36. Alle für Hanji

51 3 4
                                    

Warum war ich nur mitgekommen? Warum habe ich das alles hier erst soweit kommen lassen? Warum...
Scheiße scheiße scheiße!!!
Ich spürte meinen Körper nicht mehr, fühlte mich schwach. Hörte und sah nichts mehr. War vollkommen entkräftet. Und das, obwohl ich nicht mal gekämpft hatte. Da war er wieder, dieser schwache Menschenkörper. Die Person, die für sowas hier nicht gemacht ist. Und es nie war.
Ich hatte mich in etwas reinversetzt, was mir nicht zustand. Wozu ich nie in der Lage gewesen wäre. Aber mein sturer Kopf wollte das alles ausprobieren. Jetzt konnte ich sagen: Ich habe es probiert und bin kläglich gescheitert. Und wofür das alles? Was hatte ich dadurch gewonnen? Einen Krieg in meiner Welt. Tote Kameraden, vermutlich. Das hier würden nicht alle überleben. Da war ich mir sicher.
Hatte ich erwähnt, dass ich nichts mehr spürte? Komischerweise spürte ich aber, wie mein Körper anfing zu schweben. Ganz langsam bewegte er sich nach oben. War ich schon auf dem Weg zum Licht? Fühlte sich der Weg ins Jenseits etwa so an? Es dauert nicht lange. Und da hatte ich es wieder. Mein Bewusstsein kam wieder zu mir und ich hörte, sah und spürte wieder alles. Eine knochige Hand hielt mich fest und ich schaute in zwei stechend grüne Augen, die zu einem Gesicht mit langen schwarzen, fettigen Haaren gehörten und ein Abbild des Grauens zeigten. Nein, es war nicht das Mädchen aus The Ring und nein, es war auch keiner der Trolle aus dem Spiel Bramble-The Mountain King ; es war Eren.
„AAAAAAAAAH!", schrie ich um mein Leben. Seine Visage jagte mir einen so heftigen Schauer ein, dass ich heute Nacht vermutlich von ihr heimgesucht wurde.
„LASS MICH RUNTER! ICH WILL NICHT STERBEN!", schrie ich weiter. Doch Eren machte gar nichts, außer mich weiter anzustarren. Dann gab er ein kurzes Grollen von sich und ich wurde ruhig. Ich versuchte meinen Puls, der dem eines fliehendem Gnu's übertraf, wieder runterzuschrauben.
„D-Du...k-kannst du mich hören? Eren?", fragte ich mit zittriger Stimme. Erstaunlicherweise gab er ein kurzes Nicken von sich.
„B-Bist du irgendwo da drin? B-Bist du auf unserer Seite?" Wieder nickte er und grummelte.
„O-Okay...das ist gut. Das ist ziemlich gut...äh...d-deine Mauertitanen, sie...wurden fast alle zerstört...", sagte ich, als ich mich umgeguckt hatte. Von hier oben hatte man wirklich eine extrem gute Aussicht, war für Leute mit einer Höhenangst aber eher unvorteilhaft. Also quasi auch für mich, nur in diesem Moment registrierte mein Spatzenhirn das nicht.
„Y/N!" Erneut hörte ich meinen Namen, dann das Einhaken eines 3D Manöver Apparats und dann...
„L-Levi!"
„Eren, wenn du da drin bist, tu ihr nichts..." Ich fragte mich, wie Levi sich befestigt hatte, als ich hochsah und den Haken in Eren's Kopf sah. Der Arme. Der musste auch jeden Scheiß über sich ergehen lassen. Als wäre es Eren's Antwort, öffnete er sachte seine Hand und ließ Levi ebenfalls drauf.
„Geht es dir gut? Ich habe dich nach der Explosion komplett aus den Augen verloren...es tut mir leid..."
„Hör auf dich zu entschuldigen. Es ist schwierig, in so einer Situation die völlige Kontrolle zu haben. Auch wenn du das gerne hättest. Mir geht es soweit gut, denke ich. Nur bin ich wohl leider genauso ein Klotz am Bein, wie du immer sagtest."
„Hey" Er kniete sich mit einem Bein zu mir runter und schaute mich eindringlich an.
„Das habe ich gesagt, weil du Anfangs nichts drauf hattest. Das sieht jetzt anders aus."
„Ja. Aber was soll ich mit den Klingen machen? Aus den Stahl-Titanen die Schrauben rausdrehen?" Levi grinste und legte seine Hand an meine Wange.
„Ich liebe dich, du Knallfrosch. Weißt du das?"
Dieser Satz kam mindestens genauso unerwartet, wie das sanfte Grummeln von Eren, der vermutlich entweder innerlich vor lauter Schnulzfaktor kotzte, oder weil er solch rührende Worte von Levi nicht kannte und sie toll fand. Die Situation war unbeschreiblich. Die tausend Schmetterlinge, die durch meinen Körper fuhren, diese Stimmung zwischen uns. Und das alles auf dem Urtitanen persönlich.
Vergeben, was vergangen war.

RUMMS!!! Wieder eine Erschütterung. Levi erhob sich wieder.
„Die hauen sich da drüben ziemlich die Birnen ein. Ich muss ihnen helfen. Aber was ist mit dir..."
Ich konnte Levi's Zweifel genau sehen. Sollte er bei mir bleiben oder zu den anderen? Er würde mich ungern allein lassen, aber auch ungern seine Freunde im Stich lassen. Ein mächtiger Struggle, den er mit sich auszumachen hatte.
„Ich bleibe bei Eren", sagte ich dann.
„Er kann mich doch beschützen."
„...nein", sagte Levi zögerlich.
„Wie?"
„Wenn er angegriffen wird, kann er dich genauso wenig schützen, wie ich. Ich muss dich-"
„Heeey, Levi!" Hanji kam entzückt angflogen und landete total elegant auf Eren's knochiger Hand. Total fasziniert schaute sie ihn an.
„Boooooooah! DU siehst ja kacke aus! Nichts für ungut Eren, aber in deiner Menschenform bist du schon eine 11 von 10 mit Sahne obendrauf. DAS hier gleicht eher einem Horrorfilm." Eren grummelte.
„Hanji, du blutest", fiel mir auf.
„Echt?" Sie rieb sich mit ihrer Hand an der Stirn und schaute sie sich an.
„Och, nur ein kleiner Kratzer. Ich musste mich mal eben in Sicherheit bringen. Eren kam da wie gerufen."
„Wie ist die Lage?", fragte ich sie.
„Die Lage ist beschissen", antwortete Levi für sie.
„Ja. Da hat das Ackermännchen recht. Die Maschinen sind ganz schön fett. Also fett im Sinne von MÄCHTIG STARK."
„Levi! Hanji!" Mein Gott. Was wollten die denn alle?
„Wow, Eren! So von Nahem siehst du noch beschissener aus, als aus der Ferne. Und nenn mich nie wieder Pferdefresse. Den deine gleicht gerade einer Leiche, die man quer durch den Fleischwolf gedreht hat." Jean war auch da.
„Ärrräääh! Geht es dir gut?" Und Mikasa auch.
„Was ist los, Erwin?!"
„Wir sind mit unseren Waffen am Limit. Corey ist geschwächt, aber noch am Leben. Die anderen haben wir vernichten können. Dein letzter Donnerspeer hat einen von ihnen sofort ins Nirvana geschickt. Wir brauchen Hanji's letzten Donnerspeer für Corey. Der muss sitzen."
Eren grummelte kurz und ließ uns dann ganz vorsichtig am Boden nieder.
„Kann Eren ihn nicht einfach packen und zerquetschen?", fragte ich.
„Eren ist so langsam wie eine Schnecke in dieser Größenkonstellation. Ich denke, wenn er das könnte, bräuchte er seine Mauertitanen nicht. Und die sind ebenfalls alle dem Ende geweiht, so wie das hier aussieht. Diese Maschinen haben eine ganz andere Kraft. Unsere Kameraden versuchen ihn gerade im Zaum zu halten, aber sie scheitern. Wir müssen uns beeilen. Alles kommt jetzt noch auf diesen Speer an. Viel kann uns Eren leider in der Form nicht helfen."
„Ist das so?", fragte Mikasa.
„Kann er wirklich nichts tun, außer so auszusehen?"
„Nichts Körperliches", sagte Levi. Und ich wusste nicht wieso das für mich zweideutig klang.
„Hm", machte Hanji und wurde auf einmal bitter ernst.
„Alles hängt von diesem Donnerspeer ab, sagst du?"
Bedrückende Stille kehrte ein.
„Warum wird die Stimmung plötzlich so komisch?!", fragte ich misstrauisch.
„Dann werde ich diesem Corey diesen wunderschönen Donnerspeer mal in den Arsch jagen. Hab' ich richtig Bock drauf!"
„Hanji, nein!", protestierte ich direkt und sie fuhr erschrocken um.
„Hö? Aber Mordsfreundin..."
„Was genau ist dein Plan? Willst du dich alleine auf ihn stürzen?"
„Mordsfreundin...die anderen können mir schlecht helfen, wenn sie nur ihre Gastanks und Klingen haben."
„Aber du kannst da nicht alleine hin!"
„Kleines, beruhig dich", sagte Levi und legte seine Hand tröstend auf meinen Kopf. Dann ballte er seine Faust und schlug sie gegen Hanji's Brust.
„Tu es. Tu es für dich, deinen Stolz und für deine Kameraden."
„Levi! Nein!", protestierte ich fassungslos weiter. Was ging hier bitte ab? Die wollten mich doch wohl alle verarschen!
„Hast du sie noch alle? Du lässt sie gehen? Sie ist deine beste Freundin, Levi! Sie war immer an deiner Seite, immer! Immer konntest du dich auf sie verlassen und jetzt lässt du sie einfach so gehen? Bedeutet sie dir gar nichts?"
„...das ist nicht wahr", sagte er nur ruhig, aber gefasst und ich schien ihn unweigerlich mit meinen Worten verletzt zu haben. Oder war es, weil die Situation schon mal vorkam? Erst kürzlich hatten wir einen Riesenstreit, wo er genau dieselben Worte gesagt hatte...
„Ihr alle", zeigte ich mit dem Finger auf alle Anwesenden, die hier standen und schluchzte.
„Ihr wollt sie alleine gegen Corey kämpfen lassen? Was seid ihr für Freunde?"
„Y/N, es wird Zeit, dass du dich wieder in den Griff bekommst", sagte Erwin ernst.
„Was du da redest passt gerade nicht hierher. Deine Aussagen sind von deinen überschwänglichen Emotionen gesteuert und bedeuten gar nichts."
„Was? Erwin, ich-"
„Ruhe jetzt! Es ist schlimm genug, dass du uns alle damit reingezogen hast. Du musst dich jetzt nicht noch als jemanden aufspielen, der du nicht bist." Harte Worte, Erwin. Harte Worte.
„Erwin...", warnte Levi ihn.
„Das ist UNSERE Geschichte. Die geht UNS etwas an, nicht dich. Dass wir in deiner Welt feststecken ist ziemlich blöd gelaufen, aber das ist UNSER Krieg. Und den werden WIR bewältigen. Ob wir dafür Opfer bringen müssen oder nicht. Das ist nicht dein Problem."
„Erwin, es reicht!" Völlig unerwartet hatte sich die Situation gewendet. Levi's Klinge war schnell gezückt und berührte Erwin's Kehlkopf.
„Du wirst ihr NIE WIEDER solche Sachen an den Kopf werfen, verstanden?! Du hast kein Recht so mit meiner Frau zu reden. Du hast kein Recht überhaupt so zu reden. Das hier ist immer noch eine Sache, die wir gemeinsam ODER alleine entscheiden. Nicht weil DU sie willst!" Stille kehrte ein, dann entfernte Levi seine Klinge.
„Hanji. Es ist deine Entscheidung. Entweder feuerst du den Speer ab, oder ich werde es tun."
„Nein, Levi, nicht!" Die Panik kam in mir auf. Ein mulmiges Gefühl braute sich in meiner Brust zusammen und ließ mir Bilder in den Kopf steigen, die ich nicht sehen wollte.
„Du machst hier einen auf Moralprediger, stellst sie aber vor die Wahl?", provozierte Erwin nun zurück.
„Ja. Ich gebe ihr die Chance, NEIN zu sagen. Ein Wort, welches du nicht kennst."
„Okay meine Freunde, schwängt die weiße Fahne und vertragt euch, hehe. Es ist doch alles gut. Ich mache diesen Job liebend gerne. Auch wenn das vielleicht bedeutet, dass ich einen Abgang mache. Aber dann werde ich einen mega geilen Abgang machen und euch damit hoffentlich retten, jawohl. Huch..." Mein Körper hatte sich selbstständig gemacht und Hanji einfach umarmt. Weinend drückte ich mein Gesicht in sie und ließ sie nicht mehr los.
„Mordsfreundin..."
„Du darfst nicht sterben, hörst du? Das ist ein Befehl!!!" Ich hörte sie grinsen und spürte ihre Hand, wie sie auf meinem Rücken ruhte.
„Sterben? Das ist doch was für Weicheier. Ich bin doch Super-Hanji."

Es brachte alles nichts. Die Entscheidung war gefallen und weder ich noch sonst wer konnte sie davon abhalten. Nicht mal Moblit wollte es versuchen. Er kannte sie viel zu gut, dass er wusste, er könnte sie sowieso nicht umstimmen. Hanji grinste, legte ihre Faust aufs Herz und sagte stolz:
„Also dann, mein Freunde. Bin gleich wieder zurück."

(2) Attack on Titan- Eine Reise zwischen zwei Welten (Teil 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt