Wieder zurück in Manhattan gehen wir erst mal in ein Café. Solange ich uns beiden einen freien Tisch suche, holt Shelby uns beiden etwas "Nervennahrung", wie sie es nannte. Zurück kommt sie mit zwei Cappuccinos und ebenfalls zwei New Yorker Cheesecake Stücken. Nachdem sie alles abgestellt hat, setzt sie sich mir gegenüber und kneift die Augen etwas zusammen. "Du hast mir noch gar nicht erzählt, woher du diese Narben hast", stellt sie aus dem Nichts fest. Plötzlicher Schmerz und Hass machen sich in meinem kompletten Körper breit. "Wieso spielst du andauernd diese bescheuerten Narben an?", zische ich sie durch zusammengebissenen Zähnen an. Wütend, aber nicht zu stark klatscht sie mit einer Hand auf den Tisch. "Weil du andauernd dicht machst, wenn ich mit dir darüber reden möchte", flüstert sie, da uns mittlerweile jeder zuhört. "Frag mich einfach nicht mehr danach, okay? Ich habe dir doch schon gesagt, dass Jayden keine Rolle mehr spielt." Das wird er auch nie wieder. Letzteres sage ich eher leise. Es ist ein Befehl von mir selbst, den ich einhalten muss. "Du hast Recht, sorry. Ich will es dir hier nicht vermiesen." Shelbys Aussage klingt aufrichtig entschuldigend, aber auch eine gewisse Gleichgültigkeit ist herauszuhören. Während sie genüsslich ihren Kuchen aufisst, stochere ich nur darin herum. Keine Ahnung wie lange sie hier noch sitzen will. Immer wieder schaue ich auf die Uhr. Zuerst vergehen zehn Minuten. Die nächsten zwanzig Minuten sind wir noch immer hier. Als dann über eine Stunde des Schweigens vergangen ist, hüpft sie nach einem Blick auf die Uhr erschrocken auf. "Oh Mist!" Kopfschüttelnd steht sie da und zieht ihre Jacke über. Also tue ich es ihr gleich. "Komm. Wir müssen uns beeilen! Scheiße ich habe ihnen versprochen vor fünf wieder zuhause zu sein." Das war vor über einer halben Stunde, stelle ich fest. Und plötzlich fällt mir wieder ein, wen sie mit ihnen meint. Für heute war nicht nur mein Ausflug zur Freiheitsstatue geplant. Da gibt es neue Nachbarn, die anscheinend Shelbys Hilfe beim Einzug gebrauchen könnten. Sicherlich sind es Senioren, deren Umzugskisten wir in ihr Apartment schleppen sollen. Oder es ist ein verheiratetes Pärchen, die ein Zuhause gefunden haben, um ihren ungeborenen Kindern eine kuschelige Atmosphäre zu bieten und nun nur noch auf der Suche nach ein paar Freunden sind.
Nach einigen Minuten Fahrt steigt Shelby hastig aus und rennt beinahe durch den Eingang. In Gedanken versunken realisiere ich, dass ich wohl auch mal aussteigen sollte. Während ich noch hier hocke, sprintet sie sicher die vielen, vielen Stockwerke hinauf, um die neuen Nachbarn zu begrüßen. Schnell öffne ich die Autotür. Womöglich etwas zu schnell und ohne zu schauen, ob jemand vorbei geht. "Oh Fuck", höre ich plötzlich von einem Mann, der ziemlich unerwartet einen Schlag in den Magen bekommen hatte. "Scheiße! Es tut mir echt leid, aber Sie hätten wirklich besser aufpassen sollen!", gebe ich ziemlich schnell und unsicher von mir, als ich aus Shelbys Mercedes steige. "Ich hätte besser aufpassen sollen?" "Ja natürlich! So etwas könnte jeden Moment passieren", antworte ich mit einem Hauch von Sarkasmus, um die Situation etwas zu lockern. "Ach, bedeutet das, Sie rempeln dauernd irgendwelche Männer an?" Blitzend weiße Zähne sind zu sehen, während mir der Mann ein nettes Lächeln schenkt. Nein. Sie sind der Erste. Lachend betrachtet er mich von oben bis unten, bis er meinen Augenkontakt wieder findet. "Es ist mir eine Ehre, diesen von ihnen verursachten Schmerz als Erster ertragen zu dürfen. Ein glücklicher Schlag in die Magengrube würde ich ihn nennen." Lachend stehen wir voreinander, bis mir einfällt, dass ich nicht mal weiß, wie der Kerl vor mir heißt. Na super. Peinlichste. Situation. Überhaupt. Schlechten Gewissens halte ich mir meine Hände vor mein Gesicht. "Tut mir wirklich leid." Plötzlich spüre ich wärmende Hände an meinen, welche sie von meinem Gesicht ziehen. "Schon okay. Ich bitte um Entschuldigung. Wo bleiben meine Manieren? Mein Name ist Dean. Dean Edwards." Ich will ihm schon die Hand geben, als ich Shelby an der Eingangstür des Wohngebäudes bemerke und mich kurz und knapp verabschiede. "Nett Sie kennenzulernen, Mister Edwards. Ich möchte noch einmal sagen, wie sehr mir das mit der Türe gerade leidtut. Ich muss leider los." Und schon bin ich weg. Mit schnellen Schritten gehe ich auf sie zu und lasse Dean hinter mir. "Tut mir leid, dass das so lange gedauert hat. Hast du schon mit den Nachbarn gesprochen?" Lachend zwinkert sie mir zu. "Um ehrlich zu sein, nein. Das zwischen euch beiden zu beobachten war um einiges besser." Augenverdrehend klatsche ich ihr gegen den Arm und ziehe sie einige Treppenstufen mit nach oben. Das Problem dabei ist nur, dass ich nicht weiß, in welchem Stock dieses noch freie Apartment liegt. "Falls du vorhast, mich bis hoch zu ihrem Apartment zu zerren, dann viel Spaß!" Natürlich habe ich das nicht vor, also lasse ich sie schnell los und gehe mit ihr bis zur gleichen Etage, wo auch Shelbys Apartment liegt, und klopfe an der gegenüberliegenden Haustüre. Nichts. Ein zweites Klopfen. Noch immer nichts. "Naja, womöglich holen sie gerade noch Zeugs aus ihrer alten Wohnung, oder so." Schon wendet sich Shelby der anderen Tür zu und betritt ihr Zuhause. Ein Ort, den ich nie wirklich haben werde.
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Trust me - solange du bleibst
Romance"Man sagt, die erste wahre Liebe vergisst man nicht. Wie sollte ich auch, wenn er mir dicht auf den Fersen ist." Um ihre tiefsitzende Trauer zu lindern, flüchtet Kristen nach New York. Doch zwischen der Liebe und der Trauer herrscht ein schmaler Gr...