An einer Bar angekommen setzen wir uns in eine Nische – genau wie gestern Abend. Doch heute bin ich mir sicher, dass dieser Abend nicht so schrecklich enden wird wie der gestrige. Lange reden wir nicht, allerdings bemerke ich von der ersten Sekunde an, dass Dean einige Fragen hat. Bevor ich ihm anbieten kann, mich mit seinen Fragen zu konfrontieren, bietet er mir ein Spielchen an. "Du darfst mir eine Frage stellen und wenn ich sie nicht beantworten möchte, nehme ich einen Shot. Andersrum genau Dasselbe. Was hälst du davon?" Wirklich angetan von diesem Spiel bin ich nicht, also zucke ich nur gleichgültig mit den Schultern und warte auf seine erste Frage. "Wie lautet dein jetziger Beziehungsstatus?", fragt er mich mit einem dreckigen Grinsen. Heilige Scheiße. Noch arroganter geht es wohl echt nicht. Ebenfalls grinsend gebe ich "Glücklicher Single" von mir und überlege mir eine Frage für ihn. Die Einzige Frage, die im Moment in meinem Kopf herumschwirrt, ist dieselbe. Leider bin ich mir zu beinahe hundert Prozent sicher, dass es ein wenig verdächtig rüberkommen würde, wenn ich ihm die gleiche Frage stelle. "Hast du Geschwister?", platzt es aus mir heraus. Keineswegs zweideutig. Dafür verdiene ich einen Applaus. Kurz nickt er. "Einen kleinen Bruder. Man sollte meinen, dass sie mit dem Alter weniger anstrengend werden, allerdings raubt er mir noch immer den letzten Nerv. Hast du denn Geschwister?"
Es dauert keine Sekunde, bis sich wieder dieses komische Gefühl in meinem Magen breit macht. Ohne zu antworten will ich schon nach dem Wodka greifen, der vor mir steht, doch Dean hält mein Handgelenk Zentimeter davor fest. "Komm schon Kristen, das ist eine so simple Frage." Er starrt mich verdächtig lange an, als wüsste er bereits die Antwort. "Und wenn ich sie nicht beantworten will", presse ich zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sein Griff lockert sich nicht, fühlt sich aber auch nicht mehr ganz so grob an. Sanft streichelt er mit seinem Daumen über mein wundes Handgelenk. Er hat meine Narbe entdeckt. Langsam lässt er mein Gelenk los und betrachtet mich liebevoll. Und obwohl seine Frage ziemlich taktlos war und sein zuvor grober Griff mir etwas Angst gemacht hat, glaube ich, dass ich Dean Edwards nicht so knallhart, wie zuvor erhofft, hassen kann. "Verdammt! Tut mir leid. Wir brechen das hier ab." Kurz sieht er mir noch in die Augen, rutscht dann aber aus der Nische und will an mir vorbei gehen. Ohne zu aufdringlich zu wirken, fasse ich nach seinem Arm. "Schon gut. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen." Kaum sichtbar schüttelt er seinen Kopf und kneift seine Augen zusammen. Beinahe so, als hätte man ihm aus dem Nichts starke Schmerzen zugefügt. "Ich will hier nicht länger bleiben. Ich brauche frische Luft." Mit einem Nicken bestätige ich, dass ich ihm folgen würde. Was sich wohl noch als ziemlich bescheuert erweisen wird, nur genieße ich einmal das Hier und Jetzt. Sein Lächeln, das er mir schenkt, strahlt vollkommene Zufriedenheit aus und plötzlich bin ich mir sicher: es war keine schlechte Idee nach New York zu fliegen.
