Kapitel 48

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 „Lou?" fragte eine Stimme vorsichtig und ich hörte die Schritte der Person auf mich zukommen. „Was?", schrie ich und hob wütend den Blick.

Konnte man nicht einfach in Ruhe in sich zusammensacken und für einen Moment so tun, als wäre die Welt in Ordnung? Nur für einen kurzen Augenblick den Kopf abstellen und sich vorstellen, wie es wäre, ein ganz normaler Teenager zu sein.

Aber anscheinend war mir dieser Moment des Durchatmens nicht gegönnt. Der Druck auf meinen Schultern war mit einer solchen Wucht zurück, dass es mir Tränen in die Augen trieb. Ich blinzelte wie wild, damit sie sich wieder zurückzogen. Ich wollte nicht weinen. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht wegen so was.

Die verschwommenen Umrisse einer Person zögerten kurz, kamen dann aber weiter auf mich zu. Langsam streckte er seine Hand nach mir aus, aber ich versuchte vor ihm zurückzuweichen. Er sollte mich nicht berühren. Ich hasste Berührungen. Besonders, wenn ich so verwundbar war, wie in diesem Moment.

„Du blutest", stellte er ruhig fest und hockte sich vor mich. Zaghaft griff er nach meinem Arm und betrachtete vorsichtig mein Handgelenk. Mein erster Instinkt war es, die Hand wegzuschlagen, doch mein freier Arm reagierte auf den Befehl nicht.

Stattdessen fokussierte sich mein gesamter Körper auf die angenehme Wärme, die von seiner Berührung ausging. In meinem Magen setzte ein seltsames Kribbeln ein und tatsächlich spürte ich, wie sich der Druck von mir löste.

Ich schniefte und wischte mit der Hand über mein Gesicht. Bei dieser Geste gehorchte mir mein Körper komischerweise wieder. Die Sicht wurde besser und ich erkannte Neville. Er zog sich die Krawatte vom Hals und presste den Stoff auf meine Wunde. Er wirkte besorgt und unsicher. Ich selbst hätte wohl genauso ausgesehen, wäre die Situation umgekehrt.

„Was machst du hier?" hauchte ich mit schwacher Stimme und lehnte mich an die Wand in meinem Rücken. Ich beobachtete, wie er mit dem Stoff vorsichtig mein Blut wegwischte. Es kam erstaunlich viel der roten Flüssigkeit aus meiner Haut, wenn man bedachte, dass ich gar nicht so tief geschnitten hatte. Jedenfalls hatte ich es als nicht so tief empfunden.

„Wie meinst du das? Du hast mich doch gerufen." Verwirrt hob er den Blick. „Ich weiß nicht wie, aber ich war vorm Gemeinschaftsraum und habe gehört, wie du meinen Namen gesagt hast. Ich bin der Stimme gefolgt und hier angekommen. Wie hast du das gemacht?"

„Keine Ahnung", murmelte ich und mein Blick glitt zu meinem Zauberstab. Er lag an der gegenüberliegenden Wand in einer der breiten Fugen. Ich hatte ihn nicht bei mir gehabt, seit Draco weg war. Ich hatte keinen Gedanken ans zaubern verschwendet.

Neville begann seine Krawatte fest um mein Handgelenk zu binden und der Stoff scheuerte für einen Augenblick unangenehm über meine offene Wunde.

„Sicher, dass es meine Stimme war?" zischte ich und biss die Zähne zusammen.

„Ja, ziemlich und es hat sich angehört, als stecktest du in Schwierigkeiten", erklärte er und verknotete das rot-goldene Band, sodass es an Ort und Stelle blieb, auch als er es losließ.

„Schwierigkeiten würde ich das nicht nennen", meinte ich und wollte aufstehen, kurz nachdem Neville meinen Arm losgelassen hatte. Sein besorgter Blick schnürte mir den Hals zu und ich wollte aus der Situation verschwinden.

Allerdings ließ er das nicht zu und schnappte nach meiner Hand. Beinahe hätte ich das Gleichgewicht verloren und wäre unsanft zurückgefallen. Ich konnte mich jedoch noch auf den Beinen halten.

„Sondern?" hakte der Gryffindor nach und strich dabei vorsichtig mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Wärme stieg mir in die Wangen und ich wollte dieser Berührung unauffällig entkommen. Neville hatte meine Narben zwar nie als Schwäche gesehen, doch für mich waren sie genau das. Zeichen meiner Schwäche.

Lucinda - The Mask of a SlytherinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt