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"Du musst immer auf alles vorbereitet sein und jegliche Karten legen, die dir zur Auswahl stehen..."
Seine Worte sind ziemlich kryptisch gewählt, doch ich nehme einfach mal an, er redet davon, dass Frauen nicht wirklich die Stärke eines Mannes haben, die sie bei einem Angriff nutzen könnten.

Er denkt wahrscheinlich gerade an dieselben Dinge, die ich im Sinn habe.

"Wenn dich jemand überrascht und von hinten packt, was steht dir zur Auswahl?", fragt er und sieht mich, mit den Armen vor der Brust verschränkt an, doch ich hebe nur die Schultern.

Das einzige, woran ich denken kann, ist, dass er keine Fragen über den Vorfall von vor zwei Monaten stellt.

Entweder interessiert es ihn kein Stück, oder er versucht einfach unfassbar zurückhaltend zu sein, was überhaupt nicht zu dem Typen passt, den ich aus der Schule kenne, also nehme ich das erstere an.

Wahrscheinlich reicht ihm auch einfach die kurze Erklärung, die Dylan ihm gegeben hat, wofür ich ihm immer noch den Schädel einschlagen könnte.

Seit dem Vorfall behandeln die Jungs mich noch vorsichtiger.

Helikopter Eltern sind nichts dagegen.

Sie sind unglaublich einfühlsam, wofür ich ihnen auch dankbar bin, aber in diesem Fall ist es noch erdrückender.

Mein Gegenüber schnipst mit den Fingern vor meinem Gesicht, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen, also sehe ich ihn wieder genauer an.

"Ich kenne deinen Namen immer noch nicht", sage ich und sehe ihn etwas ernster an.

Ehrlich gesagt habe ich gerade überhaupt keine Lust, mit ihm über den Nahkampf oder sonstige Selbstverteidigung zu sprechen, weil wenn er auf die blöde Idee kommen könnte, etwas Praktisches auszuprobieren, würde das beinhalten, dass er mich berührt.

Damit würde ich gerade definitiv nicht umgehen können.

"Ist nicht wirklich wichtig. Wenn du ihn dir durch die Schule schon nicht merken kannst, ist es nicht von Belang, wenn ich ihn dir hier sage. Antworte auf meine Frage", sagt er.

Irgendwie hat er da schon recht.

Ich war sowieso noch nie wirklich gut mit Namen.

"Keine Ahnung. Ich musste mich bisher noch nie verteidigen. Meine Brüder haben sich immer um mich gekümmert, bis ich vor zwei Monaten mit meiner Freundin bei der..."
Die Bilder treten mir vor die Augen und alles in mir schreit danach, von hier zu fliehen.

Ich kann es nicht einmal aussprechen, doch die plötzliche Einsicht auf die Tatsache, dass ich durch meine Brüder immer in Sicherheit war, ist erdrückend.

Irgendwie lässt es mich erbärmlich fühlen.

Ich hatte schon immer eine große Klappe und eine lose Zunge, aber nie musste ich mich auf diese Weise verteidigen.

"Wir sind gerade erst hier hochgekommen, also nimm dir einen Moment und denk darüber nach", sagt er ruhig, weshalb ich ihn etwas überrascht betrachte.

Dann nicke ich und reibe meine Finger über die pinke Bandage an meiner Handfläche.

Vor dem Aufwärmen sollte ich sie anlegen, doch da ich keinen blassen Schimmer hatte, wie ich das machen sollte, musste ich ihn einfach um Hilfe bitten.

Auch da war er schon ziemlich zurückhaltend, jedoch habe ich zu dem Zeitpunkt nur versucht den Moment zu überstehen, ohne eine Panikattacke zu bekommen, statt darauf zu achten, dass er tatsächlich versucht hat, mich nicht so viel zu berühren.

Anscheinend hat Dylan ihm wirklich einige Dinge erzählt.

"Dreh dich einfach mal um und versuch dir die Situation so weit vorzustellen, wie du es hinbekommst."
Meine Augen weiten sich sofort und mein Puls nimmt zu, doch er geht einen Schritt zurück und stellt sich etwas gemütlicher hin.

