An einem kalten Wintertag, irgendwann Anfang der Neunziger, reiste einst ein junger Mann von Irland nach Deutschland, um dort als Elektriker zu arbeiten.
Noch in seiner ersten Woche begab er sich in einen Friseursalon, denn seine Haare waren seiner Frisur entwachsen und auch sein Bart bedurfte einer gründlichen Überarbeitung.
Die Frau die ihm die Haare schnitt war eine junge, hübsche Kolumbianerin mit geschmeidigen braunen Händen.
Sie kamen ins Plaudern. Er brachte sie zum lachen. Aus dem üblichen Smalltalk ergab sich schnell ein tiefes Gespräch. Die junge Frau ließ sich für seinen Haarschnitt doppelt so viel Zeit wie normalerweise und noch ehe die Chefin des Friseursalons ungeduldig auf die Uhr tappend um die Ecke gebogen war hatte er sie schon nach einem Date gefragt.
Ein paar Monate später rief der Mann seine Mutter in Irland an, um ihr zu sagen, dass er fürs Erste wohl nicht zurückkommen würde.
Ein paar Jahre später heirateten er, Johnny Murphy, und die Friseurin Maria González.
Noch ein paar Jahre später wurde ich geboren. Ifa Rosalia González.
Zwölf Jahre später tappte ich, Ifa, mit nackten Füßen und im Nachthemd in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Dort fand ich meinen Vater vollständig mit Mantel und Schuhen bekleidet und über einen fast vollständig gepackten Koffer gebeugt vor.
,,Was machst du denn hier, Darling?" Hatte er gefragt und wie jemand gelächelt der bei etwas ertappt worden ist.
,,Was machst du, Dad?" Hatte ich geantwortet, war zum Waschbecken gegangen und hatte mir das ersehnte Glas Wasser geholt ohne ihn auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.
Er war meinen Blick ausgewichen. Hatte sich die verschwitzten Hände an der Jeans abgewischt.
,,Ich packe."
,,Wieso? Gehst du weg?"
,,Ich geh weg."
Seine großen Hände hatten einen Stapel T - Shirts gegriffen und sie sorgfältig in den Koffer gelegt. Der blinkende goldene Ehering war von seinem Finger verschwunden.
,,Wohin?"
,,Zurück nach Irland, Schatz."
,,Und wann kommst du wieder?"
Ich war zwar jung gewesen, aber schon damals kein Idiot. Ich hatte gemerkt das etwas im Busch war.
Dad hatte sich gewunden wie ein Wurm an der Angel. ,,Hör zu, Schatz, Daddy wird für eine Weile weggehen. Zurück nach Irland. Aber keine Sorge, wir sehen uns wieder! Ich werde dich besuchen kommen und wir werden telefonieren und ich werde zwar weg sein, aber nicht weg weg, nicht von-der-Erdoberfläche verschwunden-weg, verstehst du?"
,,Nein."
Ich hatte ihn aus schmalen Augen angestarrt und dabei an meinem Wasser genippt. Er hatte ergeben geseufzt.
,,Weiß Mama, dass du weg gehst?"
,,Noch nicht." Seine Hände hatten den Koffer zugeklappt. ,,Aber ab morgen früh wird sie's wissen."
,,Mh." Hatte ich gemacht und ihm missbilligend zugeschaut.
Der Reißverschluss des Koffers hatte ganz leicht geklemmt. Ich hatte mein leeres Glas in die Spüle gestellt. Mein Vater war zu mir gekommen um mich zu umarmen. Er hatte so vertraut nach Dad gerochen und sein Mantel hatte die gewohnte rau-pelzige Oberfläche gehabt, trotzdem war es in dem Moment so wie einen Fremden zu umarmen, jemand den man nicht kennt.
,,Ich hab dich lieb, Ifa." Hatte er gesagt und mich viel zu fest gedrückt. ,,Ich hab dich so lieb!"
,,Ich dich auch, Daddy."
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Schule der Alpträume
Teen FictionDie 16- jährige Ifa ist ein Problemkind. Laut, handgreiflich, unberechenbar. Als eine Situation eskaliert und Ifa vor Gericht muss, schickt ihre Mutter sie auf die St. Pauls Ganztagsschule für schwer erziehbare Jugendliche. Ifa hätte fast den Fehler...