Chapter 12

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Als wir zu Ende gegessen haben ergreift sie völlig aus dem Nichts meine Hand und umfasst sie mit ihren Beiden. "Was wirst du als nächstes tun?"

Mit weit aufgerissenen Augen, eröffnet sie mir Einblick in den tiefen Ozean, der viele Fragen in sich birgt. Natürlich mache ich mir andauernd Gedanken darüber doch mal danach gefragt zu werden versetzt mir einen Schock, der mich zurück in die knallharte Gegenwart katapultiert. Ich hätte nicht gedacht, dass eine solch simple Frage einen so sehr treffen kann. Unwissend senke ich den Kopf, um nicht länger in ihre Antwortsuchende Augen sehen zu müssen. "Ich weiß es nicht, sage ich leise." Kurz drückt sie meine Hand und bittet mich darum vorerst hier zu bleiben. Schon wieder. "Shelby du verstehst das nicht. Es ist..." Hastig entzieht sie ihre Hände. "Sag jetzt nicht es ist kompliziert. Gott, Kristen du bist drei und zwanzig", stöhnt sie genervt. "Mach was aus deinem Leben! Wie ein streunender Welpe durchs Leben zu laufen ist nicht die beste Aussicht. Und allein schon gar nicht." Sie ist viel zu sentimental, um solche Gespräche führen zu können, denn schon füllen sich ihre Augen mit Tränen. Genau deshalb bin ich der Meinung, sie sollte dann erst gar nicht versuchen solch ein Gespräch führen zu wollen. "Du bist hier in Sicherheit bei mir. Liam und ich würden dafür sorgen, dass du einen Job bekommst und..." Kopfschüttelnd umfasse ich ihre Hand. "Shelby – Jahrelang tat mein Vater alles, um meine Mutter glücklich zu machen. Als es zu spät war, um sein Wollen umzusetzen..." mehr bekomme ich im Moment nicht raus. Es tut noch zu sehr weh über seinen Tod zu sprechen. Shelby betrachtet mich mit völlig durchnässten Augen. "Was ist eigentlich mit ihm passiert?" Fragend bildet sich eine Falte zwischen ihren Augenbrauen. Wieder schüttle ich den Kopf. Ich habe seit Jahren nicht mit ihr darüber geredet und werde es jetzt auch nicht tun. "Na schön, ich akzeptiere das. Aber du musst wissen, als meine Eltern sich scheiden ließen, wollte ich es dir auch erst nicht sagen. Hatte es aber dann doch getan und ich weiß noch genau, wie gut es sich anfühlte, als dieser beschissen schwere Stein von meinem Herzen fiel. Du kannst mir vertrauen, das weißt du, oder?" Schweigend nicke ich und schenke ihr ein aufrichtig dankendes Lächeln. "Okay, genug mit dem ernsten Zeug. Überleg es dir bitte nochmal." Ich bin so unglaublich dankbar für ihr Verständnis. Kein Mensch würde so gelassen aus solch einer ernsten Unterhaltung leiten, wie sie es tut. "Das werde ich", gebe ich nickend als Antwort. So wie es aussieht hat sie ihre Tränen verdrängen können. Denn jetzt sitzt sie grinsend und Pläne schmiedend vor mir. Teuflisch reibt sich Shelby ihre Hände. Was hat sie jetzt wieder vor? Ich weiß sofort, dass nichts Gutes rauskommt, da sie das schon immer macht. Selbst als vierjährige hat sie mir damit schon Angst gemacht. Sie saß immer vor mir und tat genau dasselbe – die Hände wie der größte Superschurke auf Erden aneinander reiben und grinsen wie ein Teufel. Und kurze Zeit später stellte sich heraus, dass es wieder mal eine miese Idee war. Als Kleinkind hatte man noch keine kriminellen oder illegalen Gedanken, das hat sich mit der Pubertät aber ziemlich geändert. Als sie es zum letzten Mal tat, kamen wir beide sturzbesoffen nach Hause. Das schlimme daran war nicht den Kopf die ganze Nacht über die Kloschüssel zu hängen, sondern die Tatsache nichts außer einem Männerhemd getragen zu haben. Bis heute wissen wir nicht, woher wir die hatten. "Ich kenne diesen Blick, Shelby. Was heckst du aus." Lachend kneift sie meine Wange. "Ach Süße, ich habe Logan gestern Abend versprochen mit ihm ein wenig abzuhängen." Und schon wird sie rot. Wenn sie mit abhängen, Zeit im Bett zu verbringen meint, dann soll sie es meinetwegen tun, solange sie sich amüsiert. "Deine Klamotten misten wir morgen aus. So einfach kommst du mir mit deinen hässlichen Hosen nicht davon." Lachend betrachte ich meine allerbeste Freundin auf der Welt. Versprechend zwinkert sie mir zu und widmet sich wieder ihren Fritten. Das Gleiche tue ich auch mit meinen Käsenachos. Um die letzten Schlücke des Milchshakes aus dem Becher zu bekommen, ziehe ich ein letztes Mal kräftig am Strohhalm und erlaube ihr sich den neuen Nachbarn zu uns zu holen. "In der Nähe ist ein Café. Ich werde einfach dorthin gehen. Liam kann auch dorthin kommen." Wenn er bei Nicole fertig ist. Ich weiß nicht, ob ich diesen Gedanken laut aussprechen darf. Vielleicht weiß Shelby nichts von ihr und er will es geheim halten. Was sollte er bitte schön geheim halten wollen? Es ist schließlich nur seine Naturwissenschaftspartnerin. Stimmt auch wieder. "Er wird heute bei seinem Kumpel übernachten, genau deshalb wollte ich ja, dass Logan zu uns kommt. Unternimm du doch was mit Dean. Er wird sich sicher langweilen", schlägt sie vor. Na super. Das ist mir ehrlich sowas von egal. Ich meine, schließlich bin ich nicht sein Babysitter. Dean ist ein erwachsener Mann. Der weiß sich bestimmt zu beschäftigen. Ein Teil meines Körpers will am liebsten in die Defensive und ihm, solange ich in New York bin, nicht mehr unter die Augen treten. Die andere Hälfte meiner Selbst bettelt darum ihn wieder zu sehen. Er stellt etwas mit mir an, was mich dazu bringt kurz mal nicht an Jayden, meinen Dad oder Dakota denken zu müssen. Er betäubt mich auf eine angenehme Weise. Mal sehen, gebe ich knapp zurück. Vielleicht tut mir diese Taubheit, solange ich bleibe, ganz gut. Entweder das oder sie wird meine Narben zum Brennen bringen.

Zurück in Shelbys Apartment verstaue ich alle neuen Klamotten in der Kommode und setze mich auf das mit kuscheligen Kissen beschmückte Bett. Jetzt habe ich noch die Chance mich etwas auszuruhen. Wie es wohl aussehen wird, sobald Logan dieses Apartment betritt, weiß ich nicht. Dann werde ich höchstwahrscheinlich stundenlang im Café sitzen und mir vielleicht ein paar neue Bücher, in deren Welt ich eintauchen könnte, zulegen. Mir bleiben noch genau zwölf Tage und etwa achtzehn Tausend Dollar übrig. Ich sollte die Zeit und das Geld sinnvoll nutzen. Vorsichtig, um sie nicht zu reißen, krame ich die Liste aus meiner Jeanshosentasche. Zwei Dinge die weit oben standen sind bisher erledigt. Doch die Tatsache alles allein zu erleben, obwohl die Liste Dads Idee war, lässt ein weiteres Stück meines bereits zerbrochenen Herzens abfallen. Dad hatte sich so sehr bemüht, die perfekte Vaterrolle für mich zu sein und ganz nebenbei mein bester Freund. Gemeinsam hatten wir so viel geplant, so wie unseren Trip nach New York. Nur wurde aus unserem Trip meine Flucht vor der Kristen, die ich einmal war und den Menschen, die in meinem Leben nichts mehr zu suchen hatten. Es wird nie mehr so sein, wie es früher war. Und damit hatte sie verdammt Recht.

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