Die grauhaarige Frau tippte auf ihrem Computer herum und nahm gar nicht wahr das ich zurück ins Sekretariat getreten war. Ich überlegte kurz sie zu grüßen, der Höflichkeit wegen, ließ es dann aber sein. Daraus hätte sich ein Gespräch ergeben können auf das ich keine Lust hatte und sie war ja eh offensichtlich am arbeiten.
Stattdessen ging ich meiner, nach dem Rauchen, zweitschlechtesten Angewohnheit nach: dem "an Türen lauschen''.
Darauf bedacht kein Geräusch von mir zu geben ließ ich mich in die Hocke sinken und drückte das Ohr gegen das Schlüsselloch.
,,Ich mache mir Sorgen um Ifa." Hörte ich meine Mutter sagen. Ich runzelte die Stirn. Wieso das denn? Es war ja nicht so als wäre ich diejenige gewesen die verprügelt worden war.
,,Nun, das ist völlig verständlich." Sagte der Direktor. Es war mir von Anfang an klar gewesen, dass er kein Schweizer sein konnte. Seine Aussprache war so übertrieben präzise und hochdeutsch als würde er im Fernsehen die Nachrichten vorlesen. ,,Nachdem sie vor Gericht war und von ihrer Schule geflogen ist..."
,,Ja ja." Machte meine Mutter abwesend. ,,Das ist eine Sache... aber mich beunruhigt ihr allgemeines Verhalten viel mehr."
Ihre Stimme wurde leiser. Der Stuhl knarzte als würde sie sich vorlehnen. ,,Wissen sie, als ich sechzehn war hatte ich Träume. Ich wollte die Welt bereisen, ich wollte nach Europa gehen, Sprachen lernen, feiern, Geld verdienen... Ich hatte Ziele, Wünsche, Motivation, Lust zu leben. Ifa hat nichts davon! Sie hat nur eine Menge Bitterkeit und eine Menge Wut."
Manche Worte sind wie Messerstiche in den Magen. Oder ins Herz. Wie betäubt lauschte ich den Sätzen meiner Mutter. Tausendmal lieber hätte ich, sie hätte mich körperlich verletzt. Dreißigtausend paar Schuhe nach mir geworfen. Und sie war noch nicht einmal fertig.
,,Ich weiß natürlich woher das kommt. Zumindestens teilweise. Wissen sie, vor circa vier Jahren haben ich und ihr Vater uns scheiden lassen. Er hat uns für eine andere Frau verlassen, die zu dem Zeitpunkt bereits von ihm schwanger war, und er ist zu ihr zurück in seine Heimat gezogen."
Ich wartete darauf das Herr König sein Beileid bekundete. Das tat er nicht.
Stattdessen fragte er: ,,Der Vater kam woher?",,Südirland." Meine Mutter atmete durch. ,,Jedenfalls, mir ist klar, dass das einen Effekt auf Ifa gehabt haben muss. Ein Teil von dieser Bitterkeit, die sie hat, kommt sicherlich daher, obwohl ich immer mein Bestes gegeben habe."
,,Das bezweifle ich nicht." Sagte der Direktor höflich. ,,Machen sie sich bitte keine Vorwürfe. Ich habe seit über einem Jahrzehnt täglich mit Problemjugendlichen zu tun und in den allerwenigsten Fällen tragen die Eltern die Schuld."
Irgendwie bezweifelte ich das. Meine Beine verkrampften in der ungemütlichen Position, aber ich ließ sie wo sie waren.
Meine Mutter atmete nochmals durch. ,,Danke. Jedenfalls, ich erzähle ihnen das, weil ich hoffe das sie mir etwas versprechen können."
,,Pardon?" Fragte der Direktor. Er klang überrascht und ein ganz kleines Bisschen amüsiert. ,,Frau González, bei allem Respekt, wir sind eine Schule. Eine Lehr-Institution. Keine Kirche. Sie verstehen, wir machen normalerweise keine Versprechungen."
,,Schnickschnack!" Sagte meine Mutter in dem Ton, der normalerweise für mich reserviert war. ,,Ihre ganze Website ist voller Versprechungen!"
Sie hatte sich in Rage geredet. Ich kicherte beinahe beim zuhören, es war schön zu hören wie auch mal jemand anderes ihr Temperament abbekam.
,,Herr König, mir geht es nicht nur darum, dass Ifa Abitur macht! Das sie brav wird und reif und respektvoll! Ich möchte, dass meine Tochter wieder Spaß am Leben findet, verstehen sie?! Freunde findet, sich selbst findet, Sachen findet die ihr Spaß machen... Wieder glücklich wird!"
Die Stimme meiner Mutter wurde eindringlich. ,,Und wenn sie mir versprechen können, dass ihre Schule der richtige Ort dafür ist, dann unterschreibe ich die Papiere hier und jetzt!"
Stille. Dann hörte ich wie eine Schublade aufging.
Die Stimme von Herr König ertönte. Süffisant und Selbstbewusst.
,,Hier ist der Vertrag. Hier geben sie bitte ihre Kontaktdaten an und hier haben sie einen Stift."
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Schule der Alpträume
Teen FictionDie 16- jährige Ifa ist ein Problemkind. Laut, handgreiflich, unberechenbar. Als eine Situation eskaliert und Ifa vor Gericht muss, schickt ihre Mutter sie auf die St. Pauls Ganztagsschule für schwer erziehbare Jugendliche. Ifa hätte fast den Fehler...