Chapter 3

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Während ich mich an einem vorzeigbaren Lidstrich versuche, kommt auch Shelby in das Badezimmer und leistet mir Gesellschaft, während sie ihre blonden Haare zu glätten beginnt. "Dir steht dieser neue Look wirklich gut", höre ich plötzlich von ihr. Ohne Worte schenke ich ihr nur ein Lächeln und konzentriere mich weiter auf meinen grauen Lidschatten, den ich nur leicht auf meinen Augenlidern verteile. "Willst du darüber reden", fragt sie mich, als sie meine Narbe an meinem Handgelenk entdeckt. Ich darf jetzt nicht weinen! Also gebe ich ihr so stark ich es kann ein knappes "Nein" und wir belassen es dabei. Ich rede nicht gerne über das, was passiert ist oder über ihn. Schnell erinnere ich mich wieder daran, wieso ich eigentlich hier bin. Ich habe eine Liste abzuarbeiten. Angefangen mit den ganzen klischeehaften Sehenswürdigkeiten in New York City. Als wir beide mit unserem Make-over fertig sind wendet sich Shelby mir zu. "Also womit fangen wir an?"

*

Seit knapp dreißig Minuten sitzen wir auf einer gigantischen Fähre auf dem Weg zur Freiheitsstaue. Hoffentlich habe ich meine Kamera nicht vergessen. Seit meinem siebten Lebensjahr halte ich vieles auf Bildern fest. Das hilft mir mit vielem klarzukommen oder auch einfach nur meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen ohne mit anderen reden oder in Tränen ausbrechen zu müssen. Zwar habe ich seit langer Zeit keine Bilder mehr geschossen, doch ist sie wie ein Glücksbringer. Sie muss immer dabei sein. "Alles klar bei dir? Du guckst leicht panisch." Bevor ich ihr sagen kann, ob alles okay ist, muss ich zuerst in meiner Tasche nachschauen, ob meine Kamera darin schlummert. Und Volltreffer. "Ja. Alles gut. Ich habe nur etwas gesucht und gefunden." Ich denke sie weiß genau, was ich meine, denn schließlich hat sie mich gezwungen sie mitzunehmen. Das Fotografieren macht mir allerdings seit einer Weile keine besonders große Lust mehr. Mir fehlt die nötige Inspiration. Vielleicht kehrt sie durch meine wiedergewonnene Freiheit und meinem jetzigen Singleleben wieder auf. Ich hoffe es. Mir fehlt es in eine neue Welt einzutauchen, die alles besser scheinen lässt, als es ist.

Dank dir wird es nie mehr besser werden, du Miststück.

Panisch schnappe ich nach Luft. Ich wollte nicht daran denken. Ich will es nie mehr. "Hey, bleib ganz ruhig. Atme tief ein und wieder aus!" Helfend legt mir Shelby ihre warme Hand auf den Rücken. Das ist das Einzige, auf das ich mich konzentriere – die Wärme. Es hilft mir nicht. Schnell gehe ich ein paar Schritte und stehe mitten auf der Fähre, die uns zur Freiheitsstatue bringt. Der Anblick der wunderschönen Dame in grün lässt mich das Schlechte wieder vergessen. Jedoch nicht vollständig. Niemals könnte ich all das Schlechte und Grausame, das in meinem Leben stattfand, vergessen. Hastig folgt mir Shelby und stellt sich vor mich damit sie mir in meine Augen sehen kann und ich in ihre. "Kris, ist alles wieder okay?" Das frage ich mich schon längst nicht mehr. Natürlich wird es nie mehr okay sein. Ständig bekomme ich diese Attacken, wenn ich an sie denke. Sie hat mir alles genommen, was mir wichtig war. Was übriggeblieben ist, ist nur dieses kaputte Wrack, das meinen Namen trägt. Doch da ich hier bin, um mein Leben auf die Reihe zu bekommen, nicke ich nur und versuche zu lächeln. Shelby schenkt mir auch ein Lächeln und wendet sich nun der Freiheitsstatue zu. "Ist das zu glauben? Ich lebe seit einem Jahr hier und habe kein einziges Mal daran gedacht, diese Lady zu besuchen." Schämend schlägt sie sich die Hände vors Gesicht. "Ist doch schön! So haben wir beide etwas von diesem Ausflug." Die Anwesenheit meiner Besten Freundin hat mir wirklich gefehlt. Viel mehr als ich dachte. Sie bringt mich immer zum Strahlen, und das sogar in der eisigen Kälte, die uns umgibt.

