leute, die in jedem Moment an meiner Seite standen...

Nur, weil ich sie ständig von mir gestoßen habe, bedeutet das noch lange nicht, dass sie nicht da waren, um mich zu helfen.

Das waren sie nämlich.

Bedingungslos.

Ich muss nur endlich damit beginnen, nicht ständig mit einem Tunnelblick durch das Leben zu laufen.

Vielleicht sehe ich dann auch die Kleinigkeiten, die das ganze Maß erst ausmachen.

"Dylan hat mich vorhin angerufen, weil er einen Anruf von der Schule bekommen hat", beginnt Reggie, als wäre nichts gewesen.

"Er wollte fragen, ob ich weiß, warum Lilah nicht in der Schule war, also habe ich ihm erzählt, dass wir alle zusammen einen Tag freigenommen haben. Ihn hat es nicht weiter gestört und im Endeffekt hat er sogar noch angeboten, uns im Restaurant etwas zu kochen, weil er heute sowieso früher schließt. Ich bin fast am Verhungern. Wie sieht es mit euch aus?", fragt er, als er sich gerade daran macht, meine Kleidung wieder in den Kleiderschrank zu werfen.

"Kostenloses Essen? Sag nichts mehr", sagt Cody sofort voller Freude.

Bin ich ein jämmerlicher Lappen, wenn mir aufs neue die Tränen in die Augen steigen?

Ich kann es nicht erklären.

Vielleicht ist es die Dankbarkeit gegenüber dieser fünf Leute, aber vielleicht ist es auch der Hass, welchen ich mir gegenüber verspüre, weil ich zu spät realisiert habe, wie wertvoll sie alle eigentlich sind.

"Denkst du, du solltest dein Leben noch einmal etwas bedenken?", höre ich Leo fragen und schon sehe ich zu ihm.

Er steht an meinem Nachttisch und starrt auf die vielen Packungen der verschiedenen Arten von Tabletten, die ich alle benötige.

Meine Optionen waren simpel.

Nimm die Tabletten oder es ist aus mit dem Boxen.

"Wenn du das alles durchmachen musst, nur um nicht wütend zu werden", sagt er, während die anderen ihm auch aufmerksam lauschen.

Das ist wohl ein Effekt von dem ständig stillen Leo.

Wenn er tatsächlich mal von sich aus spricht und ein komplett neues Thema beginnt, statt in eines einzusteigen, sind alle aufmerksam und lauschen.

"Denkst du, dann ist das Boxen all das wert? Seit der Schlägerei hast du sie nicht mehr genommen und trotzdem hattest du alles im Griff", sagt er und wendet langsam den Blick von den Tabletten ab.

Er dreht sich zu uns, während die anderen näher an mich herantreten.

"Ich habe Reggie geschlagen und euch alle verletzt, als ihr uns auseinander halten wolltet", erinnere ich ihn daran.

Lilah legt mir eine zittrige Hand an den Rücken und lässt sie bis zu meiner Seite wandern, sodass sie mich quasi mit einem Arm einschließt.

Zögerlich hebe ich meinen Arm und ziehe sie näher an mich heran, ehe ich ihr einen Kuss auf das Haar setze, der um Verzeihung bitten soll.

"Ich habe deine Grenze überschritten. Alle Brüder prügeln sich", argumentiert Reggie und stellt sich neben mich.

"Du hattest dich unter Kontrolle, als ich mit dem Angestellten im Kino geflirtet habe, um dich zu provozieren", erinnert Lilah neben mir, weshalb ich zu ihr heruntersehe und plötzlich blicke ich in ihr feuchtes und total trauriges Gesicht.

"Und davor hattest du dich schon unter Kontrolle, als uns dieser Typ aus der Schule auf den Sack gegangen ist", kommt es von Luan.

All das habe ich überhaupt nicht wahrgenommen.

"Das einzige, was Ma dir verbieten wird, ist die Teilnahme an richtigen Kämpfen, Jace. Das Training und die Mitgliedschaft im Club, wird sie die lassen", versichert Cody mir.

Ich zögere, doch warum tue ich was überhaupt?

Meine Entscheidung steht doch schon längst fest.

Wenn ich durch das Boxen und die Tabletten aufs Spiel setze, meine Liebsten zu verletzen und zu verlieren, brauche ich es nicht.

Die Methoden, die ich bisher für mich selbst entdeckt habe, habe ich ganz ohne psychologische und ärztliche Hilfe entdeckt.

Ich bin nur durch meine Freunde und Familie bis hier hingekommen.

Wieso also all das aufs Spiel setzen?

"Wenn meine Obsession mit dem Boxen bedeutet, euch zu verletzen, oder sogar zu verlieren, brauche ich es nicht. Ich werde die Dinger los", sage ich entschlossen und ziehe Lilah automatisch näher an mich heran.

Wieso brauchte ich diese großartige und doch schmerzhafte Verbindung zu ihr, um etwas so Offensichtliches zu realisieren?

Die ganzen Fortschritte sind doch erst zustande gekommen, weil diese großartige Verbindung zu ihr besteht.

Erneut lehne ich mich zu ihr und setze einen flüchtigen Kuss auf ihren Scheitel.

Plötzlich realisiere ich, dass ich eine Sache nicht getan habe.

Ich habe es nicht erwidert.

Fast schon grob löse ich sie von mir, nur um mich dann zu ihr zu drehen und meine Hände an ihre feuchten Wangen zu legen.

"Ich liebe dich auch, Delilah", sage ich und ignoriere für einen Augenblick die Anwesenheit meiner Jungs.

"Mit allem, was mir zur Verfügung steht. Und genau aus diesem Grund, werde ich darum kämpfen, deine Liebe auch zu verdienen", verspreche ich und fahre mit dem Daumen über ihre wieder zitternde Unterlippe.

Sie lacht auf und nickt eilig, was mich flüchtig zum Lächeln bringt.

Sofort darauf lehne ich mich nach vorne und setze ihr einen bedeutungsvollen Kuss auf die Lippen, den sie sofort erwidert.

Magnificent ConnectionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt