22.Kapitel

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Suho brauchte keine zehn Sekunden um das Schloss zu öffnen. Sanft schwang die Tür auf.

Er schob die Hände in die Taschen. ,,Soll ich die hinterher wieder zuschließen wenn du fertig bist oder kann ich geh'n?"

,,Kannst ruhig gehen." Murmelte ich. Rosa würde so oder so merken, dass ich in ihrem Zimmer gewesen war. Er nickte und machte ohne ein weiteres Wort kehrt. Ich sah seiner kleinen Gestalt nach, die zügig die Treppe hinunterging und hoffte, dass sein  Bruder Rikki in Ruhe gelassen hatte. Also ehrlich mal, Geiselnahme, wo waren wir denn hier? Santa María der Typ war doch verrückt!

Auf leisen Füßen betrat ich den fremden Raum. Es roch angenehm. Nach Parfüm und nach frischer Wäsche. Zwei hölzerne Hochbetten füllten den Raum, sowie Kleiderschränke und ein großer Tisch mit Stühlen. In der Ecke des Zimmers war ein Waschbecken, durch das Fenster sah man die Berge. Im Vergleich zu dem Saustall in dem Rikki und ich schlafen mussten war das hier der pure Luxus.

Ich merkte erst das ich die Hände zu Fäusten ballte als sich meine Fingernägel schmerzhaft in die Haut gruben. So hatte ich mir mein Zimmer in diesem Internat vorgestellt! So etwas hatte ich haben wollen! Stattdessen schlief ich auf einer nackten Matratze auf dem Boden und hatte seit fast einer Woche keine richtige Mahlzeit mehr gehabt. Das Wort ,,Enttäuschung" wäre zu milde um das auszudrücken was ich fühlte.

Stirnrunzelnd ging ich zu den Schränken. Wenn Rosa meinen Rock und meine Haarklammern irgendwo aufbewahrte, dann ja wohl hier.

Ich öffnete wahllos alle drei Schränke und stieß einen kleinen Jubelschrei aus als mir ein wohlbekannter Pailletenrock aus dem Mittleren entgegenglitzerte. Ich faltete ihn zusammen und schob ihn unter mein T-shirt. Der Schrank war überraschend leer, mit nichts als ein paar SE Uniformen, Unterwäsche und vereinzelten Röcken, Hosen und Oberteilen die nicht zueinander passen wollten. Einige schienen nichtmal in Rosas Größe zu sein. Noch mehr Diebesgut vermutlich.

Ich tastete mich durch die Klamottenstapel aller drei Schränke, zur Sicherheit, aber meine Haarklammern blieben verschollen. Stattdessen fand ich im linken Schrank einen ganzen Haufen Markenkleidung. Enge adrette Kleidchen und Schuhe von Marken wie Chanel, Gucci und Prada. Der Schrank quoll praktisch über damit. Stirnrunzelnd schloss ich die Tür.

Neben der Tür waren ein paar Haken angebracht an denen verschiedene Jacken und Handtäschchen hingen. Wieder stammten einige von teuren Marken und hätten mir und meiner Mutter vermutlich die Monatsmiete bezahlen können.

Eine Handtasche, ein hässliches braunes Ungetüm ohne Markenzeichen, erkannte ich wieder. Darin schleppte Rosa ihre Schulsachen herum. Zwischen Büchern, Heftern und Stiften fanden meine Finger das Päckchen Zigaretten wieder, das Mike mir vor so langer Zeit in die Hände gedrückt hatte.

Es war als hätte ich einen Goldklumpen gefunden. Vor Freude hätte ich singen können. Meine Zigaretten waren mir schon vor zwei Tagen ausgegangen und das rauchen war neben Rikki das Einzige was diesen Ort hier und das ständige Hungergefühl, aushaltbar machen konnte.

Mein Makeup fand ich in einer kleinen Kulturtasche die auf dem Rand des Waschbeckens thronte. Grinsend steckte ich Eyeliner, Concealer, Maskara und meinen geliebten roten Lipgloss in den Bund meiner Jeans. Das war ja fast wie Ostereier suchen.

Da endete meine Glückssträhne allerdings auch schon. Wo ich auch suchte, die Haarklammern ließen sich nicht auffinden. Unglücklich kaute ich auf meiner Unterlippe. Jeder Moment den ich länger hier blieb war ein Risiko, schließlich wusste ich nicht wann die SE's planten zurück zu kommen. Sollte ich einfach ohne die Haarspangen gehen? Mir fiel nicht ein wo ich noch nachsehen konnte.

Dann dachte ich an meine Cousinen. Ich stand ihnen nicht so nah wie ich gern würde, aber es waren sehr herzliche, nette Mädchen und sie hatten mich nie wie eine Außenseiterin behandelt. Es war nicht ihre Schuld, dass ich mich so fühlte. Sie nahmen mich jedesmal wie selbstverständlich in ihrer Mitte auf, bei den wenigen Gelegenheiten wo wir uns sahen, doch trotzdem war da eine Barriere die wir nicht überwinden konnten. Die ich nicht überwinden konnte. Sei es der Fakt, das ich mit meinen blassen Teint so anders aussah als sie, oder das mein Spanisch nicht so klang wie ihres oder das wir in völlig verschiedenen Ländern lebten und aufgewachsen waren - irgendwas war da, was mir das Gefühl gab ein Fremdkörper zwischen ihnen zu sein.

Die Haarklammern waren Geschenke von ihnen gewesen. Meine Verbindung an sie. Verbindung an meine Familie, an Kolumbien, an meine Mutter. Ich konnte und wollte sie nicht aufgeben. Nicht an Rosa.

Schritte auf dem Gang ertönten und unterbrachen meine Gedanken. Sie kamen genau hierher.

Fuck Fuck Fuck... Ich schob mich unter das erstbeste Hochbett. Die Schritte kamen näher, betraten den Raum. Sie waren sacht, beinahe schwermütig. Wären die Absätze nicht gewesen hätte ich sie wohl erst viel zu spät gehört. So weit wie möglich robbte ich an die Wand.

Ein paar Schuhe kam in mein Blickfeld. Weiße Stiefeletten mit silbernem Chanel Logo.

Es hätte mir schon beim Anblick der vielen Markensachen klar werden können, doch ich kapierte erst, dass es sich bei Rosas Mitbewohnerin um Camie handelte, als ich ihre samtige Stimme hörte.

Sie sprach leise zu sich selbst.

,,Huh? Perché la porta era aperta?"

Ich sprach kein Wort Italienisch, konnte mir aber dank meiner Spanisch Kenntnisse zusammenreimen, dass sie sich fragte warum die Tür offen gestanden hatte. Die Antwort darauf hätte ich ihr geben können. Es war weil ich eine unvorsichtige Idiotin war!

Ein Seufzen ertönte. Die Schuhe bewegten sich in Richtung der Kleiderschränke, dann verstummte das leise Klack-Klack der Absätze. Ich lugte unter dem Bett hervor und sah Camie mit dem Rücken zu mir stehen. Sie holte einen Schal aus dem Schrank und wickelte ihn sich um den Hals. Obwohl ich sie nur von hinten sah war da etwas müdes und niedergeschlagenes in der Art wie sie stand. Camie ließ die Schultern hängen und wickelte den Schal so lustlos als würde sie sich am Liebsten mit ihm erwürgen wenn sie nur die Kraft dazu hätte.

Ohne Vorwarnung begann sie zu weinen. Ganz leise. Ich sah ihr Gesicht im Profil als sie den Kopf drehte, Tränen schimmerten in ihren großen braunen Augen und sie sah mehr denn je aus wie ein trauriges Rehkitz. Sie lehnte sich gegen die Schranktür und ihre Brust hob und senkte sich unter Schluchzern.

Plötzlich erstarrte sie und hörte auf. Oh Gott, hatte sie mich gesehen? Panisch zog ich den Kopf zurück unters Bett. Die Chanel Stiefeletten setzten sich in Bewegung. Gingen erst ein Bisschen im Raum herum und kamen dann auf mich zu.

Mein Herz wummerte als wolle es zerbersten. Direkt vor dem Bett blieb Camie stehen. Sie war so nah, ich hätte die Hand ausstrecken und ihre Schuhe berühren können wenn ich gewollt hätte. Camie beugte sich vor. Vor Angst vergaß ich zu atmen. Sie legte etwas sachte auf dem Bett ab, genau über mir. Dann machte sie kehrt und verschwand durch die Tür.

Es dauerte lange bis ich dem Frieden traute. Eine Weile lang lag ich einfach nur da, mit angehaltenem Atem, und lauschte meinen Herzschlägen. Erst als ich mir sicher war, dass Camie nicht zurückkommen würde, jedenfalls nicht fürs Erste, wagte ich mich aus meinem Versteck.

Ich wollte auf Zehenspitzen aus dem Raum tappen, aber etwas, Neugierde, ließ mich dabei einen Blick aufs Bett werfen. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Auf der rosa bezogenen Decke lagen in einem ordentlichen Häufchen meine Haarklammern.

...

Hallo, ich wollt mich mal melden und ein frohes Neues Jahr wünschen. Ich kann es kaum erwarten diese Geschichte in 2024 weiter zu schreiben und hoffentlich auch zu Ende. Viele Grüße!

Schule der AlpträumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt