Chapter 19

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Gegenüber von mir sitzend mustert er mich und sieht mir so liebevoll in die Augen, was seit langer Zeit niemand mehr gemacht hat. "Es ist nichts", gebe ich ihm schließlich als Antwort auf seine unausgesprochene Frage. Dean nickt nur kurz und rückt mir dann etwas näher. Kaum berührt sein Knie meins, fühlt es sich an, als wolle mir mein Herz aus der Brust springen. Und als mir dann mit der anderen Hand sanft um den Nacken greift und mich mit seinem Daumen streichelt, verliere ich komplett die Fassung. Mir entfährt ein kurzes Wimmern aus der Kehle. Verdammt reiß dich zusammen! Ein siegreiches Grinsen macht sich in seinem Gesicht breit. "Kristen du kannst mir erzählen, was du willst, aber du bist nicht lesbisch", gibt er nun lachend von sich und lockert die Atmosphäre, die uns bis gerade noch so trüb umgab. "Du bist unmöglich. Aber für die Feststellung hast du ziemlich lange gebraucht", lache ich und necke ihn somit. Langsam lässt er meinen Nacken wieder los und lässt uns einfach sein. Auch ohne uns gegenseitig zu betatschen. Ich bin ihm so unfassbar dankbar, dass er meine Antwort so stehen lässt und nicht weiter nachhakt. Sein Grinsen wird schiefer und jap, es ist wieder da. Das knuffige Grübchen an seinem linken Mundwinkel. Genau das, bei dem die meisten Frauen vor einem Mann niederknien würden und betteln würden: Bitte nimm mich. Solange bis ich nicht mehr laufen kann. Natürlich hängt seine Riesen Portion Sexappeal nicht nur an seinem Grübchen. Es ist das gesamte Muskelpaket, die markante Kieferpartie und die perfekten Lippen. All meine Gedanken formen sich zu abartigen Fantasien, die ehrlich gesagt eine super Ablenkung für den Moment darstellen, aber unheimliche Gelüste in mir erwecken. Allerdings wäre keine Stunde später diese komische Spannung zwischen uns, die unsere jetzige Freundschaft? Nein, eher Bekanntschaft, zerstören könnte. Das hat ein One-night stand an sich. Man wird flachgelegt und hat seinen Spaß, hat aber nicht vor, sich ein weiteres Mal zu treffen. Und auf irgendeine Weise muss ich gestehen, dass ich die kleinen Sticheleien zwischen uns mag. "Ich habe es einfach genossen dich ein wenig zu quälen", grinst er mir noch immer entgegen. Dann hör nicht auf und mach weiter. Nein! Abstand ist das, was mir wirklich guttun würde, rede ich mir selbst weiter ein. Sein Grinsen lässt meinen Körper sofort dieses unvertraute Kribbeln spüren, und wenn er mir sein Lächeln zeigt, ist es, als würde ich nicht mehr atmen können. Es wird mich noch umbringen. Aber du wirst dich an deine Regel halten und es bei einer Freundschaft, Bekanntschaft – was auch immer – belassen. Ich werde es müssen. Es MUSS dabeibleiben. Dean setzt sich wieder eine etwas ernstere Miene auf und betrachtet mich voller Neugier. "Also Kristen, was verschlägt dich nach New York?", fragt er mich erneut. Allein wenn ich an Jayden oder Dad denke, wird mir schlecht, denn sie sind der einzige Grund, weshalb ich hier bin. Um nicht wieder verletzbar auszusehen, verdrehe ich nur meine Augen und antworte, dass es kompliziert sei. Ohne mit der Wimper zu zucken, bekomme ich ein "Ich liebe das Komplizierte zurück". Na, dann müsste er mein Leben ja lieben – es war schon immer kompliziert. Trotz des eher negativen Gedankens entlockt mir Dean ein kleines Lächeln. "Ich wollte nur meine Freundin besuchen", schenke ich ihm nun als Antwort. Diese müsste genügen – es ist ja keine Lüge. Nur nicht die ganze Wahrheit – aber das muss er ja nicht wissen. Dean scheint es auf eine erstaunenswerte Weise wirklich interessant zu finden was ich noch so zu erzählen habe, also erzähle ich ihm das Wichtigste. "Also schön, Edwards. Ich wohne in Portland – ursprünglich komme ich aus Denver, ich habe im September Geburtstag, noch Fragen?", entgegne ich harsch mit einem übertrieben gefaketen Grinsen. Das mit dem Fotografieren erwähne ich ihm gegenüber nicht. Zuerst lacht er über meine Antworten, schnallt dann aber, dass diese Antworten vorerst die einzigen sein werden. "Hmm –warst du nicht auf dem College?", hakt er nach. Immer das Gleiche. Was für ein Riesenskandal: Kristen Mitchell war nicht auf dem College. Ist ja nicht so, als gäbe es noch andere Hunderttausend Menschen in unserem Staat die ebenfalls nicht aufs College gehen. "Hör auf so ein Gesicht zu machen! – Es gab private Gründe. Und bilde dir jetzt ja nicht ein, ich wäre deshalb eine weniger kluge Person. Ich kann..." Ich hätte ihm eine weitere Standpauke darüber halten können, wie unnötig ein Collegeabschluss wirklich ist, werde aber von Dean unterbrochen. Er rückt so nah an mich, dass ich beinahe auf seinem Schoß sitze, und legt mir seinen Finger auf die Lippen. Es wäre so einfach seine Hand in meine zu nehmen und jeden einzelnen Fingerknochen zu küssen. Wieso bin ich nur so verkorkst? Ich kann doch nicht einfach daran denken, einem Mann seine weichen, warmen Finger zu küssen. Und dazu ist er ja sowas wie ein Fremder – ich kenne ihn kaum. Allerdings ein attraktiver Fremder – einer der es schafft mir Schmetterlinge im Bauch zum Leben zu erwecken. "Schon gut, du musst dich nicht vor mir rechtfertigen", sagt er schließlich mit einer kratzigen Stimme. Gott, sie ist so voller Lust, dass sie mir gleich zwischen meine Oberschenkel geht. Aus Angst meine Stimme könnte brechen, nicke ich einfach nur. Als mein Blick wieder mal zu Boden fällt, hebt er mein Kinn an und lächelt sanft. "Keine Mauer, Prinzessin. Ich will Worte." Fordernd blickt er mir tief in die Augen, bis ich mich dazu entscheide, ihn ebenfalls mit Fragen zu löchern. "So, Edwards. Du bist jetzt dran. Woher kommst du?" Ohne mit der Wimper zu zucken, antwortet er, dass er ursprünglich aus New York kommt, was ich ja bereits weiß. Zwischen den New York Aufenthalten hatten sie in Trenton gelebt. New York bietet ihnen nun eine Möglichkeit auf einen Job, der ihnen mehr Gehalt einbringen wird. Mehr verrät er mir jedoch auch nicht. Weitere Minuten bleiben wir sprachlos auf dem Boden sitzen. Er begutachtet meinen angestrengten Blick, während ich mir weitere Fragen für ihn überlege. Doch in dem Moment, als ich kurz davor bin sie vollends zu formulieren, klingelt Deans Handy. Zuerst sieht es aus, als würde er einfach ablehnen und lieber mit mir ein Gespräch führen wollen, da sagt er, dass es dringend sei und er rangehen müsse. Und so steht er auf und entfernt sich mit jedem Schritt, den er geht, immer weiter von mir. Solange er sein Telefonat führt, gehe ich ein wenig durch das Geschäft und ziehe gedankenverloren immer wieder ein Buch heraus, blättere darin umher und stelle es zurück in das Regal. Himmel, ich wirke bestimmt ziemlich verzweifelt. Nein, ich bin ganz sicher ziemlich verzweifelt. Vielleicht sollte ich Dean nicht mehr so oft sehen, wie ich es jetzt tue. Nur läuft er mir wo auch immer ich bin, immer über den Weg. Das sollte ein Ende haben. Vielleicht wäre dann alles etwas leichter. Um einen Blick auf die Uhr erhaschen zu können will ich nach meinem Handy greifen, doch es ist nicht in meiner Hosentasche. Da es sicher noch in meiner Handtasche liegt, gehe ich zu ihr zurück und bin so kurz davor über Deans Beine zu stolpern. Er packt mich am Handgelenk und sorgt somit für Stabilität. Sein bedrückter Gesichtsausdruck fällt mir sofort auf. Irgendetwas muss passiert sein – ich spreche ihn aber lieber nicht darauf an. Schnell wendet er seinen Blick von mir ab, greift nach seiner Jacke, die auf dem Boden liegt und sagt nur, dass ich lieber wieder zurück in Shelbys Apartment gehen sollte. Bevor ich es kann, nimmt er ebenfalls meine Handtasche, drückt sie mir aber mit zwanzig Dollar in die Hand. "Ich muss noch etwas erledigen. Schönen Abend noch, Miss Mitchell." Ehe ich auch nur ansatzweise verstehen kann, was hier los ist, hat er sich bereits seine Kapuze übergezogen und verschwindet aus dem Laden hinaus in die Kälte. Was zur Hölle...?

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