"Gott, ich habe vergessen, wie schön es hier nachtsüber ist." Erstaunt bleibe ich stehen, während Dean weiter geht. Bis er bemerkt, dass ich nicht mehr neben ihm gehe. "Alles klar bei dir?" Besorgt sieht er mir in die Augen. "Ja, alles gut nur- hast du schon mal hier gelebt?" Lachend greift er nach meiner Hand und bringt mich auf diese Weise dazu, weiterzugehen. "Ja könnte man so sagen. Ich bin hier aufgewachsen." Nicht zu glauben, wie neidisch mich das macht. Im Central Park angekommen bleiben wir irgendwann stehen und begutachten die Skyline, mit den vielen Lichtern. "Was bringt dich eigentlich hierher? Ich denke nicht, dass du extra nach New York kommst, um einen armen Mann beinahe mit einer Autotür zu erschlagen und ihn dann dazu bringen wolltest mit dir durch die Kälte zu stiefeln." Nein, das war so gar nicht geplant. Und was noch weniger geplant war, ist die Tatsache mich darauf eingelassen zu haben. "Nein, nicht ganz. Ich habe eine Liste, die ich abzuarbeiten versuche. Fragend zieht er eine Augenbraue nach oben. Lächelnd winke ich ab. "Touristen machen sich doch meistens eine Must-See Liste, nicht wahr? Das ist meine." Dass sie ebenso meinem toten Vater gehört, verschweige ich allerdings. Die Erinnerung an ihn will ich so in meinen Gedanken behalten, wie ich ihn zuletzt gesehen hatte und nicht so, wie ich ihn jedem beschreiben muss. Außerdem kann ich gut auf sein Mitleid oder diesen gequälten Blick verzichten, den ich meistens bekomme, sobald ich von seinem Tod erzähle. Augenverdrehend stecke ich meine Hände in meine Manteltaschen. Was tue ich hier eigentlich? Ich friere mir alles ab und für was? Wieso bin ich nicht einfach im Café geblieben? "Vergiss es. Ich hätte einfach im Starbucks sitzen bleiben sollen." "Also ich bin froh, dass du mitgekommen bist." Ein kleines Grübchen erscheint neben seinem linken angehobenen Mundwinkel. Trotz seiner Aussage fühle ich mich fehl am Platz und schaue nur auf den Boden. Dort verharrt mein Blick nicht sonderlich lange. "Hey, schau mich an." Voller Gefühl hebt er mein Kinn mit seinem Zeigefinger und samtweichen Daumen an. So, dass ich gezwungen werde ihn anzusehen. "Du musst mir nicht sagen, ob du Geschwister hast. Du musst mir auch nichts über diese Liste erzählen. Aber bitte baue nicht diese Mauer auf, wenn ich dich etwas frage." Als Einverständnis nicke ich nur und gehe mit ihm weiter in die Richtung des Gebäudes, indem wir wieder auseinander gehen werden. Das dachte ich zumindest, bis er mir anbietet doch noch etwas zu ihm ins Apartment zu kommen. Logan ist noch immer bei Shelby und Liam bei Nicole – also sieht es so aus, als würde ich nun doch den Abend mit Dean verbringen. Auch wenn das vor ein paar Stunden noch nicht geplant war. Nichts von meinem Leben ist von mir geplant. Es wird von anderen Leuten verplant und ich muss spontan darauf reagieren – so war es schon immer.
"Keine Sorge, jetzt wo ich ja weiß, dass du auf Frauen stehst, werde ich nicht versuchen dich zu küssen." Jetzt wo ich ja weiß, dass du auf Frauen stehst. Heißt das etwa er hätte es vorgehabt, hätte ich ihn nicht so angelogen? Dass er gleich mit der gesamten Tür ins Haus fällt, hätte ich nicht gedacht. Oh Gott. Ohne es zu wollen schießt mir das Blut ins Gesicht und erwärmt sich. Ich glühe. Nein – ich beginne zu hyperventilieren. Der arme Herr wird wohl nicht ganz zufrieden damit sein, dass ich seinen Namen dauern in solchen Zusammenhängen verwende. Vergib mir mein Mangel an Anstand und Religiosität. Dean Edwards, sieh dir an, was du nur mit meinen Gedanken machst.
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Trust me - solange du bleibst
Romance"Man sagt, die erste wahre Liebe vergisst man nicht. Wie sollte ich auch, wenn er mir dicht auf den Fersen ist." Um ihre tiefsitzende Trauer zu lindern, flüchtet Kristen nach New York. Doch zwischen der Liebe und der Trauer herrscht ein schmaler Gr...