"Ich werde mich nicht von der Stelle bewegen", versichert er mir.

Ich schlucke einmal feste und denke darüber nach, dass niemand so zuvorkommend sein kann, wenn die Person zuvor ein totales Arschloch war.

Natürlich ist mir auch klar, dass ich kein Vertrauen zu jemandem haben kann, den ich erstens nicht einmal leiden kann und zweitens nicht einmal richtig kenne.

Nicht, dass ich heutzutage noch irgendjemandem trauen könnte.

Trotzdem ist da dieses unwohle Gefühl in meinem Bauch, dass sich von Minute zu Minute verstärkt.

Mal davon abgesehen, dass er total zuvorkommend ist und mit einem etwas breitbeinigem Stand von mir entfernt steht, weiß ich einfach nicht, was ich tun soll.

Ich zögere und sehe ihn noch ein letztes Mal an, ehe ich mich langsam umdrehe und einige tiefere Atemzüge nehme.

Jeder Muskel in meinem Körper verkrampft sich bei dem Gedanken daran, dass ein Kerl hinter mir steht, der eindeutig viel stärker ist, als ich es jemals sein werde.

Verzweiflung breitet sich in mir aus, doch ich versuche es zu überstehen und lasse meine Arme an den Seiten meines Körpers herunterhängen.

Ich öffne und schließe meine Hände einige Male, ehe ich ganz langsam die Augen schließe und versuche mir die Situation vorzustellen.

Ich stehe und jemand nähert sich von hinten, ehe meine Schulter gepackt wird.

"Was war nochmal die Frage?"
Meine Stimme klingt zittrig und mein Körper tut das wahrscheinlich auch.

"Wenn dich jemand überrascht und von hinten packt, was steht dir zur Auswahl?", fragt er ein weiteres Mal und klingt dabei immer noch total gelassen.

"Selbstverteidigung zu trainieren, habe ich mir definitiv anders vorgestellt. Wieso tust du so, als wäre das eine Verhaltenstherapie?", frage ich hörbar gereizt und Rolle meine Schultern nervös auf und wieder ab.

"Zum einen muss ich herausfinden, was du weißt und dann muss ich mich langsam an dich herantasten. Wenn ich nicht weiß, wo deine Grenzen liegen, kann ich nicht mit dir trainieren, also musst du genauso geduldig mit mir sein, wie ich es mit dir bin."
Mein Herz rast und meine gesamte Haut kribbelt.

"In diesem Augenblick fühle ich mich eher in die Ecke gedrängt", flüstere ich leise und versuche mich irgendwie selber zu beruhigen.

"Dann dreh dich wieder um", befiehlt er ziemlich sanft, doch das lasse ich mir definitiv kein zweites Mal sagen.

Als ich ihn wieder ansehe, steht er immer noch an derselben Stelle und in derselben Position.

Langsam löst er die Arme und legt beide Hände an seine Hüften, ehe er den Kopf nach unten fallen lässt und zu überlegen scheint.

"Wir machen das so", beginnt er nach einigen Momenten und sieht mich dann wieder an.

"Heute werden wir einfach nur reden. Du erzählst mir alles, was du über den Nahkampf weißt und dann reden wir über deine Grenzen, die ich in Zukunft versuche nicht zu überschreiten. Zieh die Bandagen aus", seufzt er dann und nickt in die Richtung meiner Hände, ehe er aus dem Ring steigt und sich dann beim Gehen seine Bandagen abmacht.

Ob ich ihm jetzt schon Probleme bereite?

Ich kann mir zwar vorstellen, dass niemand wirklich mit jemandem arbeiten will, der klar und deutlich gebrochen ist, doch so wie ich das verstanden habe, bezahlen meine Brüder ihn dafür.

Dylan meinte, der Typ, den er gefunden hat, bräuchte das Geld dringend, also hatte er schnell zugestimmt.

Genervt verdränge ich die Gedanken mit einem leichten Kopfschütteln, ehe ich beginne, die Bandagen abzumachen.

Magnificent ConnectionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt