Kapitel 44

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Ich atme tief ein. Scheiße! Hätte ich Leon doch nicht angerufen!
Erst höre ich ein leises Tippgeräusch und dann ist bereits einiges zu Hören. Schritte und Gemurmel. Leon hat sein Handy auf Lautsprecher gestellt. „Boom, mein Schatz?", ertönt die Stimme meiner Mutter. „Hallo Mama", murmele ich. „Wie schön, deine Stimme zu hören! Wie geht's dir?". „Ähhh ganz gut", erwidere ich. „Bis auf eine Kleinigkeit", ergänzt Leon. Wenn ich diesem Typen irgendwann wiedersehen werde, werde ich ihm den Hals umdrehen. „Also? Was ist es, weswegen dich Leon so angeschrien hat?", meldet sich Matt zu Wort. „Ähmm...", ich zögere. „Also?", die fast schon schneidende Stimme von Al ist zu hören. „Ich...", meine Stimme bricht. Ich habe verdammt nochmal Angst, es ihnen zu sagen. Ich bin doch kein Kind mehr! Ich bin erwachsen! Trotzdem fürchte ich mich vor ihren Reaktionen.
Warum?
Ich bin die kleine Schwester, die von allen bemuttert wurde. Je älter ich geworden bin und je mehr ich mit Jungs zu tun hatte, desto mehr waren meine Brüder der Meinung, mich beschützen zu müssen. Das war schon so, als ich mit fünfzehn meinen ersten Freund hatte und ist leider immer noch so. Es ist ja lieb von ihnen, dass sie sich Sorgen um mich machen, aber irgendwann reicht es auch mal.
„Ich bin schwanger", hauche ich.
Am anderen Ende der Leitung herrscht augenblicklich Stille. Selbst, wenn sie nicht vor mir sitzen, spüre ich die Spannung, die sich in diesem Moment im Raum auszubreiten beginnt. Das erdrückende Schweigen hält noch einige quälend langsam verstreichende Sekunden an. Dann durchbricht meine Mutter das Netz, der angespannten Stille: „W-was?". Ich sage nichts. „DU BIST ZUM ERSTEN MAL, VOLLJÄHRIG, LÄNGER ALS EINEN MONAT GANZ WOANDERS UND FÄNGST GLEICH AN, DURCH DIE GEGEND ZU VÖGELN! WAS HABE ICH BITTE FÜR EINE TOCHTER?!", schreit meine Mutter los. Wie sehr ich wusste, dass sie so reagieren würde.
Meine Brüder scheinen sprachlos zu sein. Nur meine Mutter schreit weiter: „UND ICH WOLLTE NOCH, DASS DIR DAS ERSPART BLEIBT!". Doch langsam scheint sie sich einzukriegen.
„Später möchte ich nochmal alleine mit dir reden", zischt sie. Danach sind laute Schritte zu hören, die sich entfernen. Meine Mutter hat scheinbar genug. Warscheinlich ist sie eine rauchen gegangen. Doch leider scheint erst der erste Sturm vorüber zu sein. „Weißt du wenigstens, wer der Vater ist?!", zischt Al. Jetzt spüre ich trotz der Angst, Empörung in mir aufsteigen. „Natürlich tue ich das! Er ist mein Freund!", gebe ich aufgebracht zurück, „Hälst du mich etwa für eine Nutte?!". Meine Frage ignorierend fährt Al fort: „Weiß er davon?". „Ja! Selbstverständlich!". „Unterstützt er dich?", meldet sich Matt zu Wort. Langsam geht mir ihre Fragerei auf die Nerven. Für wen halten die Jisung eigentlich?! „Klar tut er das! Für wen haltet ihr ihn eigentlich?!". „Um einiges klarzustellen: Wir kennen ihn nicht. Außerdem, wie wir alle wissen, kannst du auch dazu tendieren, dich in etwas... nun ja... seltsamere Typen zu verlieben. Vielleicht lässt er dich im Stich? Wir wollen nur nicht, dass dir so etwas passiert, wie Mutter", erwidert Al schnippisch. „Eins wissen wir", plappert Leon dazwischen, „Er ist berühmt und warscheinlich ziemlich reich". Leons Aussage kommt gar nicht bei mir an. Ich beginne darüber zu grübeln, was Al gesagt hat. Sollen nicht, dass mir so etwas passiert, wie Mutter.
Was ist Mutter passiert?
„Jedenfalls, ist das eine sehr schockierende Nachricht, wenn du verstehst", pflichtet Matt Al bei.
Bei ihnen im Hintergrund ertönt ein lautes Poltern. Dann ertönen laute Schritte. „So, jetzt habe ich mich einigermaßen beruhigt und will mich mal alleine mit Boom unterhalten!", ruft meine Mutter. Kurz darauf hat sie den Lautsprecher-Modus ausgeschaltet. Trotzdem höre ich leise Schritte, weswegen ich vermute, dass sie sich von den Jungs entfernt. „Ich habe wirklich so sehr gehofft, dass dir das erspart bleibt", von ihrer Wut ist nichts mehr zu hören. Ihre Worte werden nun von Traurigket und Mitgefühl durchflutet. „Ich weiß genau, wie das ist. Weißt du, damals, war ich unerfahren und habe mich auf viele eingelassen, auf die ich mich nie hätte einlassen sollen. So auch auf Levis Vater", sie seufzt, „Ich war gerade mal achtzehn. Ich war unglaublich verzweifelt. Und als ich es ihm erzählt habe, ist er einfach weggelaufen und seitdem habe ich ihn nie wieder gesehen".
Meine Mutter hatte mir also nie die ganze Wahrheit über Levis Vater erzählt. Früher hatte sie immer behauptet, dass sie sich auseinandergelebt hätten.
„Jedenfalls, hoffe ich, dass der Vater deines Kindes anders ist". „Ja Mama. Ist er definitiv. Als ich es ihm erzählt habe, aht er mir versprochen, dass wir zusammenbleiben, egal was passiert. Er freut sich". „Dann ist ja gut", ich kann Erleichterung in ihrer Stimme wahrnehmen. „Oh mein Gott! Erst jetzt beginne ich es zu realisieren. Ich werde Oma!", sie scheint wie ausgewechselt. Ich beginne zu grinsen: „Ja Mama, du wirst Oma".

Boom  ʰᵃⁿ ʲⁱˢᵘⁿᵍWo Geschichten leben. Entdecke jetzt