An der Freiheitsstatue selbst angekommen, bekommen wir alle Zeit ein paar Fotos zu schießen. Es ist atemberaubend solch einen Ausblick auf die Skyline Manhattans zu haben. Die großen Gebäude ragen allesamt wahrhaftig weit in den Himmel. Jedes wirkt gleich aber doch irgendwie auf dessen eigene Art besonders. Vergeblich versuche ich mich zum ersten Mal seit langem wieder an meiner Kamera. Allerdings werden diese Schüsse nichts Besonderes, weshalb ich sie sofort wieder lösche und meine Kamera zurück in die Tasche packe. An jedem Bild stört mich etwas. Leider übernimmt die Perfektionistin in mir wieder einmal die Oberhand. "Hey! Was soll das?" Fragend sehe ich sie an. "Was denn?" Verschwörerisch lachend öffnet sie meine Tasche und zieht meine Kamera wieder heraus, welche sie mir wieder in die Hände drückt. "Du machst in den nächsten zehn Minuten, die wir noch haben, atemberaubende Bilder, wie du es früher immer gemacht hast!" Kaum öffne ich meinen Mund, um eine Widerrede herauszubekommen, legt sie mir einen Finger an die Lippen. "Pschsch. Sei still und mach dein Ding!" Was war das jetzt? Sie scheint regelrecht besessen davon zu sein, mich wieder fotografieren zu sehen. Gerade als ich loslegen und mir dieses Mal etwas mehr Mühe geben wollte, bekommen wir das Zeichen des Tour Leiters, dass es auch schon wieder Richtung Abfahrthafen geht. "Waaas?! Das kann doch nicht sein Ernst sein!" Während Shelby völlig am Ausrasten ist, bin ich diejenige die nur lacht und sie zurück auf die Fähre zerren muss. "Wieso lachst du so? Der Ausflug ist zu Ende und du lachst?" Was ist nur los mit ihr? Sie war noch nie so aufgewühlt wie in diesem Moment. Sie verschweigt mir etwas. "Shelby, willst du mir vielleicht etwas sagen?" Nervös starrt sie immer wieder auf ihre Armbanduhr und betrachtet mich plötzlich mit einem zertrümmerten Blick, der eine Mixtur aus Trauer und Wut beinhaltet. "Kann ich dich nicht doch überreden länger bei mir zu bleiben?", fängt sie an. Ungläubig schüttle ich den Kopf. Ich habe ihr doch gesagt, ich würde nur kommen, wenn sie mich nicht anflehen würde länger zu bleiben. Es tut auch so schon weh, daran zu denken, dass mir keine zwei Wochen mehr mit ihr bleiben. Aber das ist und war nun mal der Deal. Sie sieht mich für diese Zeit und ich reise danach weiter. Es ist zwar verrückt an das Abreisen zu denken, wobei ich noch kein Ziel vor Augen habe, doch es scheint mir richtig zu sein. Ich kann nicht hierbleiben. Irgendwo muss es einen Ort geben, an dem ich mich wirklich wohl fühlen und mein Leben in Frieden fortsetzen kann. "Du weißt, dass ich das nicht kann", füge ich meinem Kopfschütteln hinzu. Im nächsten Augenblick ergreift sie meine Oberarme und schüttelt mich. "Natürlich kannst du das! Du bist eine unabhängige Frau Kristen! Du kannst tun, was immer du willst."

Du wirst immer mir gehören, hörst du? Du kannst vor mir wegrennen, aber das heißt nicht, dass ich dich nicht wieder kriege!

"Lass mich los!" Als meine Arme nicht mehr in Shelbys Fesseln liegen, setze ich mich auf meinen vorherigen Platz und warte darauf, dass wir endlich wieder am Hafen ankommen. Ihre Berührung hat mich zu sehr an Jaydens dreckige Hände erinnert. Kurz nach mir setzt sie sich ebenfalls wieder, sieht mich an, schweigt aber. Wie ich diese schmerzhafte Stille hasse. Viel mehr, als ich seine Stimme hasse.

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